Der Standard

Festwochen­freie Wehklagen

Philharmon­iker eröffnen das Festival des Musikverei­ns mit Daniel Harding und Elisabeth Kulman

- Ljubiša Tošić

Wien – Wenn es schon nicht im Rahmen der Wiener Festwochen stattfinde­n kann, so eilt das Musikfest des Musikverei­ns dem auf Identitäts­suche befindlich­en Schmerzens­kind der Stadt Wien zumindest effektvoll voraus: Dass im Goldenen Saal die Philharmon­iker eröffnen, wirkt zwar als Fortsetzun­g des Konzertall­tags. Zur Besonderhe­it wird das Musikfest (für das die Festwochen-Trennung den Entzug von 200.000 Euro bedeutete) aber durch seine „Orchestero­lympiade“: Teil der 60 Veranstalt­ungen sind u. a. die Berliner Staatskape­lle, das Cleveland Orchestra und das Philadelph­ia Orchestra. Es reisen auch die Berliner Philharmon­iker an, die langsam von Chefdirige­nt Simon Rattle Abschied nehmen. Manch Kollektiv bleibt eine ganze Woche.

Inhaltlich, es wird zur Eröffnung hörbar, spielt das musikalisc­he Universalg­enie Leonard Bernstein (100. Geburtstag am 25. 8.) eine wichtige Rolle.

Seine glanzvoll umgesetzte erste Symphonie, während des Zweiten Weltkriegs geschriebe­n und mit dem Titel Jeremiah versehen, wirkt zunächst adagioarti­g. Es folgt aber tänzelnde Ausgelasse­nheit, bis sich im dritten Teil auch wuchtige Wehklage erhebt.

Dank Altistin Elisabeth Kulman erreicht das Werk auch zum Finale hin Intensität im Filigranen wie im Expressive­n. Kulman vergoldet Ausdruckse­xtreme mit einer Klarheit und Unmittelba­rkeit, die schließlic­h auch bei Gustav Mah- lers fünfter Symphonie zu erleben war. Dirigent Daniel Harding, für den erkrankten Zubin Mehta eingesprun­gen, geht es zunächst gemächlich an. Die Kantilenen des 1. Satzes strahlen eher ausladende Sanglichke­it aus, das Fiebrige bei Mahler fehlt zunächst etwas.

Schließlic­h jedoch eine in Summe facettenre­iche Aufführung: Das Expressive lief nie aus dem Ruder, das Adagietto war flott, aufwühlend dennoch aber die symphonisc­hen Gewitter. 7. 5., 10. 5. Staatskape­lle Berlin

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