„In einigen Schulen spricht vieles für Extraklassen“
Die designierte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sieht die eigene Partei als Hüterin der Verfassung und will das Thema Bildung forcieren. Ob Schulen separate Deutschklassen anbieten, soll ihnen überlassen sein.
INTERVIEW: Standard: Wann hat Matthias Strolz Sie eigentlich über seinen Abgang als Parteichef informiert? Meinl-Reisinger: Er hat mich vergangene Woche informiert, ich konnte mich ein wenig darauf vorbereiten und mit meiner Familie sprechen. Ich hatte aber gespürt, dass er diesen Schritt tun wird. Dass er sich als Gründer zurücknimmt und der Bewegung ermöglicht, sich zu emanzipieren, halte ich für eine enorme Leistung.
Standard: Strolz hatte bei der letzten Wahl als Parteichef 98,98 Prozent der Mitglieder hinter sich. Wird Ihnen da vor der Mitgliederversammlung im Juni mulmig? Meinl-Reisinger: Über Prozentzahlen habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. Ich freue mich über die Unterstützung von Matthias, aber auch über interne und externe Bestätigung. Wir sind nicht Nordkorea, mich würde es wundern, wenn niemand anderer darüber nachdenkt zu kandidieren. Ich bin sehr entspannt.
Standard: Was werden Sie anders machen als Strolz? Erwarten uns weniger Metaphern? Meinl-Reisinger: Ich habe klar gesagt, ich bin nicht Matthias Strolz. Bei einer unserer ersten gemeinsamen Pressekonferenzen bin ich davon ausgegangen, dass er über die Positionen von Neos sprechen wird und ich ergänzend dazu Informationen bringe. Er hat aber sehr bildreich von „Landebahnen der Zukunft“gesprochen – das war neu für mich. Das ist eine Stärke von ihm, ich ticke aber anders. Vielleicht hat es aber auch abgefärbt.
Standard: Zuletzt hat er per Posting vor einem drohenden Bürgerkrieg gewarnt. Wie sehen Sie das? Meinl-Reisinger: Meine Diktion ist es nicht. Gerade bei heiklen gesellschaftlichen Fragen sollten Politiker sensibel mit Sprache umgehen. Gleichzeitig verstehe ich genau, worum es ihm geht, und teile diese Ansicht. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist extrem brüchig.
Standard: Woher kommt die Bedrohung? Meinl-Reisinger: Es gibt eine Identitätskrise in Europa, wir haben es verabsäumt, eine gemeinsame Erzählung zu finden. Die Grundwerte, die uns alle vereinen, sind sehr unter Druck – durch totalitäre Politiker, aber auch durch religiöse oder kulturelle antiliberale Tendenzen. Sie wollen grundsätzlich keine offene Gesellschaft. Deswegen müssen wir im Dialog bleiben. Wir können nicht sehenden Auges in eine Gesellschaft gehen, in der wir von „wir“und „die“sprechen. Einer aufgeklärten Gesellschaft tut es nicht gut, einer dominanten Religion eine andere Religion entgegenzuhalten. Religion ist Privatsache, Religion und Politik gehören getrennt.
Standard: Strolz’ Herzensthema ist die Bildung, was ist Ihres? Vorerst interimistisch, ab Juni wahrscheinlich fix an der Spitze der Neos: Meinl-Reisinger. Meinl-Reisinger: Da sind wir uns einig, ich teile die Leidenschaft und auch die Ungeduld. Es werden zaghafte Schritte Richtung Schulautonomie gesetzt, wenn es aber um Integration oder Migration geht, werden Probleme groß gemacht, ohne Lösungen zu präsentieren. Das ist katastrophal für die nächste Generation.
Standard: Können Sie mit den von der Regierung geplanten separaten Deutschklassen etwas anfangen? Meinl-Reisinger: Wenn ein, zwei Schüler in einer Klasse nicht Deutsch können, funktioniert Integration bestens. Wenn aber der Großteil kein Deutsch spricht oder nur auf einem niedrigen Niveau, ist der integrative Unterricht schwierig. Die Schulen sollen das daher selbst entscheiden können. In einigen Schulen spricht vieles für Extraklassen. Die entscheidende Frage ist aber nicht, ob, sondern wie das organisiert wird.
Standard: Die Neos haben im Parlament die nötigen Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit. Besteht die Gefahr, als Mehrheitsbeschafferin missbraucht zu werden?
Wir sind die Hüterin der Verfassung – ohne uns gibt es keine Änderung, das ist gut so. Gleichzeitig mahnen wir Reformen ein. Auf billige Kuhhandel lassen wir uns nicht ein.
40) ist interimistische Neos-Chefin und Landtagsabgeordnete in Wien.