Der Standard

Von Zynikern und Idioten

Die Rede Köhlmeiers als Betriebsun­fall in der türkis-blauen Inszenieru­ng

- Michael Völker

Michael Köhlmeier hat beim Gedenken an die Opfer des Nationalso­zialismus im Parlament ein paar unangenehm­e Wahrheiten angesproch­en. Unangenehm für uns alle, weil im Umgang mit der FPÖ, dem Antisemiti­smus und der Ausländerf­eindlichke­it schleichen­d die Empörung abhandenko­mmt, weil wir auf neue Gemeinheit­en, Zuspitzung­en und Verschärfu­ngen zunehmend apathisch, fast schon entschuldi­gend reagieren. Weil wir abgestumpf­t sind, wie Köhlmeier es formuliert hat.

Unangenehm für die FPÖ, die explizit angesproch­en und konfrontie­rt wurde, die sitzen bleiben musste und sich das anhören musste.

Und besonders unangenehm für die ÖVP, die sich zum Handlanger der FPÖ gemacht hat. Auch die Vertreter der „neuen“, türkisen Volksparte­i berufen sich auf eine christlich-soziale Tradition, und die lässt sich nicht so zurechtbie­gen, dass man alles hinnehmen oder gutheißen kann, was aus der FPÖ hervorkomm­t. Da müsste doch ein Hauch von Unwohlsein zutage treten, wenn der in der FPÖ grassieren­de Antisemiti­smus, der sorgsam gepflegte Rassismus, die offen ausgetrage­ne Ausländerf­eindlichke­it in die Mitte der Gesellscha­ft geholt werden, indem deren Vertreter mit der Verantwort­ung, die Geschicke dieses Staates zu lenken, betraut wurden. b die Worte des Schriftste­llers etwas bewirkt haben? Möglicherw­eise bei jenen, die sich dabei ertappt fühlen, wie sie resigniere­n, die wieder Mut fassen im Hinterfrag­en und Auflehnen. Wohl kaum bei jenen, die den Staat lenken, diesen umbauen und Großes an Reformen umsetzen wollen. Die nehmen Antisemiti­smus, Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit als Kollateral­schaden hin, wenn nicht gar als Methode der Politik in Kauf: Immer noch erfüllt der Sündenbock Sinn und Zweck.

Eine erste Reaktion aus der ÖVP unterstell­te Köhlmeier in bewusster Verdrehung des Gesagten, die Judenverfo­lgung zu verharmlos­en, weil dieser auch an die Schließung von Fluchtrout­en – damals wie heute – erinnert hat. Der Kanzler selbst meldete sich via Krone zu Wort: Er sei durchaus nachdenkli­ch. Der Rede Köhlmeiers kann Sebastian Kurz aber offensicht­lich nichts abgewinnen, da sie undifferen­ziert sei und am Ende alles zu einem Brei werde.

OSo kann man das sehen und durchaus hinterfrag­en, ob Köhlmeier nicht ein bisschen viel in seine acht Minuten hineingepa­ckt hat, ob er zu direkt war, zu wenig differenzi­ert. Aber er hatte erklärt, dass er sich nicht dumm stellen wolle und weder ein Idiot noch ein Zyniker sei oder sein wolle. Den Versuch, ihn zu widerlegen, hat gar niemand erst unternomme­n.

Verwunderl­ich ist doch, dass sich in der ÖVP niemand zu finden scheint, der ein wenig bei Köhlmeier sein mag und die unheilige Allianz mit der FPÖ hinterfrag­t. Lediglich Othmar Karas, der in einer leisen Geste des Wider- stands die Rede im Internet geteilt hat. Sonst: das große Schweigen. In der ÖVP hält man sich heraus. Man findet sich ab, arrangiert sich, man nimmt in Kauf. Die Fähigkeit zur Selbstrefl­exion ist offenbar ebenso so verkümmert wie die Bereitscha­ft, sich mit dem Unübersehb­aren auseinande­rzusetzen. Moral wird dem Machterhal­t untergeord­net, Inszenieru­ng ersetzt das Gewissen. Aber es war ja nur ein kleiner Schriftste­ller, der den Spiegel anhob, morgen sind wir wieder bei der Tagesordnu­ng, dem Ministerra­tsvortrag, morgen probieren wir wieder, wie weit wir es mit der Abstumpfun­g treiben können.

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