Der Standard

Ziemlich beste Vermieter gefunden

Als Immobilien­besitzer freiwillig auf Miete verzichten? In Australien ist das ein nicht ganz uneigennüt­ziger Trend. Während manche etwas Gutes leisten wollen, haben andere die möglichen Steuervort­eile im Blick.

- Urs Wälterlin aus Sydney

Auf den ersten Blick sieht er nicht aus wie Mutter Teresa: 55 Jahre alt, Dreitageba­rt, leicht übergewich­tig, Glatze. Und doch verbindet Michael L. einiges mit der verstorben­en indischen Wohltäteri­n. „Die können mir doch nicht egal sein“, sagt er. „Die“– das ist die wachsende Zahl von Menschen in Australien, die es sich angesichts steigender Mietpreise schlicht nicht mehr leisten können, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Michael L. ist eigentlich Klempner mit eigenem Geschäft und stammt aus „einfachen Verhältnis­sen“, wie er sagt. Er sei aber auch ein „selbstgema­chter Immobilien­hengst“, meint er, mit leichtem Schmunzeln. Vor 25 Jahren hatte er sich mit seinem letzten Dollar sein erstes Haus in einem Vorort von Sydney gekauft und vermietete es. Sukzessive kamen weitere Objekte dazu. „Ich kaufte Schrott und machte die Häuser wieder bewohnbar, um sie dann zu vermieten.“Inzwischen ist L. stolzer Besitzer von sechs Häusern und zwei Wohnungen.

L. gehört zu einer Gruppe australisc­her Immobilien­besitzer, die einen Teil ihre Objekte unter dem Marktwert vermieten. Rund 30 australisc­he Dollar (19 Euro) pro Woche nehmen die Immobilien­philanthro­pen durchschni­ttlich in Kauf, um weniger gut bemittelte­n Personen oder Familien das Wohnen in einem ihrer Objekte zu ermögliche­n. Die primären Gründe dafür sind fast immer karitative­r Art: erfolgreic­he Geschäftsl­eute, die ihre eigene finanziell­e Sicherheit nutzen, um anderen Menschen eine zu ermögliche­n.

Weniger Steuern fällig

Aber nicht nur. „Zeigen Sie mir die Zahlen“, habe er zuerst gesagt, so Phil Endersbee jüngst im australisc­hen Rundfunk, als er von der Idee hörte. Der Geschäftsm­ann ist einer, der neben dem „Feel-goodFaktor“auch die anderen Vorteile des Nettseins gegenüber weniger Privilegie­rten entdeckte. Die Differenz zwischen dem Marktmietw­ert und der reduzierte­n Miete kann als karitative Spende vom Steueramt zurückgefo­rdert werden. Endersbee will mittels Eingaben bei den Regierunge­n mehrerer Bundesstaa­ten erreichen, dass künftig auf preisreduz­ierte Mietobjekt­e niedrigere Grundstück­ssteuern verlangt werden.

Denn das könnte die Attraktivi­tät des nicht gewinnorie­ntierten Liegenscha­ftenmarkte­s deutlich erhöhen. Und dem Staat würde dabei geholfen, den an eine Krise grenzenden Mangel an bezahlbare­n Mietobjekt­en zu bekämpfen – allem voran in Großstädte­n. Sowohl in Sydney als auch in Melbourne kamen in den vergangene­n Jahren zehntausen­de neue Wohnungen auf den Markt. Sie sind zwar attraktiv, aber bei Preisen von bis zu einer halben Million Euro für eine Zweizimmer­wohnung für den australisc­hen Durchschni­ttsverdien­er kaum noch erschwingl­ich.

Der Trend zum Unbezahlba­ren ist längst auch in den Mietwohnun­gsmarkt eingezogen. Selbst für qualitativ minderwert­ige Mietwohnun­gen, in vielen Fällen schamlos überteuert, gibt es nicht selten bis zu 20 interessie­rte potenziell­e Mieter. Die Situation werde verschärft, weil die Zahl der Sozialwohn­ungen von landesweit 400.000 Objekten in den letzten 20 Jahren kaum gestiegen sei, so die Denkfabrik Grattan Institute. Im selben Zeitraum wuchs die Bevölkerun­g bis zu 33 Prozent.

Bei der Agentur Home Ground in Melbourne lassen 14 Besitzer ihre Liegenscha­ft verwalten, ohne aus der Miete einen Gewinn zu erwarten. Viele weitere Besitzer dürften privat ihre Objekte an Unterprivi­legierte vermieten, ohne den Marktpreis zu verlangen.

Leerstehen­de Wohnungen

Wie Phil Endersbee glauben auch Experten, dass Steuerverg­ünstigunge­n den Sektor stimuliere­n würden. Jegliche Erleichter­ungen für Leute, die unter dem Marktwert vermieten, müssten aber an den Steuern ihrer Objekte gemessen werden, die leerstehen, so Professor Brendan Gleeson von der Universitä­t Melbourne. Landesweit sind zehn Prozent aller Immobilien in Privatbesi­tz unbenutzt, so die jüngste Volksbefra­gung. Für den Akademiker ist klar: Wer Immobilen leerstehen lässt, soll für sie höhere Grundstück­steuern bezahlen. Wer unter dem Marktwert vermietet, soll mit einer Reduktion belohnt werden.

Michael L. kümmert es wenig, ob er mit seiner Großzügigk­eit einen Gewinn macht. „Mir reicht die Zufriedenh­eit meiner Mieter“, erzählt er.

Ein Vorteil sei zudem, dass seine Mieter in der Regel aus Dankbarkei­t sehr gut auf seine Objekte schauten. „Ein älteres Paar hat aus einem meiner schlimmste­n Häuser innerhalb von wenigen Monaten ein stattliche­s Heim gemacht, mit Blumengart­en, neuem Anstrich, und liebevolle­n Dekoration­en“, schildert er seine Erfahrunge­n. „Es versteht sich von selbst, dass die beiden auf Lebenszeit bei mir Mieter bleiben können.“

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In Sydney sind viele der neu gebauten Wohnungen für Normalverd­iener kaum erschwingl­ich.

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