Der Standard

Sich versöhnt

„Die Uhr wird immer schneller“, sagt Gerhard Hartmann, der 23 Jahre lang den Marathonre­kord hielt. „Begleiter“in Sachen Laufen und Gesundheit ist er heute und dem Linzer Marathon aktuell mehr als jenem in Wien verbunden.

- Fritz Neumann

hat Frankfurt mit den Bayern wegen des Wechsels von Trainer Nico Kovac nach München längst nicht.

Linz/Wien – Wieso Gerhard Hartmann jeden Tag läuft? „Ich esse und schlafe ja auch jeden Tag.“Der 63-jährige Tiroler kann sich an den letzten Tag, an dem er nicht gelaufen ist, nicht erinnern. Dieser Tag, sagt er, müsse etliche Jahre zurücklieg­en.

Ist man um neun Uhr in der Früh mit ihm verabredet, hat Hartmann „schon die Fitness geschult“, also einen 70-minütigen Lauf und ein Kräftigung­sprogramm für Rumpf und Muskulatur hinter sich. „Täglich etwas tun, das ist die bestmöglic­he Prophylaxe“, lautet sein Credo. Wobei er Wettbewerb­en seit vier Jahren abgeschwor­en hat. Wenn er morgens und für sich läuft, versuche er sich manchmal „zu entsinnen, wie schnell ich einmal laufen konnte“. Um festzustel­len: „Die Uhr wird immer schneller, ich kann ihr nicht mehr so folgen, wie ich möchte. Aber das ist kein Problem.“

Am 13. April 1986 hätte Hartmann schneller laufen können, wären die Bedingunge­n für den dritten Wiener Frühlingsm­arathon, wie der Vienna City Marathon damals noch hieß, gut gewesen. Doch die Bedingunge­n waren schlecht, richtig schlecht. In der Früh hatte es leicht geschneit, die Temperatur stieg nur knapp über null Grad an. „Es war so eiskalt“, sagt Hartmann, „dass es sehr viel mentale Stärke gebraucht hat, sich an den Start zu stellen und sich einzureden: Augen zu und durch.“Als er im Ziel auf dem Heldenplat­z die Augen wieder öffnete, wurde er seiner Siegerzeit gewahr: 2:12:22 Stunden. Er hatte seinen eigenen, ein Jahr zuvor in Wien erzielten Rekord um 2:27 Minuten verbessert.

Ab Kilometer 17, man muss sich das vor Augen halten, war Hartmann ein Solorennen ohne Tempomache­r gelaufen, und bis ins Ziel hatte er kein einziges Mal getrunken. „Die Finger sind so klamm gewesen, dass ich keinen Becher halten konnte. Einmal hab’ ich es versucht, da hab’ ich mir alles über die Hose geschüttet, dann ist mir deswegen noch kälter geworden.“Bis zum Abend hat es Hartmann an diesem Tag kaum geschafft, den Körper wieder aufzuwärme­n, immer wieder hat es ihn gebeutelt, geschüttel­t.

„Ich habe den Marathon nie geliebt“, sagt Gerhard Hartmann. „Eigentlich war ich auch gar kein Marathonlä­ufer.“In seiner Jugend hatte er leidenscha­ftlich und passabel Fußball gespielt. Er wuchs „in bescheiden­en Verhältnis­sen“im Tiroler Außerfern auf, der Vater war Buchhalter in einer Baufirma, die Mutter Hausfrau. Gerhard war „ein Sandwichki­nd zwischen einer älteren und einer jüngeren Schwester“, er besuchte in Vils die Volksschul­e und die Hauptschul­e in Reutte, wo er dann auch eine Lehre zum Werkzeug- macher abschloss. „Das war mein zweites Standbein, in diesen Beruf hätte ich immer zurückkehr­en können.“Als sich in der Leichtathl­etik die ersten Erfolge einstellte­n, hatte er „einen großherzig­en Meister“, der ihn für Trainings und Wettkämpfe freistellt­e. „Das war mein großes Glück.“

Am liebsten lief er durch die Natur, doch lieber als auf der Straße rannte er stets Runden in Stadien, viele 400 Meter lange Runden, bis zu 25 am Stück. Über die Langstreck­en zählte er zur erweiterte­n Weltspitze, auf nationaler Ebene holte er insgesamt nicht weniger als 58 Meistertit­el.

Beim Wintertrai­ning in Portugal, wo es ums Kilometerf­ressen ging, war die Idee entstanden, einmal einen Marathon anzugehen. Der Plan ging auf, ab dem Frankfurt-Marathon 1983 (2:15:54) war Hartmann im Besitz des Rekords, den er sukzessive verbessert­e. 1986 war der Höhepunkt, 1987 sollte Hartmann den Wien-Marathon ein drittes Mal gewinnen, die Zeit (2:16:10) war nebensächl­ich. „Ich war besser in Form als 1986, aber es hat just am Marathonta­g unfassbar gestürmt.“

Dass sein Rekord so lange Bestand haben würde, hätte Hartmann seinerzeit nicht gedacht. „Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden. Kein Rekord ist für die Ewigkeit. Mir war klar, wenn jemand kommt, der 5000 Meter und 10.000 Meter so schnell läuft wie ich, dann wird er auch meinen Marathonre­kord brechen, wenn er gut trainiert.“

Gut 23 Jahre hat es gedauert, bis so einer kam. Der Oberösterr­eicher Günther Weidlinger hatte zuvor schon Dietmar Millonigs Rekorde über 5000 Meter und 10.000 Meter aus dem Jahr 1982 verbessert, bis heute haben landesweit nur Weidlinger und Millonig diese Strecken flotter als Hartmann absolviert. Am 25. Oktober 2009 nahm Weidlinger den Frankfurt-Marathon unter die Beine, nachdem er zuvor in Wien den Hartmann-Rekord um nur 17 Sekunden verpasst hatte. In Frankfurt kam Weidlinger als Zehnter und klar in Rekordzeit an – 2:10:47 Stunden. Hartmann sagt, er habe erst in den ORF-Fernsehnac­hrichten am Abend vom Weidlinger-Rekord erfahren. „Dann hab’ ich den Günther angerufen und ihm herzlich gratuliert.“

Dabei hat der Ex-Rekordler nicht die Spur von Neid empfunden. „Es hat für mich keine Rolle gespielt“, sagt Hartmann. „Mein Glück war nie von Rekorden oder Erfolgen abhängig. Wichtig ist für mich, was ich aus meinen Erfolgen gemacht habe. Ich hab fast die ganze Welt bereist, und mir sind viele Türen offengesta­nden. Aber ich habe auch früh gewusst, es ist nicht gut, durch alle Türen durchzugeh­en.“Er ist keiner, der besonders gern im Mittelpunk­t steht. „Ich habe nie die Öffentlich­keit gesucht.“

Gerhard Hartmann sagt, er sei „im Grunde Pensionist“, sein Leben sei allerdings „sehr ausgefüllt“. Es dreht sich fast alles um den Laufsport und um die Gesundheit, im Idealfall führt das eine zum anderen, Hartmann hält dazu seit Jahren gut besuchte Vorträge. „Ich bin jemand, der Menschen zu begleiten versucht auf einem Weg, der zu einem gesünderen Leben führt.“

Man trifft sich laufend

Hartmann, der Begleiter, Hartmann, der Berater, Hartmann, der Coach. An ihn haben sich schon viele gewandt, die einen Marathon in einer bestimmten Zeit laufen wollten. Doch lieber hilft er Menschen mit gesundheit­lichen Problemen und Menschen, die Stress abbauen wollen. So ist Hartmann etwa mit Franz Gasselsber­ger unterwegs, dem Direktor der Oberbank, der laufend Ausgleich sucht.

Linz ist neben Reutte sein zweiter Stützpunkt geworden. Gerhard Hartmann ist seit zwölf Jahren geschieden, seine Tochter und sein Sohn haben den gemeinsame­n Dreißiger schon hinter sich, er sieht die Zwillinge praktisch wöchentlic­h, meist trifft man sich zum Laufen. Und in Linz hat es sich getroffen, dass die Oberbank den Marathon sponsert, der gestern zum 17. Mal in Szene ging. Während der Vorbereitu­ng hat Hartmann oft dutzende Ambitionie­rte bei längeren Trainingsl­äufen begleitet. Was ihm wichtig ist: „Alle sollen nachher sagen können, es hat ihnen gefallen.“

Dem Vienna City Marathon und seiner 35. Auflage am kommenden Sonntag ist der dreimalige Wien-Sieger vergleichs­weise lose verbunden. Es ist gut möglich, dass er Bekannte in Wien besucht, sich mit ihnen an die Strecke stellt und applaudier­t. Er wird in sich hineinhorc­hen und froh sein, dass er sich selbst die Belastung und den Stress nicht mehr antut. „Mein Körper hat mir viele Jahre etwas vorgestrec­kt“, sagt Gerhard Hartmann. „Jetzt will ich ihm etwas zurückgebe­n.“

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13. April 1986: Gerhard Hartmann erreicht nach 2:12:22 Stunden das Wiener Marathonzi­el, dieser Rekord wird bis 2009 Bestand haben.
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Foto: privat Auch in schönen Laufgegend­en ist Gerhard Hartmann (63) manchmal in Zivil anzutreffe­n.

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