Geehrter Macron will mehr Tempo
Paris hält mehr Tempo bei der EU-Integration für lebensnotwendig. Das hat Präsident Macron bei der Karlspreisverleihung deutlich gemacht. Aber Kanzlerin Merkel zögert.
Geehrt, aber nicht überzeugt gab sich Emmanuel Macron am Donnerstag in Aachen: Dort war Frankreichs Präsident der Karlspreis für seine Verdienste um Europa verliehen worden, Kanzlerin Angela Merkel hatte die Laudatio auf den „lieben Emmanuel“gehalten. Doch dieser hätte gern mehr gehabt – nämlich Tempo bei der Reform der EU. Merkel sagte ihm aber auch am Donnerstag nur gemeinsame „Vorschläge“bis Juni zu.
Wir dürfen keine Angst haben. Und nicht weiter zuwarten. Wir müssen handeln. Jetzt.“Die Sätze, die Emmanuel Macron am Donnerstag im Finale seiner Ansprache zur Verleihung des Karlspreises wählt, prasseln wie Hammerschläge auf die hunderten Zuhörer im historischen Krönungssaal des Aachener Rathauses herab. Der französische Staatspräsident hat sich hörbar warmgeredet. Hat erklärt, wie und warum die Europäer näher zusammenrücken müssen, um die Herausforderungen in der Welt erfolgreich bestehen zu können. Welche Reformen dringlich seien, damit wirtschaftlicher Erfolg, Digitalisierung und Modernisierung Europas gelingen können.
Und er hat vor dem Hintergrund der jüngsten Eskalation in Nahost „vier Imperative für Europa“aufgestellt, von denen man sich leiten lassen müsse: „Keine Zeit verlieren, sofort handeln“, lautet eine Maxime. „Wir dürfen nicht schwach sein“, eine andere. Sonst entschieden andere Mächte in der Welt, was in Europa passiere. Die Europäer dürften sich „nicht spalten lassen“. Und sie dürften eben „keine Angst haben vor dem, was vor uns liegt“. Direkt vor dem Prä- sidenten saß die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die vor ihm eine Laudatio gehalten hatte, ihn für seine Leidenschaft pries und dafür, dass er die Zögernden mit seiner Begeisterungsfähigkeit anstecke. Sie flocht auch ein, dass mit ihm 2017 „ein junger Mann die europäische Bühne betreten hat“, für den das offene Europa wie der Euro „eine Selbstverständlichkeit“sei. Macron sei „am Ende des Kalten Krieges elf oder zwölf Jahre alt gewesen“.
Das wirkte so, als würde eine Oma über ihren begabten Enkel reden – was nichts daran änderte, dass sie den „lieben Emmanuel“in höchsten Tönen pries. Vielleicht war es das, was Macron so deutlich werden ließ, was das deutsche Zögern betrifft „und dass wir manche Gelegenheit verpasst haben“. Wie sehr er Stärkung und Vertiefung der EU mit Leidenschaft verfolgt, hat er im ersten Jahr seiner Amtszeit bei mehreren „großen Reden“unter Beweis gestellt. An der Sorbonne in Paris hatte er Ausbaupläne zum Euro vorgelegt, bis hin zu einem EUFinanzminister samt Investitionsbudget für die Eurozone. Im März trommelte er im EU-Parlament für die Verteidigung der europäischen Demokratie gegen Nationa- lismus. Aber die Rede in Aachen war von einer Dringlichkeit und Eindringlichkeit, wie man sie nie gehört hat. Macron sieht nicht einfach nur die Union in Gefahr, sondern auch in einem viel größeren globalen Rahmen die jahrhundertelange europäische Kultur, wenn „man sich von der Tyrannei der Ereignisse treiben“lasse.
Alltagsrede der Kanzlerin
Mit Macron ehre man „den derzeit größten Impulsgeber für die Vereinigung Europas“, urteilte die Jury. Im Vergleich dazu blieb Merkel, von der eine „deutsche Antwort“auf Macron erwartet worden war, relativ verhalten. Sie zeigte sich lediglich überzeugt, dass man bis Juni einen gemeinsamen deutsch-französischen Vorschlag zur Eurovertiefung vorlegen werde, Asyl- und Migrationspolitik auf EU-Ebene müsse ebenso gestärkt werden wie die gemeinsame Außenpolitik. Routiniertes also, eine politische Alltagsrede. Die Kanzlerin betonte, dass sie in der neuen Gewalt im Nahen Osten „vor unserer Haustür“die große Herausforderung sieht. Gemeinsame europäische Außenpolitik sei „existenziell notwendig“.
Ganz anders Macron. Er drängte auf rasche Reformen. EU-Staaten müssten „über ihren Schatten springen“. Frankreich müsse deshalb etwa eine Änderung der EUVerträge und die Stärkung der Regeln in der EU akzeptieren, damit weniger öffentliches Geld ausgegeben werde. „Aber analog dazu kann es in Deutschland auch keinen Fetisch geben, der Haushaltsund Handelsüberschuss heißt. Das geht immer auf Kosten anderer“, merkte der Präsident, Merkels „junger Mann“, spitz an.