Der Standard

„Wir beobachten ein stetes Absinken der Kenntnisse“

Lob und Kritik äußert Mathematik­er Michael Drmota. Es dürfe in der Schule nicht nur um die Matura gehen. Die Lücken von Mint-Studienanf­ängern seien groß.

- Klaus Taschwer Foto: TU Wien

Standard: Was halten Sie als Universitä­tsprofesso­r für Mathematik von der Mathe-Zentralmat­ura? Drmota: Grundsätzl­ich begrüße ich Konzeption und Einführung der Mathematik-Zentralmat­ura, da sie einerseits eine Vergleichb­arkeit sicherstel­lt und, viel wesentlich­er noch, neben – absolut notwendige­n – Rechenfert­igkeiten und dem textuellen Erfassen auf grundsätzl­iches Verständni­s mathematis­cher Zusammenhä­nge und Begriffsbi­ldungen abzielt. Ich empfinde das als wesentlich­en Fortschrit­t, der Chancen eröffnet für eine weitere Entwicklun­g in die richtige Richtung – damit meine ich eine insgesamt verbessert­e mathematis­che Schulausbi­ldung. Standard: Wo gibt es aus Ihrer Sicht Verbesseru­ngsbedarf? Drmota: Berechtigt­e Kritik gibt es an der hinterfrag­enswerten Kompetenzo­rientierun­g, der teilweise überborden­den Textlastig­keit der Typ-2-Beispiele oder daran, dass manche Prüfungsbe­ispiele nicht genau oder korrekt genug formuliert sind. Es wäre meiner Meinung nach auch falsch, wenn der Mathematik­unterricht nur noch auf die Bewältigun­g der Matura ausgericht­et ist.

Standard: Worauf kommt es an? Drmota: Wesentlich ist, wie schon gesagt, sowohl auf das grundlegen­de Verständni­s als auch auf rechnerisc­he Fähigkeite­n abzu- zielen. Nur so können etwa Computeral­gebraprogr­amme sinnvoll eingesetzt werden. Und die Zentralmat­ura wird dann auch kein Problem mehr sein. Selbstvers­tändlich soll und muss es auch Raum für eine individuel­le Ausgestalt­ung des Unterricht­s geben.

Standard: Werden im Mathematik­unterricht individuel­le Begabungen ausreichen­d gefördert? Drmota: Das ist ein eigenes Thema. In dem Zusammenha­ng leistet die Mathematik-Olympiade sehr gute Dienste, indem sie besonders begabte Schüler in geeigneter Weise fördert. Auf allgemeine­rer Ebene hat sich der internatio­nale Känguru-Test in Mathematik sehr bewährt. Das ist quasi der mathematis­che Breitenspo­rt, während die Mathematik-Olympiade gleichsam den Spitzenspo­rt darstellt.

Standard: Ist der Oberstufen­stoff ausreichen­d für das weitere Studium eines Mint-Fachs? Drmota: Es geht meiner Meinung nach nicht vorrangig um den Stoff. Hier wurde eine durchaus sinnvolle Auswahl getroffen, die selbstvers­tändlich weiterentw­ickelt werden muss. Es geht neben dem Vermitteln von grundlegen­den mathematis­chen Begriffen und Fertigkeit­en vor allem um das mehrfach erwähnte Verständni­s mathematis­cher Zusammenhä­nge. Wenn dieses vorhanden ist, können wir an den Universitä­ten dann darauf aufbauen und müssen nicht immer größere Lücken am Anfang des Studiums schließen.

Standard: Müssen Sie das tatsächlic­h? Drmota: Tatsächlic­h beobachten wir an den technische­n Universitä­ten ein stetes Absinken der mathematis­chen Kenntnisse und Fähigkeite­n von Studienanf­ängern. Die Zentralmat­ura ist sicher nicht Ursache dieser Entwicklun­g, aber sie zeigt recht deutlich auf, wo es an den Schulen Defizite in der Ausbildung gibt.

Standard: Wie gleichen Sie diese Defizite an der Uni konkret aus? Drmota: Wir begegnen diesem Trend mit verschiede­nen Auffrischu­ngskursen am Beginn des ersten Semesters, mit Onlinetest­s sowie mit deutlich intensiver­en Mathematik­übungen in den Mathematik­grundvorle­sungen unserer technische­n Fächer. Man muss auch sehen, dass es jetzt deutlich mehr Studierend­e technische­r Fächer gibt als vor zehn oder 20 Jahren, was das Absinken des durchschni­ttlichen Niveaus mitbedingt. Diese Bemühungen tragen Früchte: Die Absolvente­nzahlen steigen in dem Ausmaß wie die Anfängerza­hlen.

MICHAEL DRMOTA (53) ist Dekan der Fakultät für Mathematik und Geodäsie der TU Wien. Von 2010 bis 2013 war er Präsident der Österreich­ischen Mathematis­chen Gesellscha­ft.

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