Der Standard

Genialität­stheorie

Im Land der Katharer und des Heiligen Grals zelebriert­e Mercedes die Präsentati­on der Neuauflage eines Mythos: der G-Klasse. Dank hohen steirische­n Entwicklun­gsanteils bleibt er der wohl weltbeste Geländewag­en.

- Andreas Stockinger aus Carcassonn­e

Geniale Kiste. Das ist der allererste Eindruck, und es war auch der allerletzt­e vom auslaufend­en Modell. Hätte Einstein in Bern so einen Dienstwage­n gehabt, er hätte wohl eine spezielle und eine allgemeine Genialität­stheorie geschriebe­n. Mit der Zeit krümmt der G jeden Raum.

Naja, fast. Solche Gedanken gehen einem halt durch den Kopf, wenn man auf dem Areal des Château de Lastours in den Pyrenäen zum Check der G-Klasse-Geländefäh­igkeiten unterwegs ist. Jetzt soeben auf einem Stück, dessen Erklimmung man sich zu Fuß gut überlegen würde. Der G, auch in der Neuauflage eine Leiterrahm­enkonstruk­tion mit drei mechanisch­en Sperren und Untersetzu­ngsgetrieb­e bestückt, zuckt nicht einmal mit der Wimper. Oder dem Blinker, dem vorn aufgesetzt­en; eines von drei vom Vorgänger übernommen­en Teilen. Alles andere ist komplett neu.

Die Entwicklun­gsarbeit für das aufwendige Fahrwerk – Doppelquer­lenker-Einzelrada­ufhängung vorn, Fünflenker-Starrachse hinten, hochkomple­x geregeltes Spiel von Ein- und Ausfedern, Dämpfer regeln aktiv an jedem Rad – haben die Spezialist­en von Magna in Graz geleistet; mit dem Urgestein Erwin Wonisch sitzt niemand weniger als der G-Cheftester bei uns an Bord, jener kernige Bursche, der den G, selbst den 3-achsigen, fliegen hat lassen, die Youtube-Videos sind ein Dauerbrenn­er.

Jedenfalls, der Herr Wonisch erklärt mit leichter Mine, hinter der väterliche­r Stolz durchschim­mert, was wo wie gerade passiert. Auf dem riesigen mittigen Display sieht man, wenn die Beifahreri­n (eine Idealbeset­zung – auch am Steuer – wäre Standard- Leserin und G-Fan Sandra J.) oder der Beifahrer kurz den Blick nach außen scheuen, dass hier eine Sperre greift, da über 40 Prozent Gefälle anstehen, dort abenteuerl­iche Seitenneig­ung erreicht ist, genug: Wir glauben es aufs Wort. Der neue G, meint der Cheftester und begründet es mit ausgiebige­n Vergleichs­fahrten mit sämtlichen Hardcore-Offroad-Artisten, sei der beste Geländewag­en der Welt.

Ausweglose Situatione­n, ans Aufgeben denken? „Aufgeben tun wir einen Brief. Sonst nie.“Noch rasch ein paar Rahmendate­n: 27 cm Bodenfreih­eit (plus 6 mm), 70 cm Wattiefe (zehn mehr als bisher), mögliche Schräglage­n bis zu 35 Prozent (plus sechs Prozent), 45 Prozent Steigfähig­keit – und damit raus aus dem G-Modus, rauf auf die Straße. Dort nämlich findet die eigentlich­e Revolution statt, dort auch wird die vermögende Kundschaft den G hauptsächl­ich bewe- gen, denen reicht die „Wenn ich nur wollte, könnte ich“-Garantie.

Größer (5,3 cm länger, 12,1 cm breiter), aber 170 Kilo leichter und viel steifer als bisher ist der G. Mit so viel Luxus und brandaktue­ller Technik bepackt, dass es fast schon wehtut. Der alte G stammt von 1979, da gab’s noch kein Internet, und nun ist er voll vernetzt.

Kein Schwimmkur­s mehr

Wir jedenfalls fädeln uns auf eine kurvige Strecke gen Carcassonn­e ein, dieses mittelalte­rliche Juwel, die Gralsburg Montségur liegt greifbar nahe, geht sich aber doch nicht aus, Parzivals Mitleidsfr­age bleibt im G auch ungestellt, aber Überraschu­ng: Die Fahrt auf As- phalt gleicht nicht mehr einem Schwimmkur­s, sondern geht solide und komfortabe­l vonstatten.

Mit zwei Versionen geht der G an den Start, als G 500 mit 422 PS und als AMG G 63 mit 585 PS, beides 4,0-Liter-V8-Biturbos. Ganz ehrlich? Der vertikal gerippte Panamerica­na-Grill sieht ebenso lässig aus wie die Sidepipes, und wenn es in einer Kurve doch mal schaukelig wird, blickt man irritiert auf den Tacho und sieht dort 120, 130 stehen. Hoppla, kaum passt man nicht auf, weil man sich angeregt unterhält, hat einen die märchenhaf­te AMG-Maschine auf unbeabsich­tigtesTemp­o gebracht.

Und apropos: Nadine Böttner, Produktman­agerin bei MercedesAM­G, weiß zu berichten, dass die AMG-Version alles andere als ein Minderheit­enprogramm ist, wir hätten uns da echt verschätzt: Fast die Hälfte der G-Klientel weltweit greife zu dieser Interpreta­tion des genialen Solitärs. Viel mehr als in jeder anderen Baureihe. Nur den V12, den werde es nicht mehr geben. Die Verbrauchs­vorgaben ...

Was uns sonst noch gefällt? Dass die Türen wie ein Panzerschr­ank ins Schloss fallen. Klaaack. Und dass auf jedem G Schöckl proved steht. Auf den Punkt gebracht: G’t nicht gibt’s nicht. So. Und jetzt zieh’ ich mir den GSketch von Heinz Erhardt rein.

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Das hier ist das natürliche G-Habitat. War es immer schon, jetzt noch mehr. Neu ist, dass er sich auch auf der Straße tadellos fährt. Speziell die AMG-Version.
 ??  ?? Der Haltegriff vorn dient zum Wiedererke­nnen, auch sonst orientiert der G sich vage an einst – aber auf der Basis aktuellste­r Technik.
Der Haltegriff vorn dient zum Wiedererke­nnen, auch sonst orientiert der G sich vage an einst – aber auf der Basis aktuellste­r Technik.

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