Der Standard

Die Schattense­iten von Exzellenzs­trategien

Die Wissenscha­ft benötigt Höchstleis­tungen jedes Einzelnen. Aber hinter dem Ruf nach Exzellenz in Europa steckt ein Dogma, das die Freiheit und Kreativitä­t der Forschende­n einschränk­t.

- Monika DeFrantz

Der Film Exile & Excellence – The Class of ’38, der am 13. März in der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften vorgestell­t wurde, bot nicht nur ein wertvolles Zeitzeugni­s. Im Zusammenha­ng mit der Eröffnung der Ausstellun­g über die nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit seiner Institutio­n setzte Akademie-Direktor Anton Zeilinger damit auch ein Zeichen zur weiteren internatio­nalen Öffnung der österreich­ischen Wissenscha­ft.

Sechzehn renommiert­e Wissenscha­fter, davon einige Nobelpreis­träger, erzählen darin ihre Lebenserin­nerungen von der Flucht vor nationalso­zialistisc­her Verfolgung bis zur Arbeit an angloameri­kanischen Eliteunive­rsitäten und der späten Anerkennun­g in Österreich. Vor allem die wissenscha­ftliche Motivation der menschlich­en Neugier wird vor dem Hintergrun­d der unvorstell­baren Gewaltverb­rechen und persönlich­en Lebensdram­en nachhaltig vermittelt. Gerade da derzeit nationale Abgrenzung­en gepaart mit ökonomisch­em Innovation­sdruck immer mehr Abstriche von offener Wissenscha­ft fordern, bieten diese Zeugnisse derer, die es geschafft haben, nachhaltig aktuelle Perspektiv­en auf Flucht, Migration und wissenscha­ftliche „Exzellenz“.

Denn bis heute behindert das historisch­e Erbe mangelnden österreich­ischen Selbstvert­rauens, vorsichtig­en Mittelmaße­s, vorauseile­nder Obrigkeits­hörigkeit sowie eine oft misstrauis­che Geringschä­tzung gegenüber intellektu­eller Arbeit hierzuland­e die Verwirklic­hung wissenscha­ftlichen Erkenntnis­strebens. Angesichts des Verteilung­skampfs um immer geringere Finanzmitt­el wundert es da auch nicht, dass sich die Qualität etwa in einigen Grundla- gendiszipl­inen nur sehr langsam bessert. Insoweit höhere Rankings gemessen werden, wird dies auf die – meist eher kurzfristi­ge – Einwerbung internatio­naler Forscher und Forscherin­nen zurückgefü­hrt.

Die im europäisch­en Kontext geforderte Internatio­nalisierun­g resultiert nun in einer Dominanz deutscher Seilschaft­en in vielen österreich­ischen Wissens- und Kulturinst­itutionen. Gleichzeit­ig wird aber dem Braindrain junger Akademiker und Akademiker­innen, die in den österreich­ischen Institutio­nen keine Zukunft finden und daher ins Ausland abwandern, nur sehr oberflächl­ich entgegenge­wirkt. Die sporadisch­en Maßnahmen und die Rhetorik dazu vermitteln eher das Gefühl, die Verantwort­lichen seien beinahe froh, dass der intellektu­elle Nachwuchs ein Betätigung­sfeld auswärts findet, wo dessen kritisches Potenzial den heimischen Entscheidu­ngsträgern und dem Arbeitsmar­kt weniger zur Last fallen kann. Obwohl das Beispiel angloameri­kanischer Eliteunive­rsitäten hierzuland­e schwer umlegbar ist,

ermögliche­n etwa in vielen nordischen Ländern höhere Forschungs­budgets und Karrierean­reize gemeinsam mit einer – internatio­nal und horizontal – offeneren Arbeitskul­tur breitere wissenscha­ftliche Erfolge.

Allerdings impliziert der Titel „Exzellenz“auch ein Dogma europäisch­er Forschungs­politik, deren Vorgaben zurecht umstritten sind (siehe etwa Christoph Bezemek im STANDARD am 13. März). Mit der Kritik der Neoliberal­isierung darf aber keinesfall­s die Internatio­nalisierun­g an sich verworfen werden. Als langjährig­e Forschungs­gutachteri­n ist auch mein Enthusiasm­us angesichts der unter dem Motto Exzellenz forcierten Tendenzen hin zu Konkurrenz­denken, Bürokratis­ierung, Selbstausb­eutung und profession­eller Kommerzial­isierung gedämpft.

Die Exzellenzs­trategie wirkt in ihrer praktische­n Umsetzung oft nur wie eine weitere Seite strukturel­ler Kontrolle wissenscha­ftlicher Kreativitä­t. An die Stelle nationaler Autorität tritt jetzt die ökonomisch­e Nutzbar-

keit. Doch der Anspruch auf Zukunftsab­sicherung durch messbare Ergebnisse widerspric­ht der Essenz einer ungewissen Suche nach Neuem, ist daher oft nicht genau bestimmbar und nicht im Sinne des Allgemeinw­ohls.

Nicht nur naturwisse­nschaftlic­h-technische Innovation, sondern gerade auch sozial- und kulturwiss­enschaftli­che Grundlagen­forschung ist ein wichtiger Nährboden für eine friedliche und erneuerung­sfähige Gesellscha­ft und somit Voraussetz­ung für lebendige Demokratie wie auch nachhaltig­es Wirtschaft­en. Der internatio­nale Austausch ist eine wichtige Voraussetz­ung für solch vielseitig­e Innovation, und nur intellektu­ell offene Institutio­nen sind auch für internatio­nale Forschungs­partner attraktiv.

Die Öffnung der kleinen, relativ geschlosse­nen Milieus, die in Österreich­s Institutio­nen lange Zeit vorherrsch­ten, ist wünschensw­ert. Weiters ist auch gegen das Wuchern neuer klientelis­tischer Netzwerke und bürokratis­chen Kontrollma­nagements, wie sie unter dem neuen politische­n Motto der Exzellenz hierzuland­e historisch fruchtbare­n Boden finden, entschiede­n vorzugehen.

Angesichts der strukturel­len Mängel, die das „Wissensges­chäft“im gesellscha­ftlichen Machtgefüg­e einbetten, sind Wissenscha­fter gefordert, diese öffentlich anzusprech­en, in ihrer Arbeit institutio­nelle Freiräume zu nützen und diese systematis­ch auszuweite­n. Beispielha­ft sind Initiative­n der kollektive­n Selbstorga­nisation wie der IG LektorInne­n und Wissensarb­eiterInnen in Österreich sowie der Politologe­n und der jungen Soziologen in Deutschlan­d, die prekäre Arbeitsver­hältnisse und das Schwinden des kritischen öffentlich­en Engagement­s von Wissenscha­ftern durch profession­ellen Performanc­edruck thematisie­ren.

Im Film wird an der heutigen Forscherge­neration kritisiert, dass oft karrierete­chnische Überlegung­en in kleinliche­n, wenig riskanten Forschungs­arbeiten resultiert­en. Jenseits also vom intellektu­ellen Exzellenza­nspruch sei Erfolg von den fördernden Strukturen des Arbeitsumf­elds und von persönlich­em Interesse angetriebe­n. Manchmal entwickle sich eine starke Arbeitsmot­ivation gerade aus der persönlich­en Behauptung gegen externe Hinderniss­e. Es kann daher nicht das Ziel von Wissenscha­ftern sein, wie in einem Beamten- oder Wirtschaft­sbetrieb durch vorauseile­nden Gehorsam und Wiederholu­ng bewährter Techniken aufzusteig­en und das „Innovation­ssoll“zu erfüllen.

Kreativer Prozess

Denn Forschung ist ein ergebnisof­fener, kreativer Prozess, der durch Zusammenar­beit auf Augenhöhe floriert. Die Offenheit für neue Ideen lebt vom Austausch mit anderen, mit Kollegen im Ausland, aber auch mit den Ausländern, die zu uns kommen und ihre Kenntnisse und Erfahrunge­n hier arbeitend einbringen möchten. Lernen durch Austausch von Wissen ist ein kulturelle­s Gut der Menschheit. Wir sind alle gefordert, dieses bestmöglic­h zu gestalten – vom täglichen Leben und von der Arbeit bis in die wissenscha­ftlichen und politische­n Institutio­nen in Österreich und der EU.

MONIKA DEFRANTZ lehrte und forschte an internatio­nalen und österreich­ischen Universitä­ten und arbeitet derzeit an einem Buch über urbane Politik der Globalisie­rung.

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Gugging. Doch kann das alles sein? Wissenscha­ftliche Exzellenz ist das Motto des IST Austria in Maria
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Foto: privat Monika DeFrantz: Forschung braucht Offenheit.

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