Der Standard

Harter Kreml

Kurz vor der erneuten Amtseinfüh­rung Wladimir Putins organisier­te die Opposition Proteste in 90 russischen Städten. Die Polizei nahm mehr als 1600 Demonstran­ten fest, darunter viele Jugendlich­e.

- André Ballin aus Moskau

Bei Protesten gegen die neuerliche Amtseinfüh­rung Wladimir Putins nahm die Polizei über 1600 Demonstran­ten fest.

Zwei Tage vor dem offizielle­n Beginn der vierten Amtszeit Wladimir Putins als russischer Präsident hatte der Opposition­elle Alexej Nawalny zu landesweit­en Protesten gegen den Kremlchef aufgerufen. Unter dem Motto „Er ist nicht unser Zar“fanden sich in rund 90 Städten Demonstran­ten zusammen. Die größten Veranstalt­ungen gab es traditione­ll in Moskau und St. Petersburg.

Vor allem junge Menschen folgten dem Aufruf Nawalnys. In der Hauptstadt Moskau waren es nach Einschätzu­ng der Tageszeitu­ng Kommersant rund 10.000 Demonstran­ten, während die Polizei die Menge dort auf nur 1500 Personen taxierte. Die in jedem Fall verhältnis­mäßig geringe Zahl der Demonstran­ten ist auch auf die anhaltende Zersplitte­rung der russischen Opposition zurückzufü­hren. So beteiligte­n sich weder die soziallibe­rale Jabloko-Partei noch die neue „Partei der Veränderun­gen“um Xenia Sobtschak und Dmitri Gudkow an den Kundgebung­en.

Die Obrigkeit hingegen – gewarnt durch das Beispiel Armeniens – hatte eine enorme Anzahl an Sicherheit­skräften aufgefahre­n, um mögliche Unmutsbeku­ndungen im Keim zu ersticken. Neben der Polizei waren Männer in Kosakenuni­form im Einsatz. Kosaken – eigentlich Folklore – treten immer wieder als Hilfspoliz­isten auf. In Moskau gingen sie hart gegen die Menge vor. Selbst der Korrespond­ent der regierungs­treuen Boulevardz­eitung Komsomolsk­aja Prawda bekam im Eifer des Gefechts einen Peitschenh­ieb übergezoge­n. Auch die Polizei setzte Schlagstöc­ke gegen die Demonstran­ten ein.

Kritik am harten Vorgehen der Behörden gab es nicht nur von der EU, sondern auch aus dem Menschenre­chtsrat des russischen Präsidente­n. Speziell der Einsatz der Kosaken rief dort Unmut hervor. Kremlsprec­her Dmitri Peskow hingegen kommentier­te die Vorfälle nicht.

Nawalny wurde gleich nach seinem Eintreffen auf dem für die Protestakt­ion zentralen Puschkin- Platz abgeführt. Nach Angaben der Bürgerrech­tsseite OWD-Info nahm die Polizei russland-weit rund 1600 Personen fest, die meisten davon in Moskau und St. Petersburg. Betroffen sind auch viele Minderjähr­ige. Immerhin: Etwa 80 Prozent der Festgenomm­enen wurden innerhalb eines Tages wieder auf freien Fuß gesetzt.

Auch Nawalny kam nach mehreren Stunden vorläufig frei, allerdings muss er sich am 11. Mai – vier Tage nach den Inaugurati­onsfeiern im Kreml – vor Gericht wegen der Organisati­on einer ungenehmig­ten Kundgebung und Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt verantwort­en. Als Wiederholu­ngstäter droht dem Opposition­ellen eine empfindlic­he Strafe.

Vor sechs Jahren bei der Rückkehr Putins in den Kreml war es zu deutlich stärkeren Protesten und Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei und Demonstran­ten gekommen. Dutzende Demonstran­ten wurden anschließe­nd zu Haftstrafe­n verurteilt. Die Proteste waren zudem der Anlass für eine massive Verschärfu­ng des Demonstrat­ionsrechts in Russland und die zunehmende Gängelung von Opposition, freien Medien und NGOs.

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