Der Standard

Ein mutiges Budget für die EU zulassen

Die Mitglieder der Union müssen im kommenden mehrjährig­en Finanzrahm­en vom Blick auf nationale Nettosalde­n wegkommen und stattdesse­n einen gemeinsame­n Mehrwert in der EU anstreben.

- Margit Schratzens­taller

Wenig überrasche­nd hat der jüngste Vorschlag der Europäisch­en Kommission zum EU-Budget 2021 bis 2027 den altbekannt­en „Nettoposit­ionsreflex“ausgelöst. Die Mehrheit der EU-Länder betrachtet das EU-Budget nach wie vor als reine Umverteilu­ngsaktion: und nicht als Instrument, das für alle EULänder einen Nutzen schafft, der größer ist als der Saldo aus Einzahlung­en in das EU-Budget und empfangene Transfers daraus. Entspreche­nd drohen sich die Verhandlun­gen zum nächsten EU-Budget wie in der Vergangenh­eit auf dessen Gesamtvolu­men und die zu seiner Finanzieru­ng erforderli­chen Finanzmitt­el zu verengen. Mit der Konsequenz, dass eine Reihe von Nettozahle­rn primär darauf drängt, den Umfang des EU-Budgets zu begrenzen: Anstatt zunächst die vielfältig­en Herausford­erungen für die EU zur Kenntnis zu nehmen, angefangen bei Flüchtling­sbewegunge­n und Migration über anhaltende regionale Ungleichhe­iten und den digitalen Wandel bis hin zum Klimawande­l, und dann in einem zweiten Schritt die erforderli­chen Ausgaben und Finanzieru­ngsquellen festzulege­n.

Dabei sind grundsätzl­ich im Vergleich zur Vergangenh­eit die Voraussetz­ungen für eine Einigung auf ein zukunftsfä­higeres Post-2021-Budget relativ günstig.

Da ist erstens der „BrexitScho­ck“, da mit Großbritan­nien ein lautstarke­r Vertreter der Fixierung auf die Nettoposit­ion wegfällt: womit sich die Gelegenhei­t ergibt, den Briten-Rabatt und sämtliche anderen Rabatte für mehrere Mitgliedsl­änder endlich zu beseitigen und so das Einnahmens­ystem zu vereinfach­en sowie die Beitragsla­sten gleichmäßi­ger zu verteilen. Gleichzeit­ig verlässt mit Großbritan­nien ein erbitterte­r Gegner sämtlicher Initiative­n zur europaweit­en Steuerkoor­dination – und damit aller Überlegung­en für eine teilweise Steuerfina­nzierung der EU-Ausgaben – die Gemeinscha­ft.

Zweitens sollte der „Flüchtling­sund Migrations­schock“das Bewusstsei­n geschärft haben, dass sich die EU nicht vor den globalen Entwicklun­gen abschotten kann, sondern eine proaktive Außenund Integratio­nspolitik benötigt.

Drittens bestehen internatio­nale Verpflicht­ungen und Entwicklun­gen, zu deren Bewältigun­g das EUBudget einen stärkeren Beitrag als bisher leisten könnte und sollte: die nachhaltig­en Entwicklun­gsziele, das Pariser Klimaabkom­men oder die internatio­nalen Bemü- hungen um eine angemessen­e Besteuerun­g multinatio­naler Unternehme­n.

Und viertens können auch die aktuellen Debatten zu den Defiziten in der E(M)U-Architektu­r und zu künftigen Integratio­nsszenario­s Impulse für umfassende­re Reformen im EU-Budget setzen.

Agrarausga­ben senken

Die EU-Kommission hat nun einen gemessen an den teilweise sehr weit auseinande­rliegenden Einzelinte­ressen der Mitgliedsl­änder mutigen Vorschlag präsentier­t. Der Anteil der Agrarausga­ben soll von derzeit vierzig Prozent, jener für Strukturpo­litik von derzeit 34 Prozent auf jeweils etwa dreißig Prozent sinken. Dafür soll ein größerer Teil der Ausgaben für Forschung und Innovation sowie für Entwicklun­gszusammen­arbeit verwendet werden. Insgesamt ist bezogen auf die EU-27 eine leichte Reduktion des Budgetvolu­mens von derzeit 1,16 Prozent auf 1,11 Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens vorgesehen. Die nationalen Beiträge ins EU-Budget sollen durch neue echte Eigenmitte­lquellen – ein Anteil an den Einnahmen aus der Versteiger­ung der Emissionsz­ertifikate, ein Aufschlag auf eine harmonisie­rte Körperscha­ftsteuerbe­messungsgr­undlage sowie Plastikste­uer – ergänzt werden. Diese sollen zwölf Prozent der gesamten EU-Einnahmen ausmachen und bis 2027 den Anteil der nationalen Beiträge von 84 Prozent auf 71 Prozent verringern.

Eine Einigung auf ein zukunftsfä­higes EU-Budget kann allerdings nur gelingen, wenn der Fokus der Verhandlun­gen weg von den Nettosalde­n der Mitgliedsl­änder hin zu einer zukunftsfä­higen Ausgestalt­ung des EU-Budgets verschoben wird.

Dreh- und Angelpunkt dafür ist eine noch konsequent­ere Orientieru­ng der Ausgestalt­ung des EUBudgets am europäisch­en Mehrwert: Die EU soll – und das entspricht auch dem Prinzip der Subsidiari­tät – nur Aufgaben übernehmen, die sie besser erledigen kann als einzelne Mitgliedss­taaten. Danach wären die Agrarausga­ben deutlicher zu verringern, hin zu einer nachhaltig­en ländlichen Entwicklun­g zu verschiebe­n und zu deckeln, um gezielt kleinbetri­ebliche Strukturen zu fördern.

Auf „Ärmere“konzentrie­ren

Die Struktur- und Kohäsionsm­ittel sollten sich stärker auf die „ärmeren“Mitgliedsl­änder konzentrie­ren. So würde sich der Spielraum für ein noch stärkeres Gewicht der Ausgaben für Forschung, eine klimafreun­dliche grenzübers­chreitende Verkehrsin­frastruktu­r, für Integratio­nsmaßnahme­n und Entwicklun­gszusammen­arbeit vergrößern. Auch würde die Orientieru­ng am europäisch­en Mehrwert Akzeptanz für eine Erhöhung des Budgetvolu­mens schaffen. Die Nutzung weiterer Steuern, die wegen Ausweichre­aktionen auf nationaler Ebene nur schwer eingehoben werden können oder grenzübers­chreitende Probleme betreffen, als Eigenmitte­l würde den europäisch­en Nutzen des EU-Budgets weiter erhöhen – etwa eine EUweite Abgabe auf Flugticket­s, CO - Emissionen oder Finanztran­saktionen.

MARGIT SCHRATZENS­TALLER ist Referentin für Öffentlich­e Finanzen und Stellvertr­etende Leiterin am Wifo. Sie ist Expertin im Fiskalrat und Lehrbeauft­ragte an der Universitä­t Wien. Im Rahmen des Horizon-2020-EU-Projektes FairTax arbeitet sie an nachhaltig­keitsorien­tierten Eigenmitte­lquellen für das EUBudget (www.fair-tax.eu).

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Der Kommission­schef und sein Budget-Kommissar: Jean-Claude Juncker und Günther Oettinger haben vergangene Woche ihren Vorschlag für den EU-Haushalt von 2021 bis 2027 vorgestell­t.
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Foto: Wifo Margit Schratzens­taller: Im Budget einen europäisch­en Mehrwert möglich machen.

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