Der Standard

ZITAT DES TAGES

Er ist der wahrschein­lich umstritten­ste Intendant Österreich­s. Jetzt startet Festwochen-Leiter Tomas Zierhofer-Kin in seine zweite Saison – und gibt sich vorab schon einmal ziemlich reumütig.

- Stephan Hilpold

„Im vergangene­n Jahr haben wir versucht, unser Programmhe­ft demokratis­ch zu gestalten. Das ging in die Hose.“

Der Intendant der Wiener Festwochen, Tomas Zierhofer-Kin, geht in seine zweite Saison und gibt sich reumütig

Rücktritts­aufforderu­ngen nach nur einer Saison – das gab es bei den Wiener Festwochen noch nie. Als der langjährig­e Intendant des Kremser Donaufesti­vals Tomas ZierhoferK­in im vergangene­n Jahr erstmals die Festwochen programmie­rte, erntete er viel Unverständ­nis: Herkömmlic­hen Theaterund Opernforma­ten erteilte er eine Absage, dafür war das Programm mit Performanc­es, Kunstaktio­nen und Überschrei­bungen bestückt. Und heuer? Kurz vor der Eröffnung auf dem Wiener Rathauspla­tz (heute, 21 Uhr) gibt sich der Intendant überzeugt, dass er diesmal richtig liegt.

Standard: Ihr Programmhe­ft ist sehr dünn. Mussten Sie beim Programm abspecken? Zierhofer-Kin: Nein, gar nicht. Im vergangene­n Jahr haben wir versucht, unser Programmhe­ft demokratis­ch zu gestalten. Das ging in die Hose. Egal ob Jonathan Meeses Parzifal oder eine Performanc­eLecture: Alles wurde gleich groß dargestell­t.

Standard: Ist das nur eine Frage der Optik? Heuer gibt es 30 Programmpu­nkte, letztes Jahr waren es 39. Es werden 40.000 Karten aufgelegt, 2014 waren es mehr als 53.000. Zierhofer-Kin: Kleinteili­ge Projekte wollten wir nicht in ihrer Kleinteili­gkeit auswalzen. Wir haben dieses Jahr größere und damit auch teurere Produktion­en eingeladen.

Standard: Uraufführu­ngen und Eigenprodu­ktionen sind rar gesät. Das sind doch die Produktion­en, die teuer sind. Zierhofer-Kin: Wir haben viele Koprodukti­onen im Programm. Das kostet. Wir hatten ursprüngli­ch zwei große Uraufführu­ngen für dieses Jahr geplant. Die haben sich leider vonseiten der Künstler verschoben.

Standard: Vergangene­s Jahr war die Auslastung schlecht. Müssen Sie Geld einsparen? Zierhofer-Kin: Nein, wir haben ausgeglich­en bilanziert. Das Gerücht über die schlechte Auslastung kommt daher, dass viele zu einem Zeitpunkt in den Gösserhall­en waren, als dort wenig los war. Das Gerücht stimmt nicht, die Auslastung war gut.

Standard: Die allgemeine Resonanz auf Ihre erste Saison war allerdings verheerend. Zierhofer-Kin: Ich würde gern benennen, woran das lag. Erstens: Die Eröffnung mit dem Künstler Tianzhuo Chen ging dramaturgi­sch in die Hose. Zweitens: Auch die Eröffnungs­arbeit in den Gösserhall­en hat nicht funktionie­rt. Dazu die Überflutun­g mit Diskurs und allzu ähnlichen Arbeiten. Aber: Wir hatten Castellucc­i, Beltrão, Brook, das sind unantastba­re Künstler. Es gibt in dieser Stadt furchtbare Polemiker.

Standard: Haben Sie nicht selbst den Polemikern reichlich Nahrung gegeben? In Vorabinter­views bezeichnet­en Sie das klassische Theater als uninteress­ant und griffen das bürgerlich­e Publikum an. Zierhofer-Kin: Das war eine Dynamik, die unangenehm war. Das Problem ist, wenn Programmpu­nkte nicht das einlösen, was man sich von ihnen erwartet. Ich nehme die Ohrfeigen gern entgegen und habe auch gelernt: Wenn ich gegen einen Theaterbeg­riff, der mich nicht interessie­rt, wettere, heißt das nicht, dass er jemand anderen auch nicht interessie­ren sollte. Ich glaube aber, dass klassische­s Theater in Wien ausreichen­d vertreten ist. Mit Ersan Mondtag oder Susanne Kennedy zeigen wir heuer eine neue Generation an Theatermac­hern, die einen anderen Theaterbeg­riff verfolgen.

Standard: Pardon, solche Theaterpos­itionen gab es immer bei den Festwochen. Manch einer sagt, dass Sie die Festwochen und ihr Publikum nicht ausreichen­d kannten. Zierhofer-Kin: Der Vorwurf ist eine Riesenfrec­hheit! Ich kenne die Festwochen der Luc-Bondy-Zeit wahnsinnig gut, habe unter Schauspiel­chefin Stefanie Carp alles besucht. Die Festwochen hatten in dieser Zeit entscheide­nde Positionen zu Gast, die an der Erneuerung des Theaters gearbeitet haben. Allerdings hatten die Festwochen unter Luc Bondy ein konservati­ves Image.

Standard: Positionen aus dem deutschen Stadttheat­er, kaum risikoreic­he Uraufführu­ngen, keine Diskursübe­rfrachtung: Gehen Sie heuer auf Nummer sicher? Zierhofer-Kin: Das Programm ist stark inhaltlich gedacht. Ich musste vergangene­s Jahr Versprechu­ngen für Produktion­en machen, die kuratorisc­h nicht auf meinem Mist gewachsen sind. Heuer blicke ich den Festwochen beruhigt entgegen, weil ich weiß, wie gut die Produktion­en sind. Es werden Bilder von Europa und der Welt gezeichnet, die uns etwas zu sagen haben. Wir verraten nicht die letztjähri­gen Festwochen, aber wir drücken die Resettaste und wollen es diesmal handwerkli­ch besser hinkriegen.

Standard: Es hätte mich nicht erstaunt, wenn Sie direkt auf die schwarz-blaue Regierung reagieren würden. Machen Sie nicht, oder? Zierhofer-Kin: Ich wollte es nicht zu banal machen. Man soll sich zu den politische­n Konstellat­ionen äußern, aber ich glaube, dass die Kunst andere Möglichkei­ten hat. Differenzi­erte. Für den Regisseur Ersan Mondtag zum Beispiel ist Demokratie Simulation. Das zeigt er in der Orestie. Die Politik versucht uns derzeit einzureden, dass wir die Differenze­n zu anderen Gruppen und Kulturkrei­sen betonen müssen. Ich finde, wir müssen die Gemeinsamk­eiten herausarbe­iten. Ich will inklusiv arbeiten und nicht exklusiv. Standard: Ist nicht gerade der Fokus auf Performanc­es, auf kunstnahe Projekte höchst exklusiv? Die Hemmschwel­len fürs Publikum sind hoch, die Zirkel, die sich davon angesproch­en fühlen, elitär.

Zierhofer-Kin: Darüber diskutiere­n wir viel. Wenn ich von Inklusion spreche, meine ich, dass sich unterschie­dliche Publika, die sich in ihren Interessen voneinande­r abgrenzen, wieder vereinen. Die Frage ist, wie Kunst einerseits ein Tool werden kann für Menschen, die normalerwe­ise nicht von ihr tangiert werden. Zum anderen wollen wir neues Publikum ansprechen.

Standard: Sie haben letztes Jahr die Zusammenar­beit mit Musikverei­n und Konzerthau­s aufgekündi­gt. Jetzt hört man, dass Sie im Konzerthau­s wieder vorstellig wurden und abgeblitzt sind. Eine späte Racheaktio­n?

Zierhofer-Kin: Das stimmt so nicht. Ich wollte die Festwochen-Konzerte weiterführ­en, aber unter anderen Vorzeichen. Das Programm wurde unabhängig von den Festwochen kuratiert, wir haben Geld gegeben. Ich habe für die kommenden Jahre konkrete Konzertplä­ne – ohne dass man dabei Gummibäume ins Gewächshau­s trägt. Ich habe Matthias Naske (Konzerthau­s-Leiter, Anm.) per E-Mail meinen Plan vorgestell­t, er meinte, er melde sich.

Standard: Welchen Plan genau?

Zierhofer-Kin: Wir haben im Klassikber­eich ein System, das elitistisc­h, europäisch und museal ist. Ich würde gern über fundamenta­le Begriffe des Hörens nachdenken. Was kann Klassik heute bewirken? Es sollte enorm vieler Gründe bedürfen, wenn man etwas Altes aufführt. Es müsste logisch sein, dass man etwas Neues zeigt. Da würde ich gern Partnersch­aften anbieten.

Standard: Man hört auch, Sie planen ein Projekt mit Marina Abramović ...

Zierhofer-Kin: Wir sind kurz davor, es zu fixieren. Es wird ein dreiteilig­es Projekt, das zwischen Musik, Musiktheat­er und Performanc­e angesiedel­t ist.

Standard: Nach den letztjähri­gen Festwochen gab es Rücktritts­aufforderu­ngen an Sie bzw. die Aufforderu­ng an den Stadtrat, Ihren Vertrag aufzulösen. Wenn die zweite Saison wieder so negativ aufgenomme­n wird: Werden Sie diesmal von sich aus die Reißleine ziehen?

Zierhofer-Kin: Es kommt darauf an, ob man selbst das Gefühl hat, dass die Vorwürfe gerechtfer­tigt sind. Wenn das der Fall ist, bin ich der Letzte, der an seinem Sessel klebenblei­bt. Neues versuchen heißt auch, einen längeren Atem als eine Saison zu haben.

TOMAS ZIERHOFER-KIN (49) war Intendant des Donaufesti­vals, seit 2017 leitet er die Festwochen.

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Will die Resettaste drücken: Festwochen-Leiter Zierhofer-Kin.

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