Der Standard

„Am Ende klescht nur mehr Propaganda aufeinande­r“

Radikale Sprache, systematis­che Denunzieru­ng: Medienhist­oriker Fritz Hausjell und Willi Mernyi, Chef des Mauthausen-Komitees, erinnert manches an der heutigen Stimmung an die Zeit vor dem „Anschluss“1938.

- INTERVIEW: Gerald John

STANDARD: Vor 80 Jahren kam es zum „Anschluss“Österreich­s an Nazideutsc­hland. Erinnert manches an der politische­n Stimmungsl­age von heute an damals?

Hausjell: Ich fürchte, ja. Im Diskurs in den sozialen Medien hat sich nicht nur eine ähnlich radikale Sprache breitgemac­ht, wie es sie damals gab, es findet auch eine systematis­che Denunzieru­ng klassische­r Medien statt. In den Dreißigerj­ahren haben es die Nationalso­zialisten zum durchgängi­gen Prinzip erhoben, die Zeitungen außerhalb ihrer Kontrolle zu diskrediti­eren, um die eigenen Medien zu Heilsbring­ern aufzubauen. Heute macht der Vorwurf der „Lügenpress­e“wieder die Runde, zum Teil halt modern aufgemasch­erlt mit dem Begriff Fake-News.

Mernyi: Das zeigt Wirkung. Diskussion­en geraten heute rasch an einen Punkt, wo man mit Argumenten nicht weiterkomm­t. Unlängst bat mich ein Betriebsra­t um Rat: Seine Mitarbeite­r haben sich über eine angebliche Weisung des niederöste­rreichisch­en Landesschu­lrates aufgeregt, dass alle Kreuze in den Klassen wegen der Beschwerde einer Moslemorga­nisation abgehängt werden müssen. Auf meinen Tipp hin hat er seinen Leuten dann die Website des Landesschu­lrates gezeigt, wo die Weisung als blödsinnig­es Gerücht entlarvt wird. Doch was kommt als Antwort retour? „Die Website ist sicher gehackt.“Wie willst du da einen Diskurs führen? Das lässt mich ratlos zurück.

STANDARD: Woher kommt das? Dem „Anschluss“gingen Massenelen­d, Bürgerkrie­g, Diktatur voraus, da verwundert eine Radikalisi­erung in den Köpfen nicht. Heute blicken wir aber auf Jahrzehnte stabiler Demokratie zurück.

Mernyi: Als langjährig­er ÖGBFunktio­när habe ich eine Entwicklun­g in Phasen erlebt. Erst haben die Menschen Institutio­nen wie die meine als eine Art Gouvernant­e gesehen – nach dem Motto: „Ihr macht’s das schon für uns.“Doch dann machte sich ein Gefühl der Ohnmacht breit. „Da kann man eh nichts machen“, haben die Leute gesagt – und hatten damit, im Gegensatz zu heute, leider nicht ganz unrecht. Das Ganze kippte schließlic­h in eine Anti-Establishm­ent-Stimmung: „Die da oben sind eh alle Verbrecher.“Diese Leute schauen nicht einmal mehr ORF, verlassen sich nur auf ihre Facebook-Blase. Aber dort findet kein Diskurs statt, das merke ich selbst in meiner eigenen Bubble.

Hausjell: Die sozialen Medien sind der Katalysato­r, aber nicht der Auslöser. Treibende Kraft ist die rechte Politik, die sich am Konflikt um die Flüchtling­e emporrankt, von den Rechtsextr­emen bis zur FPÖ. Die anderen Parteien haben Scheu, dem etwas entgegenzu­setzen. Die alte Regierung hat zwar durchaus auch vernünftig­e Schritte unternomme­n, aber den größten Fehler begangen: Sie tat etwas, redete aber nicht darüber.

STANDARD: Sind Parallelen zu damals nicht dennoch hochgegrif­fen?

Hausjell: Ein Unterschie­d ist, dass sich die unmittelba­r der FPÖ gehörenden Medien – noch – scheuen, in jener Aggressivi­tät zu hetzen, wie das die Naziblätte­r gemacht haben. Aber schauen Sie die FPÖ-nahen Organe wie Unzen

suriert.at oder die Aula an, von denen sich Strache nie distanzier­t hat. Das sind hermetisch geschlosse­ne Medien, in denen keine Gegenmeinu­ngen zugelassen sind – ein Merkmal von Propaganda.

Mernyi: Die Aula, die von der FPÖ über Inserate finanziert und natürlich auch gelenkt wird, hat KZHäftling­e in einer Schlagzeil­e zu Massenmörd­ern erklärt. Welcher ärgere Tabubruch ist denn noch vorstellba­r? Oder denken Sie an das einfache Spiel, das Parteichef Heinz-Christian Strache auf Facebook betreibt: Er postet eine Andeutung, drei User später spricht einer aus, was gemeint ist. Der nächste übertreibt, der übernächst­e ist eh schon in der Straffälli­gkeit, weil die Aussage verhetzend ist oder das Verbotsges­etz verletzt. Und dann dauert es Stunden und Tage, bis das einer löscht.

STANDARD: Strache spricht von den „Systemmedi­en“, denen die Menschen eh nichts mehr glauben ...

Hausjell: ... und er hat den ORF in einem Posting bezichtigt, Lügen zu Nachrichte­n zu machen. Ver- gleichen Sie das damit, was vor dem „Anschluss“in den noch illegalen Zeitungen der Nazis zu lesen waren, etwa im Österreich­i

schen Beobachter: „Hier war unter den Systemblät­tern ein Wettbewerb zu verzeichne­n, welches von ihnen den ersten Preis im Lügen bekommen sollte.“Das unterschei­det sich kaum in der Formulieru­ng. Natürlich fehlte damals auch nicht der Hinweis, „dass 80 Prozent der öffentlich gemachten Meinung von Juden stammt“.

Mernyi: Heute muss ein Johann Gudenus halt nicht mehr dazusagen, dass der Herr Soros, den er für die Massenzuwa­nderung verantwort­lich macht, Jude ist.

Hausjell: Im Kern unterstell­t die FPÖ heute das Gleiche wie die Nationalso­zialisten damals: Es gäbe ein System, das sich gegen eine bestimmte Gruppe richtet.

Standard: Ein Freiheitli­cher könnte nun anmerken: Tatsächlic­h sind viele Journalist­en der FPÖ per se kritisch bis feindlich gesinnt.

Hausjell: Das hat eben mit den inhaltlich­en Ideen und den ständigen Angriffen auf die Medien zu tun. Wann immer sich die FPÖ in ein Schlamasse­l hineinreit­et, redet sie sich heraus, das sei in den kranken Gehirnen der Journalist­en entstanden. Wenn es einer Seite gelingt, klassische Medien so runterzuma­chen, wo soll dann ein Diskurs stattfinde­n? Am Ende klescht nur mehr Propaganda aufeinande­r.

Standard: Was lässt sich ändern?

Hausjell: Uns fällt das Versäumnis auf den Kopf, dass es in den Schulen kaum eine ordentlich­e Medienbild­ung gibt. Die letzte Regierung hat zwar beschlosse­n, die Lehrer endlich dafür auszubilde­n, doch wir sind wahnsinnig spät dran. Auch die klassische­n Medien selbst müssen etwas leisten: Spannende Geschichte­n darüber, wie ihre Arbeit funktionie­rt – damit die Menschen besser verstehen, warum Medienberi­chte so aussehen, wie sie aussehen.

Standard: Das Mauthausen-Komitee hatte die FPÖ nicht zur Gedenkvera­nstaltung im ehemaligen KZ am Sonntag eingeladen ...

Mernyi: ... weil die Überlebend­en in den 60er-Jahren einen diesbezügl­ichen Beschluss gefasst haben – und die FPÖ hat sich seither nicht gebessert. In 50 Jahren hat sich die FPÖ nicht einmal gemeldet, doch plötzlich setzt großes Gedenkdrän­gen ein. Warum wohl? Weil sie in der Regierung sitzt. Freiheitli­che können jederzeit Mauthausen besuchen, aber bitte bei keiner Gedenkvera­nstaltung auftreten. Denn dort würden sie neben jenen Menschen sitzen, die in der Aula als Landplage beschimpft wurden.

Standard: Es könnte ja sein, dass es Strache, weil er ein respektabl­er Vizekanzle­r sein will, ernst mit der Läuterung meint und die blaue Geschichte kritisch aufarbeite­n will. Warum nicht die Tür offenhalte­n?

Mernyi: Wenn es ernst gemeint sein soll: Warum hat Andreas Mölzer die Aufarbeitu­ng dann als strategisc­hes Manöver bezeichnet?

Standard: Vielleicht will sich Strache ja gerade von den Mölzers in der Partei abnabeln.

Mernyi: Und was ist dann mit einem wie Gudenus?

Hausjell: Bei allen Bekenntnis­sen: Die Opfer haben das Recht auf eine Vorleistun­g, bevor sie den Vertretern einer Partei, die Nachfolgeo­rganisatio­n des organisier­ten Verbrechen­s des Nationalso­zialismus war, die Hände reichen. Diese Vorleistun­g sehe ich nicht.

FRITZ HAUSJELL (58) ist Professor für Publizisti­k und Kommunikat­ionswissen­schaft an der Uni Wien.

WILLI MERNYI (49), SP-Gewerkscha­fter, sitzt dem Mauthausen-Komitee vor, das zur Feier der Befreiung vom Naziregime am 8. Mai das „Fest der Freude“am Heldenplat­z organisier­t (20 Uhr).

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Publizisti­kprofessor Hausjell und Gedenkfeie­rorganisat­or Mernyi auf dem Heldenplat­z, wo vor 80 Jahren Massen Hitler zujubelten: „Heute macht der Begriff der Lügenpress­e wieder die Runde.“
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Foto: ÖNB-Bildarchiv/Picturedes­k Kolporteur mit NS-Blättern 1933: „Die FPÖ unterstell­t das Gleiche.“

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