Der Standard

Immer im eigenen Interesse

- Eric Frey

Wer sich eine von moralische­n Werten getragene Außenpolit­ik wünscht, muss über die jüngste China-Reise von Alexander Van der Bellen, Sebastian Kurz und der riesigen Wirtschaft­sdelegatio­n entsetzt sein: In der größten Diktatur der Welt verloren sie kaum ein Wort über politische Gefangene, Serienexek­utionen, Pressezens­ur oder neue totalitäre Systeme der Bevölkerun­gskontroll­e. Man freute sich über die Aufmerksam­keit, die Xi Jinping dem kleinen Land zukommen ließ, und zählte zufrieden die Millionena­ufträge für die Exportindu­strie. Und fast niemand im In- oder Ausland fand an diesem Ausverkauf liberal-demokratis­cher Grundwerte etwas zu kritisiere­n.

Wie anders war die Reaktion auf die jüngste Entscheidu­ng der Bundesregi­erung, als Reaktion auf den Giftanschl­ag in Salisbury keine russischen Diplomaten auszuweise­n. Dabei gibt es in Wladimir Putins Reich kaum politische Gefangene und keine Todesstraf­e, dafür aber viel persönlich­e Freiheiten und eine – wenn auch mangelhaft­e – Demokratie. Ist es nicht verlogen, von Österreich Sanktionen gegen Russland zu verlangen, aber sein „business as usual“in China zu akzeptiere­n oder gar zu begrüßen?

Nicht unbedingt, denn eine vernünftig­e Außenpolit­ik ist mehr als nur die Umsetzung der eigenen Ideale. Die Welt zu verbessern kann nicht ihr Hauptziel sein. Ein Land muss auch seine eigenen Interessen im Blick haben und verfolgen. Das spricht nicht für einen amoralisch­en Zynismus, sondern für ein genaues Abwägen zwischen absoluten Werten und flexiblen Kompromiss­en.

Im Falle Chinas ist Europas Einfluss auf die politische Entwicklun­g äußerst beschränkt. Ein Verzicht auf Handelsbez­iehungen und Investitio­nen würde keinem Dissidente­n in Peking helfen. Dafür steht China Europas großem Interesse – der Schaffung einer friedliche­n und möglichst liberalen Ordnung in seiner Weltregion – kaum im Weg.

Das tut Russland sehr wohl. Es steht in einem offenen, meist brutalen und gelegentli­ch blutigen Machtkampf mit der EU um die Zukunft der Länder östlich der Donau. Dass diese nicht in Moskau, sondern in Brüssel, Berlin und Paris entschiede­n wird, liegt im ureigenen Interesse Österreich­s. Nicht aus moralische­n, sondern aus realpoliti­schen Gründen ist es deshalb falsch, wenn Wien aus einer westlichen Front gegen Putin ausschert. Hier wären von Politik und Wirtschaft Prinzipien gefragt. Geschäftst­üchtigen Pragmatism­us kann man sich für China aufheben.

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