Musik als Sprung aus der Sackgasse der Verzweiflung
Bob Dylan überzeugt in Salzburg mit einem vitalen Konzertabend – Heute spielt er in der Stadthalle Wien
Salzburg – Fast 3000 Stationen zählt Bob Dylans „Never Ending Tour“mittlerweile. Eine davon war am Freitag die Salzburgarena. „Don’t get up gentlemen, I’m only passing through“, hieß es im auf Country-Galopp umfrisierten Eröffnungssong. Die perfekt zusammengespielte, unter historischen Filmscheinwerfern postierte Begleitband ergab ein stimmiges Bild: fünf Haudegen, die in ihren Anzügen und Hüten in einem Film noir ebenso gute Figur abgehen würden wie in einem elegischen Spätwestern.
Es ist dennoch kein Nostalgieabend, den Dylan präsentiert. Gerade einmal eine Handvoll seiner Klassiker aus den Sixties findet sich in der Songabfolge. An zweiter Stelle etwa gleich ein lakonisch dahin tänzelndes Don’t Think Twice, It’s All Right, mit Dylan wie den Großteil des Konzerts am Klavier. Dylans berühmtberüchtigte Sandpapierstimme klingt heute warm und klar, wie man es ihm vor einigen Jahren kaum zugetraut hätte.
Surrealistische Songpoesie
Desolation Row ist das einzige Stück im Programm, das dem entspricht, was gern als Dylans „surrealistische Songpoesie“bezeichnet wird. Nicht zufällig tauchte der Songtitel wiederholt als Argument der Verteidiger von Dylans Literaturnobelpreis auf.
Für Dylan, der nicht alle Verse singt, ist der Song live vor allem ein Vehikel, um neue Phrasierungen zu erproben. Dass das Publikum während der Exkursion durch den Song immer wieder applaudiert, liegt an der mitreißenden Dynamik, die Dylan und seine Musiker dem Song abringen – ein Indiz dafür, dass sich der bald 77-Jährige heute vor allem als Performing Artist sieht, als Interpret, der seine Songs erst auf der Bühne zu voller Blüte bringt.
Davon zeugen auch die vielen im Programm vertretenen jüngeren Songs: Stücke wie Honest with Me oder das am heftigsten akklamierte Thunder on the Mountain können kaum mit (Wieder-)Erkennungswert punkten. Es sind Dy- lans an alte Blues-Sänger erinnernde Phrasierungen und messerscharfe, an Surf-Gitarren- und Rockabilly-Sounds orientierte Neuarrangements, die die Stimmung aufkochen lassen.
Auch dem Great American Songbook, also dem Jazz zugerechneten Standards, widmete sich Dylan erneut. Mit Come Rain or Come Shine gab es eine kleine Überraschung. Für Melancholy Mood und Autumn Leaves tapste Dylan vom Klavier in die Bühnenmitte, fasste sich, ganz Crooner, den Mikrofonständer. Einem vitalen Konzertabend im Frühling schoss zum wiederholten Male herbstliche Melancholie ein. Heute Abend macht Dylan in der Wiener Stadthalle Station.