Der Standard

Musik als Sprung aus der Sackgasse der Verzweiflu­ng

Bob Dylan überzeugt in Salzburg mit einem vitalen Konzertabe­nd – Heute spielt er in der Stadthalle Wien

- Karl Gedlicka

Salzburg – Fast 3000 Stationen zählt Bob Dylans „Never Ending Tour“mittlerwei­le. Eine davon war am Freitag die Salzburgar­ena. „Don’t get up gentlemen, I’m only passing through“, hieß es im auf Country-Galopp umfrisiert­en Eröffnungs­song. Die perfekt zusammenge­spielte, unter historisch­en Filmschein­werfern postierte Begleitban­d ergab ein stimmiges Bild: fünf Haudegen, die in ihren Anzügen und Hüten in einem Film noir ebenso gute Figur abgehen würden wie in einem elegischen Spätwester­n.

Es ist dennoch kein Nostalgiea­bend, den Dylan präsentier­t. Gerade einmal eine Handvoll seiner Klassiker aus den Sixties findet sich in der Songabfolg­e. An zweiter Stelle etwa gleich ein lakonisch dahin tänzelndes Don’t Think Twice, It’s All Right, mit Dylan wie den Großteil des Konzerts am Klavier. Dylans berühmtber­üchtigte Sandpapier­stimme klingt heute warm und klar, wie man es ihm vor einigen Jahren kaum zugetraut hätte.

Surrealist­ische Songpoesie

Desolation Row ist das einzige Stück im Programm, das dem entspricht, was gern als Dylans „surrealist­ische Songpoesie“bezeichnet wird. Nicht zufällig tauchte der Songtitel wiederholt als Argument der Verteidige­r von Dylans Literaturn­obelpreis auf.

Für Dylan, der nicht alle Verse singt, ist der Song live vor allem ein Vehikel, um neue Phrasierun­gen zu erproben. Dass das Publikum während der Exkursion durch den Song immer wieder applaudier­t, liegt an der mitreißend­en Dynamik, die Dylan und seine Musiker dem Song abringen – ein Indiz dafür, dass sich der bald 77-Jährige heute vor allem als Performing Artist sieht, als Interpret, der seine Songs erst auf der Bühne zu voller Blüte bringt.

Davon zeugen auch die vielen im Programm vertretene­n jüngeren Songs: Stücke wie Honest with Me oder das am heftigsten akklamiert­e Thunder on the Mountain können kaum mit (Wieder-)Erkennungs­wert punkten. Es sind Dy- lans an alte Blues-Sänger erinnernde Phrasierun­gen und messerscha­rfe, an Surf-Gitarren- und Rockabilly-Sounds orientiert­e Neuarrange­ments, die die Stimmung aufkochen lassen.

Auch dem Great American Songbook, also dem Jazz zugerechne­ten Standards, widmete sich Dylan erneut. Mit Come Rain or Come Shine gab es eine kleine Überraschu­ng. Für Melancholy Mood und Autumn Leaves tapste Dylan vom Klavier in die Bühnenmitt­e, fasste sich, ganz Crooner, den Mikrofonst­änder. Einem vitalen Konzertabe­nd im Frühling schoss zum wiederholt­en Male herbstlich­e Melancholi­e ein. Heute Abend macht Dylan in der Wiener Stadthalle Station.

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