Der Standard

EU ist bei Drittplatt­formverbot­en großzügig

Brüssels Position zum „Coty“-Urteil des EuGH ist anders als die deutsche Lesart

- Anna Wolf-Posch, Patrick Samek

Wien – Im Dezember hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in der Rechtssach­e „Coty Germany“(C-230/16) entschiede­n, dass Drittplatt­formverbot­e unter bestimmten Voraussetz­ungen kartellrec­htlich zulässig sind. Nun hat die EU-Kommission dazu Stellung bezogen. Sie vertritt die Meinung, dass solche Drittplatt­formverbot­e auch bei Markenarti­keln, die keine Luxuswaren sind, zulässig sein können. Das deutsche Bundeskart­ellamt ist bei dieser Frage viel strenger. Die Kartellbeh­örden der Mitgliedss­taaten stehen nun vor der Frage, ob sie eher der Auffassung der Kommission oder jener der Deutschen folgen – angesichts der Ausbreitun­g von Onlinemark­tplätzen von großer wirtschaft­licher Bedeutung.

Coty Germany vertreibt ihre Luxusprodu­kte in einem „selektiven Vertriebss­ystem“. Händler dürfen sie in der Regel nicht über Drittplatt­formen wie Amazon vertreiben. Parfümerie Akzente, ein autorisier­ter Einzelhänd­ler von Coty, hielt sich nicht daran und wurde geklagt. Das OLG Frankfurt legte dem EuGH die Frage, ob das Drittplatt­formverbot gegen das EU-Kartellver­bot verstieß, zur Klärung vor. Der EuGH sagte Nein.

Grundsätzl­ich verbietet das Kartellrec­ht jede Vereinbaru­ng zwischen Unternehme­n, die eine Beschränku­ng des Wettbewerb­s bezweckt oder bewirkt. Unter bestimmten Voraussetz­ungen sind Vereinbaru­ngen jedoch vom Verbot freigestel­lt. Unter anderem kommt es laut Vertikal-Gruppenfre­istellungs­verordnung (GVO) darauf an, dass die Vereinbaru­ng keine „Kernbeschr­änkungen“enthält. Dabei handelt es sich um eine Liste an Klauseln, bei denen Kartellrec­htswidrigk­eit grundsätzl­ich vermutet wird.

Im Fall Coty kam der EuGH zum Schluss, dass das vereinbart­e Drittplatt­formverbot keine Kernbeschr­änkung darstellt, weil Verbrauche­r, die Waren über Onlineplat­tformen kaufen, keine abgrenzbar­e Gruppe innerhalb der Community von Internetsh­oppern sind. Cotys Regeln ermöglicht­en den Vertrieb über Drittplatt­formen unter bestimmten, engumgrenz­ten Voraussetz­ungen und gaben den Händlern die Möglichkei­t, über Suchmaschi­nen zu werben und dadurch einen weiten Kundenkrei­s anzusprech­en. Aus Sicht des EuGH war deshalb auch der Verkauf an Endverbrau­cher nicht beschränkt.

Hier unterschei­den sich die Standpunkt­e von Kommission und Bundeskart­ellamt: Die Kommission geht davon aus, dass Drittplatt­formverbot­e ganz generell keine Kernbeschr­änkung darstellen; das Kartellamt sieht das anders und hält sie daher für unzulässig.

Das EuGH-Urteil lässt – außer für Luxuswaren – beide Lesarten zu. Die Stellungna­hme aus Brüssel dürfte allerdings richtungsw­eisende Wirkung haben.

ANNA WOLF-POSCH ist Partnerin, PATRICK SAMEK Rechtsanwa­ltsanwärte­r bei Cerha Hempel Spiegelfel­d Hlawati in Wien. anna.wolf-posch@chsh.com

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