Der Standard

Ein Leben für eine israelisch­e Identität

Gideon Eckhaus kam 1938 von Wien nach Israel. Er beteiligte sich aktiv am schwierige­n Aufbau eines Staates, den keiner wollte. Bis ins hohe Alter gestaltete er die Beziehunge­n Israels zu seinem Herkunftsl­and Österreich mit.

- Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Am Nachmittag des 14. Mai 1948 liegt Gideon Eckhaus mit vier anderen Männern in einem Schutzgrab­en zwischen Beer Tuvia und Kfar Warburg, südöstlich von Tel Aviv. Der 24Jährige ist Mitglied der zionistisc­hen paramilitä­rischen Untergrund­organisati­on Hagana, die bis 1948 in Palästina aktiv war. Er ist dort als sogenannte­r Noter, eine Art Wachmann, im Dienst. Die Unruhen sind damals schon groß. Doch was da gerade im Kunstmuseu­m auf dem Rothschild­Boulevard im knapp 50 Kilometer entfernten Tel Aviv passiert, ist größer: Über ein kleines Radio verfolgen die Männer im Graben die Rede von David Ben-Gurion, der an diesem Nachmittag die Gründung des Staates Israel verkündet.

„Wenn ich mich recht erinnere, sind mir Tränen herunterge­laufen“, sagt Gideon Eckhaus heute, 70 Jahre später. Der 94-Jährige sitzt in einem blauen Sessel im Wohnzimmer seiner Wohnung im Norden Tel Avivs. „Ich habe so viel erlebt“, sagt er. „Da kann man schon mal was vergessen“. Doch er erinnert sich noch sehr gut: An die Flucht aus seiner Heimatstad­t Wien nach dem Einmarsch der Nationalso­zialisten, an den Aufbau des Staates Israel, an die Kriege, die Restitutio­nsverhandl­ungen mit Österreich ab 1994, an denen er maßgeblich beteiligt war, und an seine Arbeit als Vorsitzen- der des Zentralkom­itees der Juden aus Österreich in Israel und der Vereinigun­g der Pensionist­en.

Die Lebensgesc­hichte von Gideon Eckhaus zeigt, dass Israel schon vor seiner Gründung ein Zufluchtso­rt für Juden aus der ganzen Welt war, aber einer, der erkämpft, aufgebaut und gesichert werden musste – es war kein Paradies. Den Neueinwand­erern, die dem Holocaust entkamen, blieb kaum Zeit zu verschnauf­en. Und so kam auch Gideon Eckhaus 1938 hier an. Seine Eltern hatte er ver- loren, Geld hatte er keines. Den „Anschluss“Österreich­s hatte er in Wien noch miterlebt: wie sie Juden auf der Straße zusammensc­hlugen, Männer aus dem Wohnhaus mitnahmen und ein SSMann ihm, dem freiwillig­en Mitarbeite­r im Palästinaa­mt, sagte: „So, Jude, geh nach Haus und schau, dass alle Juden nach Palästina kommen.“Eckhaus floh mit einer Jugendgrup­pe nach Italien, von Triest ging es mit dem Schiff nach Palästina. Sein Vater war damals geschäftli­ch in Italien. „Ich sollte ihn noch treffen, doch das Schiff fuhr früher als geplant los. Ich habe ihn nie wieder gesehen.“Der Vater starb in Auschwitz.

In Israel lebte der 15-jährige Gideon Eckhaus bei einer Familie im Dorf Kfar Wittkin, 40 Kilometer nördlich von Tel Aviv. „Wir sind gekommen, um den Staat Israel aufzubauen. So wurde ich auch erzogen in der Jugendbewe­gung in Wien.“Eckhaus arbeitete auf dem Feld, im Stall, später auf dem Bau. Und besuchte danach ein Seminar in Jerusalem, um Jugendgrup­pen zu leiten. Am Freitag vor Sabbatbegi­nn arbeitete er dort im Café Vienna, um etwas Geld zu verdienen. Später zog er nach Beer Tuvia, leitete Jugendgrup­pen in den Dörfern der Umgebung, in Gan Yavne, Kfar Warburg, später auch die Jugendabte­ilung der Hagana, Gadna. Als Mitglied der Hagana war er als Noter zuständig für die Sicherheit im Dorf.

Erfülltes Leben

Noch vor der Unabhängig­keitserklä­rung wurde er von einer Handgranat­e verletzt, konnte aber aufgrund der Straßenspe­rren erst am nächsten Tag ins Krankenhau­s nach Tel Aviv. „Ich habe bei einem Arzt übernachte­t und war sehr angespannt. Schließlic­h sollte ich in zwei Wochen heiraten.“Mit Krücken erschien er dann 14 Tage später in Jerusalem vor dem Rabbiner. Mit seiner Frau Sara zog er zwei Kinder groß, Shimon und Doron. Die beiden haben heute jeweils selbst drei Söhne. Auf der Kommode im Wohnzimmer von Gideon Eckhaus stehen dutzende Familienfo­tos. 15 Urenkel habe er, erzählt er. Seine Frau ist vor einem Dreivierte­ljahr gestorben. Heute kümmert sich die Asiatin Mey um den 94-Jährigen, sie ist Krankensch­wester, hilft im Haushalt.

Nach der Hochzeit musste Eckhaus damals als Wachmann zurück in die Dörfer. Die Lage war unruhig, immer wieder gab es Kämpfe. In der Nacht nach der Unabhängig­keitserklä­rung griffen arabische Nachbarsta­aten Israel an, der Krieg brach aus. Euphorie und Angst mischten sich. „In jedem Krieg musst du den Gedanken haben, dass du siegen wirst. Wenn du denkst, du wirst verlieren, dann hast du schon verloren.“

Harte Aufbauarbe­it

Die Kriege waren das eine. Doch beim Aufbau des Staates stieß man noch auf ganz andere Schwierigk­eiten, erinnert sich Gideon Eckhaus: „Es kamen Juden aus aller Welt, Israel musste sie alle aufnehmen, das war nicht so einfach. Und die Juden aus Europa haben die Juden aus dem Nahen Osten nicht gerade pfiffig aufgenomme­n“. Soll heißen: Sie wurden oftmals diskrimini­ert. Eckhaus arbeitete mit den jugendlich­en Einwandere­rn, war in Tel Aviv und Umgebung zuständig für zahlreiche Jugendhäus­er. So seien die Jugendlich­en nach der Schule beschäftig­t gewesen, hätten die Sprache gelernt, erzählt er. „Man musste alle zusammenbr­ingen. Denn wenn man sie nicht zusammenbr­ingt, gibt es kein Volk. Und ohne Volk gibt es keine Heimat.“

Den Yom Haatzmaut, den Unabhängig­keitstag, hat Gideon Eckhaus in diesem Jahr bei der Familie gefeiert. Er ist überzeugt: Dass der Staat Israel gegründet wurde und in diesem Jahr seinen 70 Geburtstag feiert, ist ein Wunder.

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Foto: Lissy Kaufmann Gideon Eckhaus im Mai 2018 in seinem Wohnzimmer in Tel Aviv.

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