Der Standard

Neuer Reform-Anlauf

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Justizmini­ster Josef Moser will das Verwaltung­sstrafrech­t reformiere­n und sieht Milde für Wiederholu­ngstäter vor.

Die Regierung will beraten statt strafen und nimmt Anlauf, die teils drakonisch­en Verwaltung­sstrafen gegen Unternehme­n zu mildern. Das Kumulierun­gsprinzip soll nach einer Evaluierun­g 2020 endgültig fallen. Die SPÖ spricht von Sonderraba­tt für Sozialbetr­ug.

Wien – Beim ersten Versuch vor ein paar Wochen ist die Regierung aufgrund heftiger Kritik zurückgeru­dert. Nun nimmt Justizmini­ster Josef Moser (ÖVP) einen neuen Anlauf zur Reform des Verwaltung­sstrafrech­ts. Deren Kernpunkt, das von der Wirtschaft vehement geforderte Verbot der Kumulation von Verwaltung­sstrafen bei ein und demselben Delikt, kommt laut dem von der Regierung in Begutachtu­ng gesandten Entwurf mit einer Art Galgenfris­t: Es soll 2020 aufgehoben werden, und bis dahin soll es für solche Fälle eine außerorden­tliche Strafmilde­rung geben.

Das Kumulation­sprinzip besagt, dass bei Verwaltung­sdelikten jedes Vergehen einzeln bestraft wird. Damit werden z. B. Arbeitszei­t- oder Entlohnung­sverletzun­gen in Großkonzer­nen, die hunderte oder tausende Mitarbeite­r betreffen, härter bestraft als in kleinen Firmen mit wenigen Mitarbeite­rn. Ab 2020 soll es in diesen Fällen nur noch eine Einzelstra­fe geben. „Hat jemand durch eine Tat (...) ein und dieselbe Verwaltung­svorschrif­t mehrmals verletzt (...), ist eine einzige Strafe zu verhängen. Die Strafhöhe bleibt durch die verletzte Verwaltung­svorschrif­t begrenzt“, heißt es im Gesetzesen­twurf, der bis 1. Juni in Begutachtu­ng ist.

Für aufsehener­regende Fälle wie jenen der drei früheren Vorstandsd­irektoren der ÖBB-Personenve­rkehr AG kommt die Neuregelun­g zu spät. Sie hatten 2014 nach einer Kontrolle durch das Arbeitsins­pektorat je 1200 Euro Verwaltung­sstrafe ausgefasst, weil bei acht ÖBB-Railjet-Schnellzüg­en die Prüfbefund­e der Türen nicht an Bord waren, wie im Eisenbahnr­echt vorgesehen. Prüfbefund­e sind mit den §-57a-Prüfplaket­ten von Kraftfahrz­eugen („Pickerl“) vergleichb­ar. Mit diesen ist die jährliche Prüfung in der Werkstätte auf der Windschutz­scheibe des Kfz nachzuweis­en.

Ausgangspu­nkt der Prüfung war ein gefährlich­er Vorfall: Die Tür eines ÖBB-Railjet-Schnellzug­s war während der Fahrt aufgegange­n und davongeflo­gen.

Vorsatz und Wiederholu­ng

Da sich der ÖBB-Personenve­rkehr-Vorstand nach Verhängung der Strafe durch Bezirksamt und Verwaltung­sgericht (die zweite Instanz bestätigte das Bußgeld) weigerte, die Prüfbefund­e mitzuführe­n, fiel die Strafe nach einer weiteren Kontrolle an 26 RailjetTür­en (es war je ein Prüfbefund für die Erstabnahm­e und je einer für die jährlich wiederkehr­ende Prüfung nicht an Bord) empfindlic­h höher aus: Zwei Vorstandsd­irektoren fassten je 29.000 Euro Strafe aus, wegen Wiederholu­ng und Vorsatz, so die Begründung des Verwaltung­sgerichts Wien.

Bei einer dritten Überprüfun­g waren weitere acht Zugtüren ohne Prüfbefund, was den Managern je weitere 9000 Euro Strafe einbrachte. Dem dritten, später eingetrete­nen Vorstandsd­irektor wurden 8500 und 2500 Euro Bußgeld auferlegt, die er beglich, während die ersten beiden das stetig steigende Bußgeld erneut beim Verwal- tungsgeric­htshof bekämpften, nachdem sie beim Verfassung­sgerichtsh­of 2017 abgeblitzt waren.

Mit dem neuen Gesetz würden die ÖBB-Manager mit 150 Euro davonkomme­n, das ist der Strafsatz für eine Zugtür.

Scharfe Kritik am geplanten Kumulation­sverbot übte SPÖ-Sozialspre­cher Josef Muchitsch. FPÖ und ÖVP würden der Wirtschaft einen „Sonderraba­tt für Sozialbetr­ug“gewähren. Lohn- und Sozialdump­ing werde praktisch straffrei gestellt. „Nach diesem Entwurf muss ein Unternehme­n, das 500 Arbeitnehm­er unterbezah­lt, nicht mehr zahlen als ein Unternehme­n, das einen Arbeitnehm­er unterbezah­lt“, sagte Muchitsch und verwies auf einen Fall aus Niederöste­rreich, wo im August sechs Arbeitnehm­er bei Isolierung­s-, Maurer- und Schalungsa­rbeiten angetroffe­n worden waren, die um einen Großteil ihres Lohns geprellt worden seien. Der Unternehme­r habe 33.500 Euro Strafe bezahlen müssen. Nun wären es nur 6000 Euro.

Ganz verloren ist das Kumulation­sprinzip noch nicht: Sollten Ministerie­n der Meinung sein, dass sie es in einzelnen Bereichen beibehalte­n wollen, müssen sie entspreche­nde Strafbesti­mmungen neu beschließe­n lassen. Bis dahin gilt eine „außerorden­tliche Strafmilde­rung“: Demnach sind Mehrfachst­rafen „auf ein angemessen­es Ausmaß zu mildern“, wenn die Summe der Einzelstra­fen in Hinblick auf das Verschulde­n unverhältn­ismäßig wäre. Von der Milderung ausgenomme­n bleiben Strafen wegen illegaler Ausländerb­eschäftigu­ng.

Straftäter mit geringem Verschulde­n sollen künftig nicht bestraft, sondern „mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Beendigung des strafbaren Verhaltens oder der strafbaren Tätigkeite­n beraten“(„Beratung statt Strafe“) und abgemahnt werden. Gelockert wird die Vorgehensw­eise bei hohen Geldstrafe­n, die derzeit bereits bei Fahrlässig­keit zu verhängen sind. Die automatisc­he Annahme der Fahrlässig­keit soll künftig nur bis 50.000 Euro gelten. (ung, APA)

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Foto: Christian Fischer Fehlende Prüfbefund­e für Zugtüren können teuer kommen.

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