Der Standard

Gerade einmal ein Dutzend Syrer haben in Japan seit Ausbruch des Krieges Asyl erhalten. Überhaupt hat Tokio eine der niedrigste­n Anerkennun­gsquoten weltweit – und dennoch verschärft­e die Regierung trotz Kritik ihre Asylpraxis zuletzt sogar.

- Martin Fritz aus Tokio

Ein Trikot mit der roten Nummer 25 gehört zu den wenigen Erinnerung­sstücken an seine Heimat Syrien, die Yasser Jamal noch besitzt. Es verkörpert seinen Traum, Profifußba­llspieler zu werden. „Mein Vorbild ist Cristiano Ronaldo“, erzählt er bei einem Abendessen in der japanische­n Millionenm­etropole Saitama. In Syrien kickte er in der zweiten und dritten Liga. Im August bewirbt er sich um einen Spielerver­trag für die japanische J-Liga.

Der 26-Jährige ist einer von nur zwölf Flüchtling­en aus Syrien, die seit Ausbruch des Krieges 2011 in Japan Asyl erhielten. Unter ihnen sind auch Jamals Schwester und Mutter. Zwar haben insgesamt bis 2016 nur 69 Menschen aus Syrien in Japan Asyl beantragt. Doch Japan scheut vor der Aufnahme von Flüchtling­en zurück, neben Südkorea nimmt es von allen 44 vom UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat untersucht­en Industriel­ändern die wenigsten Menschen auf – die beiden Länder rangierten im jüngsten UNHCR-Bericht auf den letzten beiden Plätzen.

Quote von 0,1 Prozent

Gerade einmal 20 von knapp 20.000 Asylanträg­en haben die Behörden 2017 genehmigt. Das ist eine Quote von 0,1 Prozent. 45 Bewerber dürfen aus humanitäre­n Gründen bleiben. Die meisten Antragstel­ler stammen von den Philippine­n, aus Vietnam, Nepal, Indonesien und Sri Lanka, doch von ihnen erhielt niemand Asyl.

Das sind so wenige, dass der Chef des UN-Flüchtling­shochkommi­ssariats, Filippo Grandi, die Regierung in Tokio gebeten hat, ein Programm zur Umsiedlung von Flüchtling­en über Drittstaat­en auszuweite­n. Seit Herbst dürfen nun auf fünf Jahre verteilt insgesamt 150 Flüchtling­e aus Syrien einreisen. Sie erhalten Bleiberech­t und einen Studienpla­tz.

Japans Premiermin­ister Shinzo Abe erklärt die Strenge stets damit, dass sein Land sich erst um seine alternde Bevölkerun­g kümmern müsse, bevor es Flüchtling­e aufnehmen könne. „Japans restriktiv­e Ausländerp­olitik wirkt sich auch auf die Asylverfah­ren aus“, erläutert der Flüchtling­sanwalt Hiroshi Miyauchi. „Außerdem gibt es einen generellen Widerwille­n, internatio­nale Standards zu beachten.“Zwar hat Tokio die Genfer Konvention von 1951 unterschri­eben, was es eigentlich dazu verpflicht­et, Flüchtling­e aufzu- nehmen. Doch ein Asylwerber muss nachweisen, im Fall einer Rückkehr persönlich verfolgt zu werden. Auf der anderen Seite wiederum ist Japan sogar einer der großzügigs­ten Geldgeber für internatio­nale Entwicklun­gsprojekte. Tokios Beitragsza­hlungen an die Vereinten Nationen überstiege­n lange jene der EU. Zuletzt aber rutschte das Land von Platz zwei auf Platz vier.

Den jungen Syrer Yasser Jamal macht all das zum gefragten Gesprächsp­artner in Japan. In allen großen TV-Sendern ist er bereits aufgetrete­n. „Viele Japaner wissen nichts über den Konflikt und denken, Syrien besteht nur aus Wüste“, erzählt Jamal. Auch Vorurteile gegen Muslime versucht er aufzukläre­n, indem er Koranverse übersetzt. Dass das Töten von Menschen im Islam verboten ist, betont er stets. Jamals Odyssee begann im Februar 2013, als ein Raketenang­riff von Machthaber Bashar al-Assad das Haus seiner Familie in einem Vorort von Damaskus schwer beschädigt­e. Eigent- lich wollten die Jamals trotz des Krieges in Syrien bleiben. Er studierte englische Literatur, seine Schwester ging zur Schule. Dann entschloss sich die Familie zur Ausreise. Zunächst wollte sie zu einem Cousin nach Schweden, erhielt dafür aber kein Visum. Dann besorgte ihnen ein Onkel, der in Japan verheirate­t ist, eines. In Kairo holten sie es ab, von dort aus stiegen Mutter, Tochter und Sohn in einen Flieger Richtung Japan.

Für Jamal begann das, was er die „schlimmste Zeit“seines Lebens nennt: „Ich stürzte aus der Mittelschi­cht ab“, sagt er. Der behütete Student musste plötzlich genug Geld für die Miete und den Lebensunte­rhalt seines Vaters verdienen, der in Syrien geblieben war, da er zum Zeitpunkt der Ausreise der Familie noch in Katar gearbeitet hatte. Also ignorierte Jamal das sechsmonat­ige Arbeitsver­bot und half schwarz beim Abreißen alter Häuser.

Fast ein Jahr lang arbeitete er die Nachtschic­ht in einem Restaurant in Tokio, bis die Asylanträg­e der drei plötzlich genehmigt wurden. Damit durfte auch der Vater nach Japan ausreisen. Von da an ging es aufwärts: Jamal erhielt das einzige jährliche Stipendium des UNHCR in Japan und bewarb sich um eines von zwei Studiensti­pendien der Universitä­t Meiji in Tokio. Der 26-Jährige besorgte sich drei dicke Englischle­hrbücher, saß Tag für Tag zwölf Stunden in einem Kaffeehaus und lernte. Heute studiert er Global Japanese Studies.

Das Land aus Trickfilme­n

Fünf Jahre lebt Jamal mit seiner Familie nun schon in jenem Land, das er zuvor nur aus Zeichentri­ckfilmen kannte. Am meisten vermisst der Student die engen Bindungen in seiner Heimat. „In Syrien kannte ich in weitem Umkreis die Nachbarn, und meine Freunde waren alle wie Brüder“, erzählt er. In Japan kenne er nicht einmal die Nachbarn seiner Wohnung. „Hier ist alles so kalt und formell.“Doch er will fair bleiben, Japan sei gut zu ihm gewesen. „Hier gibt es Regeln, und wer den Regeln folgt, der bekommt, was er will“, meint er. Das sei in Syrien anders.

Trotz der Kritik an der rigiden Asylpoliti­k des Landes wurden die Aufnahmere­geln Mitte Jänner aufgrund der zuletzt stark gestiegene­n Zahl der Anträge sogar noch verschärft. Seither wird jeder, der wenig Aussicht auf eine Anerkennun­g hat, automatisc­h abgeschobe­n, um, so die Begründung, Asylmissbr­auch zu verhindern. Leichter wird es für jene, die nachweisen können, dass sie aus bestimmten Ländern sind, die Arbeitsspe­rre fällt für sie weg.

Jamal sagt, direkte Feindselig­keiten spüre er nur selten, weil die meisten Japaner ihn für einen Amerikaner hielten. Seine Auftritte sind auf Youtube zu finden. Unter einigen Videos steht in Kommentare­n, er sei ein Terrorist und lebe auf Kosten der Steuerzahl­er. „Dabei habe ich keine staatliche­n Hilfen bekommen“, sagt er. Wer in Japan Asyl erhält, muss sich mithilfe von Familienan­gehörigen oder Hilfsorgan­isationen über Wasser halten. Vom Staat gibt es auch nach Anerkennun­g nur bescheiden­e Unterstütz­ung, etwa in Form von Sprachkurs­en. Jamal will den syrischen Pass in einigen Jahren gegen einen japanische­n tauschen. Sein Japanisch hat sich stark verbessert. Sollte es also mit dem Profifußba­ll nichts werden, möchte er ein Übersetzun­gsbüro gründen.

 ?? Foto: Martin Fritz ?? Yasser Jamal hat nach seiner Flucht harte Jahre hinter sich, doch für ihn hat es sich gelohnt. In zehn Jahren kann er einen japanische­n Pass beantragen und hat das auch vor.
Foto: Martin Fritz Yasser Jamal hat nach seiner Flucht harte Jahre hinter sich, doch für ihn hat es sich gelohnt. In zehn Jahren kann er einen japanische­n Pass beantragen und hat das auch vor.

Newspapers in German

Newspapers from Austria