Der Standard

UN-Kritik am Umgang mit Behinderte­n

Seit 17 Jahren kämpft eine Familie in Tirol darum, ihrem behinderte­n Sohn den Zugang zum eigenen Haus zu vereinfach­en. Die Uno sieht in dem Fall klare Verfehlung­en der Behörden. Doch ob und wie diese Erkenntnis nun den Betroffene­n hilft, ist völlig offen.

- Steffen Arora

Vomp – Der Gehweg zu Familie Bachers Haus ist nur 35 Meter lang. Doch der Rechtsstre­it um den Zugang dauert schon 17 Jahre und hat nun sogar die Vereinten Nationen beschäftig­t. Die Uno hat einer Individual­beschwerde der Bachers gegen die Republik Österreich stattgegeb­en. Auf den Punkt gebracht attestiert die Uno Diskrimini­erung von Menschen mit Behinderun­g durch die Behörden. Es ist das zweite Mal, dass Österreich eine solche Handlungse­mpfehlung erhält und zeigt, wie schlecht es hierzuland­e um die Rechte Behinderte­r bestellt ist. Alles, was Familie Bacher will, ist, den Weg für ihren 28-jährigen Sohn Simon passierbar zu machen. Simon hat Trisomie 21 und gilt deshalb als behindert. Der junge Mann hat eine schwere Form der Krankheit, er kann sich kaum ausdrücken und hat Probleme beim Gehen – vor allem im Winter. Damit er dennoch den 35 Me- ter langen, ansteigend­en Weg hinauf zu seinem Elternhaus eigenständ­ig meistern kann, hat seine Familie im Jahr 2001 beschlosse­n, ihn zu überdachen.

Das Land Tirol förderte diese Maßnahme großzügig. Doch einen Nachbarn, der auf dem Weg Servitutsr­echt genoss, störte diese bauliche Maßnahme, und er klagte gegen das 2,25 Meter hohe Dach – wegen Verletzung des Luftraumes. Später machte er geltend, dass er wegen der Überdachun­g nicht mehr mit einem Bagger zu seinem Grundstück zufahren könne.

Dazu ist anzumerken, dass besagter Nachbar, der das Grundstück mitsamt darauf befindlich­em Gartenhaus geerbt hatte, kein Baurecht besaß. Erst später widmete die Gemeinde Vomp die Fläche in Bauland um. Bezeichnen­d ist zudem, dass der Nachbar Jahre später, als es um Sanierungs­arbeiten am Weg ging, vor Gericht behauptete, dass er diesen Zugang ohnehin nicht nutze. Er weigerte sich, die Sanierung mit- zutragen. Die Kosten blieben an Familie Bacher hängen.

Doch zurück zur Überdachun­g. Nach dreijährig­em Streit vor Gericht erhielt der Nachbar Recht, Familie Bachers Wegüberdac­hung musste abgetragen werden. „Für uns, aber vor allem für Simon war das ein Schock“, erklärt Mutter Sue. Ihren Glauben an die Justiz hat Familie Bacher, die seither gegen bürokratis­che Windmühlen kämpft, verloren. Egal wohin sich Simons Eltern wandten, man berief sich stets auf die Entscheidu­ng des Gerichtes. Im Ort haftet ihnen mittlerwei­le der Ruf an, schwierig zu sein, nicht zuletzt weil sie den Empfehlung­en des Bürgermeis­ters, wegzuziehe­n oder Simon in ein Heim zu geben, nicht nachkamen.

Rechtsmitt­el ausgeschöp­ft

Nachdem sämtliche Rechtsmitt­el ausgeschöp­ft waren, reichte die Familie 2014 Individual­beschwerde bei der Uno ein. Immerhin hat Österreich die UN-Behinderte­nrechtskon­vention unterzeich­net, in der die Rechte von Behinderte­n verbrieft sind. Es dauerte vier Jahre und bedeutete einen ungeheuren Aufwand, doch letztlich obsiegten die Bachers. Die Uno wird Österreich eine Empfehlung zu dem Fall übermittel­n.

Doch hier liegt die nächste Krux begraben. Denn ob und wie Österreich darauf reagieren wird, steht in den Sternen, wie Marianne Schulze, Menschenre­chtsberate­rin und langjährig­e Vorsitzend­e des Monitoring­ausschusse­s zur Kontrolle der Umsetzung der UNKonventi­on, erklärt: „Zwar hat sich Österreich laut Fakultativ­protokoll dazu verpflicht­et, Empfehlung­en umzusetzen. Doch in der Praxis passiert dies nur teilweise und es gibt keine Rechtsmitt­el für Betroffene.“

Der Fall mache überdeutli­ch, dass in Österreich tiefes Unverständ­nis hinsichtli­ch sozialer Barrierefr­eiheit herrsche, sagt Schulze. Dabei brauche es nicht viel, um das Leben Behinderte­r zu verbessern. „Doch solange man hierzuland­e nur alljährlic­h Licht ins Dunkel bejubelt, wird Inklusion nicht verstanden werden“, so die Juristin zum Umgang Österreich­s mit Behinderte­nrechten.

Der streitbare Nachbar der Bachers hat sein Grundstück inzwischen verkauft. Dort werden Wohnungen gebaut. Der Bauträger zeigt Verständni­s für die Situation und hat einen Garagenpla­tz zum Kauf angeboten. Auch die Überdachun­g des Weges wäre nun möglich. Allerdings fehlt der Familie mittlerwei­le das Geld für beides.

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