„Lazarus“ohne Stil und Glamour
Bei der österreichischen Erstaufführung des David-Bowie-Musicals „Lazarus“lässt das Ensemble des Wiener Volkstheaters bei aller Sangesfreude Stil und Glamour vermissen.
Wien – Auf seiner langen und gefahrvollen Sternenreise ist der Außerirdische Thomas Jerome Newton jetzt auch an der Wiener Zweierlinie gelandet. Im Volkstheater findet er als Wiedergänger von Rockstar David Bowie (1947– 2016) Idealbedingungen für eine zünftige Wiedererweckung vor. „Lazarus“nennt sich die Inkarnation einer Kunstfigur, die als Wiedergänger ihrer selbst unermüdlich durch das popkulturelle Gedächtnis spukt.
Ein Musicalheld soll der Sternenpilot jetzt auch noch sein. Ein an der Ginflasche hängendes, Frühstücksflocken mampfendes Broadway-Gespenst, dessen blutarmes Dasein wenigstens zum (Wieder-)Erklingen von 17 BowieSongs führt. Immerhin diese vom todkranken Sänger selbst noch abgesegnete Botschaft, gerichtet an eine tapfer nostalgiewillige Nachwelt, rührt hartgesottene Erdenbürger von etwa 50 Jahren aufwärts zu künstlichen Tränen.
Am Wiener Arthur-SchnitzlerPark ist man leider auf den Empfang extraterrestrischer Gäste schlecht vorbereitet. Vor dem eisernen Vorhang vagabundieren drei „Mädchen“, die offenbar auf dem Milchstraßenstrich ihrer nicht besonders ehrbaren Arbeit nachgehen. Eines der „Teenage Girls“(Evi Kehrstephan) ähnelt Angie, David Bowies androgyner erster Ehefrau.
Fortan richtet sich alle Aufmerksamkeit auf den gefallenen Engel Newton (Günter Franzmeier). Dieser Zimmervampir hängt nicht nur schlapp einer Reihe von Erinnerungen nach. Der Mann ist auch eine Art Rockstar im Untätigkeitsmodus. Ein Dracula mit Reisepass aus einem Quadranten im All, der seine Rolle als Ziggy Stardust verschwitzt hat.
Brav hängt das Volkstheater-Ensemble Lied an Lied. Eine plausible Fabel wird man sich von diesem – von Enda Walsh geschriebenen – Schmonzes nicht erwarten dürfen. Newton möchte via Rakete heimreisen, um auf dem Heimatplaneten nach dem Rechten zu sehen. Seine Assistentin Elly (Isabella Knöll) wäre ihm dabei gerne behilflich, nur muss sie gleichzeitig die eigene Beziehung wieder in Schuss bringen. Ein epileptischer Mephisto namens Valentine (Christoph Rothenbuchner) vergällt anderen Paaren die Zweisamkeit und mordet obendrein gerne Mädchen. Alle diese Papierriesen klettern mehr oder minder schrecklich onduliert durch eine Art Naturhistorisches Museum, in dessen Schaukästen z. B. Schlangen zu einem Wald von Stalagmiten er- starrt sind (Bühne: Wolfgang Menardi). Eine schöne, unbekannte Nippon-Tochter (Claudia Sabitzer) muss großteils stumm agieren, die Arme anheben und ansonsten wie Siouxsie and the Banshees ausschauen.
Gesungen wird leidlich, auch wenn Franzmeier die Gesangslinien bei Bedarf transponiert (It’s No Game (Part 1)). Die Figur des „Mädchens“(Katharina Klar), dessen Erscheinung allein Newtons Einbildungskraft entspringt, entpuppt sich als Wiedergängerin von – und aus – Newtons verlöschender Erinnerung. Klar tremoliert so herzerfrischend, dass sie ihrem Namen alle Ehre macht.
Flauschige Unterlage
Einen schönen Teilerfolg feiert auch Gabor Biedermann als karottenroter Glamourprolet mit All the Young Dudes. Tatsächlich gelingt der achtköpfigen Band unter der Leitung von Posaunist Bernhard Neumaier das Legen einer flauschigen Unterlage: Die Volkstheater-Schauspieler sind ja auch keine hauptberuflichen Sänger.
Bitter ankreiden muss man der Inszenierung von Milos Lolic ihren erschütternden Mangel an ästhetischer Haltung. Dieser angeblich biblisch inspirierten Bowie-Hommage fehlen die beiden Hauptingredienzen für jede ernsthafte Beschäftigung mit dem verglühten Sternenmann: Stil und Gefahr. David Bowie gestaltete noch seinen Abschied von unserer gebrechlich eingerichteten Welt als Triumph des Designs über jede Art von Hinfälligkeit.
Im Volkstheater wird man Zeuge eines Kostümfestes, eines „Siebzigerjahre“-Gschnases. Als wäre eine SPÖ-Sektion aus einem der Flächenbezirke mit der Ausrichtung eines Themenabends befasst worden: „Glamour, The Spiders from Mars und andere Errungenschaften der Ära Kreisky“. Anders gesagt: Der Abend rockt nicht, und er swingt nicht. Man wünscht Mister Newton einen baldigen Heimflug ins All.