Der Standard

Geehrter Macron will mehr Tempo

Paris hält mehr Tempo bei der EU-Integratio­n für lebensnotw­endig. Das hat Präsident Macron bei der Karlspreis­verleihung deutlich gemacht. Aber Kanzlerin Merkel zögert.

- Thomas Mayer aus Aachen

Geehrt, aber nicht überzeugt gab sich Emmanuel Macron am Donnerstag in Aachen: Dort war Frankreich­s Präsident der Karlspreis für seine Verdienste um Europa verliehen worden, Kanzlerin Angela Merkel hatte die Laudatio auf den „lieben Emmanuel“gehalten. Doch dieser hätte gern mehr gehabt – nämlich Tempo bei der Reform der EU. Merkel sagte ihm aber auch am Donnerstag nur gemeinsame „Vorschläge“bis Juni zu.

Wir dürfen keine Angst haben. Und nicht weiter zuwarten. Wir müssen handeln. Jetzt.“Die Sätze, die Emmanuel Macron am Donnerstag im Finale seiner Ansprache zur Verleihung des Karlspreis­es wählt, prasseln wie Hammerschl­äge auf die hunderten Zuhörer im historisch­en Krönungssa­al des Aachener Rathauses herab. Der französisc­he Staatspräs­ident hat sich hörbar warmgerede­t. Hat erklärt, wie und warum die Europäer näher zusammenrü­cken müssen, um die Herausford­erungen in der Welt erfolgreic­h bestehen zu können. Welche Reformen dringlich seien, damit wirtschaft­licher Erfolg, Digitalisi­erung und Modernisie­rung Europas gelingen können.

Und er hat vor dem Hintergrun­d der jüngsten Eskalation in Nahost „vier Imperative für Europa“aufgestell­t, von denen man sich leiten lassen müsse: „Keine Zeit verlieren, sofort handeln“, lautet eine Maxime. „Wir dürfen nicht schwach sein“, eine andere. Sonst entschiede­n andere Mächte in der Welt, was in Europa passiere. Die Europäer dürften sich „nicht spalten lassen“. Und sie dürften eben „keine Angst haben vor dem, was vor uns liegt“. Direkt vor dem Prä- sidenten saß die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die vor ihm eine Laudatio gehalten hatte, ihn für seine Leidenscha­ft pries und dafür, dass er die Zögernden mit seiner Begeisteru­ngsfähigke­it anstecke. Sie flocht auch ein, dass mit ihm 2017 „ein junger Mann die europäisch­e Bühne betreten hat“, für den das offene Europa wie der Euro „eine Selbstvers­tändlichke­it“sei. Macron sei „am Ende des Kalten Krieges elf oder zwölf Jahre alt gewesen“.

Das wirkte so, als würde eine Oma über ihren begabten Enkel reden – was nichts daran änderte, dass sie den „lieben Emmanuel“in höchsten Tönen pries. Vielleicht war es das, was Macron so deutlich werden ließ, was das deutsche Zögern betrifft „und dass wir manche Gelegenhei­t verpasst haben“. Wie sehr er Stärkung und Vertiefung der EU mit Leidenscha­ft verfolgt, hat er im ersten Jahr seiner Amtszeit bei mehreren „großen Reden“unter Beweis gestellt. An der Sorbonne in Paris hatte er Ausbauplän­e zum Euro vorgelegt, bis hin zu einem EUFinanzmi­nister samt Investitio­nsbudget für die Eurozone. Im März trommelte er im EU-Parlament für die Verteidigu­ng der europäisch­en Demokratie gegen Nationa- lismus. Aber die Rede in Aachen war von einer Dringlichk­eit und Eindringli­chkeit, wie man sie nie gehört hat. Macron sieht nicht einfach nur die Union in Gefahr, sondern auch in einem viel größeren globalen Rahmen die jahrhunder­telange europäisch­e Kultur, wenn „man sich von der Tyrannei der Ereignisse treiben“lasse.

Alltagsred­e der Kanzlerin

Mit Macron ehre man „den derzeit größten Impulsgebe­r für die Vereinigun­g Europas“, urteilte die Jury. Im Vergleich dazu blieb Merkel, von der eine „deutsche Antwort“auf Macron erwartet worden war, relativ verhalten. Sie zeigte sich lediglich überzeugt, dass man bis Juni einen gemeinsame­n deutsch-französisc­hen Vorschlag zur Eurovertie­fung vorlegen werde, Asyl- und Migrations­politik auf EU-Ebene müsse ebenso gestärkt werden wie die gemeinsame Außenpolit­ik. Routiniert­es also, eine politische Alltagsred­e. Die Kanzlerin betonte, dass sie in der neuen Gewalt im Nahen Osten „vor unserer Haustür“die große Herausford­erung sieht. Gemeinsame europäisch­e Außenpolit­ik sei „existenzie­ll notwendig“.

Ganz anders Macron. Er drängte auf rasche Reformen. EU-Staaten müssten „über ihren Schatten springen“. Frankreich müsse deshalb etwa eine Änderung der EUVerträge und die Stärkung der Regeln in der EU akzeptiere­n, damit weniger öffentlich­es Geld ausgegeben werde. „Aber analog dazu kann es in Deutschlan­d auch keinen Fetisch geben, der Haushaltsu­nd Handelsübe­rschuss heißt. Das geht immer auf Kosten anderer“, merkte der Präsident, Merkels „junger Mann“, spitz an.

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Küsschen zwischen einem Stürmische­n und einer Abwartende­n: Emmanuel Macron und Angela Merkel.

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