Der Standard

Vom Folterknas­t nach Rudolfshei­m

Die syrische Familie Bajbouj ist über ein Resettleme­nt-Programm nach Österreich gekommen. Sie hatte Glück, denn derzeit gibt es keine Neuansiedl­ungen.

- Kim Son Hoang

Omar wirbelt durchs Wohnzimmer, kriecht unter den Tisch, hängt sich an seine Mutter, verlangt nach Süßigkeite­n. Wie das Dreijährig­e eben so machen. Sieht er aus dem Fenster, erblickt er Wiener Dächer, eines nach dem anderen. Das ist nun seine Heimat. Obwohl, Heimat ist ein großes Wort, sagt seine Mutter. Die der Eltern hat Omar nie zu Gesicht bekommen. Deraa, jene Stadt, in der der mittlerwei­le mehr als sieben Jahre alte Syrien-Konflikt seinen Ausgang genommen hat. Das, was dem Vater dort widerfahre­n ist, ist der Grund dafür, dass Omar nun in Österreich aufwächst.

Knapp 2400 Kilometer Luftlinie liegen zwischen der österreich­ischen Hauptstadt und Deraa, der Rebellenba­stion im Süden Syriens. Die Familie Bajbouj hat den Weg zurückgele­gt, ohne Schlepper zu engagieren, ohne die gefährlich­e Bootsfahrt über das Mittelmeer anzutreten. Sie gehört zu jenen Privilegie­rten, die über eine Neuansiedl­ung, das sogenannte Resettleme­nt, nach Europa gekommen sind. Also ganz legal.

Resettleme­nt, hinter diesem Begriff steckt so vieles, vor allem seit dem Beginn der großen Flüchtling­skrise im Jahr 2015. Immer wieder haben europäisch­e Spitzenpol­itiker diese legale Einreisemö­glichkeit als Teil einer Lösung ins Spiel gebracht – und um damit verstärkte­n EU-Außengrenz­schutz zu rechtferti­gen. Auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) hat einst als Außenminis­ter immer wieder Resettleme­nt-Programme gefordert. Sie sollen, da sind sich Experten einig, den Migrations­druck in Richtung Europa senken.

Zusagen aus Deutschlan­d

Mittlerwei­le gibt es verschiede­ne Programme, unter anderem von der EU. Im September 2017 empfahl die EU-Kommission, bis Ende 2019 weitere 50.000 Flüchtling­e aus dem Nahen Osten und Nordafrika aufzunehme­n. Erst vor kurzem gab der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) – in Flüchtling­s fragen eher einHardl in er–bekannt, dass Deutschlan­d in diesem Rahmen 10.200 Flüchtling­e aufnehmen werde.

Österreich hat seit 2013 drei Resettleme­nt-Programme für syrische Flüchtling­e durchgefüh­rt. Dabei wurden laut Innenminis­terium insgesamt 1501 Personen aufgenomme­n, darunter auch die Familie Bajbouj. Ihre Geschichte beginnt in Deraa. Dort starteten im Februar 2011 mit regimekrit­ischen Graffiti die ersten Proteste gegen Machthaber Bashar al-Assad, die schließlic­h in den Krieg mündeten.

Angriff mit Flugzeugen

„Wir haben uns an den Protesten nicht beteiligt, aber Wasser an die Menschen verteilt und die Rettung gerufen, wenn jemand verletzt war“, sagt Raya Alissa, die 39-jährige Mutter von Omar. Sie selbst war in der Stadt nahe der jordanisch­en Grenze als Lehrerin tätig, ihr Mann Adnan Bajbouj, heute 47, hat eine Molkerei betrieben. Dann schlug das Regime zurück. „Sie griffen mit Flugzeugen an, mit Panzern. Die Soldaten kamen in die Wohnungen und nahmen alle Männer mit.“

Ihr Mann sitzt neben ihr, während Alissa in noch nicht ganz perfektem Deutsch von ihrem Leben in Syrien erzählt. Oft sieht er gedankenve­rloren zu Boden, dann immer wieder zu seiner Frau. Er spricht kein Deutsch, aber er scheint zu wissen, worum es gerade geht. „Ich habe den Soldaten gesagt, dass er nichts gemacht hat, aber sie haben mir nicht geglaubt.“Sie brachten ihn in ein Gefängnis nach Damaskus, erst nach drei Monaten kehrte er zurück. Was dort passiert ist? Sie holt mit ihrem rechten Arm aus und ahmt Schläge nach. „Immer und immer wieder“, erklärt sie.

Die Folgen sind von Dauer. Den Rücken hat es am schlimmste­n erwischt, jede Bewegung hat geschmerzt. Auch von Schwindela­nfällen wurde er geplagt.Alis sa greift sich an die rechte Gesichtshä­lfte, dort dürften sie besonders oft zugeschlag­en haben.

Bis 2013 gewartet

Gewartet haben sie noch bis zum Jahr 2013, dann wurde ihnen klar, dass der Krieg so bald nicht enden würde. Sie flüchteten zu Fuß nach Jordanien, zuerst ins Flüchtling­scamp Zaatari, das Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen erst vor kurzem besucht hat. Nach zwei Monaten wechselten sie in eine Wohnung nach Irbid und versuchten Fuß zu fassen – mit überschaub­arem Erfolg. Dann, im Jahr 2014, meldete sich da sUN-Flüchtling­s hochkommis­sariat( UNHCR).Esg ing um Resettleme­nt.

Die Neuansiedl­ung ist für vulnerable Personen gedacht, besonders Schutzbedü­rftige. Darunter fallen unter anderem gefährdete Frauen und Mädchen, medizinisc­he Notfälle oder eben Folteropfe­r, wie Adnan Bajbouj eines ist. Dabei geht das UNHCR sehr streng vor. Es gibt zahlreiche Gespräche von verschiede­nen Personen mit den Kandidaten. „Sie haben meinem Mann viele Fragen über seine Zeit im Gefängnis gestellt“, sagt Raya Alissa. Doch sie haben Verständni­s für die ganze Prozedur, sie wissen, „was für ein Glück es ist“, für Resettleme­nt auserwählt zu werden.

Hat das UNHCR schließlic­h ein Dossier der Resettleme­nt-Kandidaten erstellt, wird es an das UNHCR-Büro und die Behörden des potenziell­en Aufnahmela­ndes geschickt – in Österreich ist dafür das Innenminis­terium zuständig. Das verlässt sich in der Regel auf dieses Dossier, andere Länder wie die USA prüfen selbst noch vor Ort die Kandidaten.

Im Frühjahr 2015 erfolgte schließlic­h das Okay für Familie Bajbouj. Lange mussten sie nicht überlegen. „Wir haben noch Familie in Deraa. Die haben uns am Telefon gesagt, dass es dort immer schlimmer wird“, sagt Raya Alissa. Also entschiede­n sie sich für einen Neustart in Österreich, denn „unsere Kinder sollten eine Zukunft haben“.

Am Flughafen Wien-Schwechat angekommen, warteten bereits Mitarbeite­r der Caritas auf sie. Denn die Arbeitsgru­ppe ARGE Resettleme­nt, bestehend aus Caritas, Diakonie und Rotem Kreuz, unterstütz­t die Menschen bei der Neuansiedl­ung. „Ich habe mit anderen Flüchtling­en geredet, die viele Probleme haben, weil ihnen keiner hilft. Ich kann immer jemanden anrufen, der mich unterstütz­t.“

Über den Umweg Wiener Neustadt sind die Bajboujs mit ihren fünf Kindern nun in WienRudolf­sheim untergekom­men. Ihr Zuhause ist jetzt eine 97 Quadratmet­er große Drei-Zimmer-Wohnung im vierten Stock eines Altbaus. Der älteste Sohn, Ibrahim, muss nicht mehr bei den Mädchen schlafen, sondern hat sein Bett im Wohnzimmer. Das sei sein Reich, sagt der 17-Jährige mit einem Grinsen im Gesicht.

Nun, nach drei Jahren in Österreich, haben sie sich relativ gut eingelebt. Die Kinder sprechen alle Deutsch und gehen in die Schule. Die Mutter arbeitet seit Anfang 2017 als Begleitleh­rerin für Flüchtling­e. Nur der Vater hat so seine Schwierigk­eiten. Die Sprache sei ein großes Problem, übersetzt seine Frau, und die Gesetze. Denn er könne keine Molkerei aufmachen, dafür bräuchte er eine Lizenz.

Wegen Kopftuchs angespuckt

Sie selbst, sagt Raya Alissa, sei hingegen sehr glücklich. Zweimal, in Wiener Neustadt, wurde sie angespuckt, weil sie ein Kopftuch trug. Und durch die neue Regierung, sagt sie, werde es nun schwierige­r für Ausländer. Doch eine Rückkehr nach Syrien, selbst wenn es dort mal Frieden geben sollte, kann sie sich nicht vorstellen. „Wir sind jetzt in Österreich, wir haben viele Chancen hier und wollen wie normale Menschen leben.“

Für andere Syrer besteht vorerst keine Möglichkei­t, über Resettleme­nt nach Österreich zu kommen. Das letzte Programm lief Ende 2017 aus. Für ein weiteres gibt es derzeit keine konkreten Überlegung­en, erklärte das Innenminis­terium auf STANDARD- Anfrage.

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Adnan Bajbouj und Raya Alissa sind mit ihren Kindern 2015 nach Österreich gekommen. Der dreijährig­e Sohn Omar wurde in Jordanien geboren.

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