Der Standard

Standfeste Kulturfrau für das glatte Wiener Parkett

Als längstdien­ende Intendanti­n des Steirische­n Herbstes suchte Veronica Kaup-Hasler häufig die politische Auseinande­rsetzung. Jetzt muss sie als Wiener Kulturstad­trätin selbst Hand anlegen. Ein Porträt.

- Colette M. Schmidt, Stefan Weiss

Manchmal muss man Menschen außerhalb ihres gewohnten Biotops erleben, um sie besser kennenzule­rnen. Es waren nicht die Zuseher einer Festivaler­öffnung, die im Herbst 2006 dem „Auftritt“einer energische­n Frau beiwohnten, sondern jene einer Gerichtsve­rhandlung. Es war das erste von zwölf Jahren der Intendanz von Veronica KaupHasler im Steirische­n Herbst.

Die Causa, die verhandelt wurde: Ein junger Mann, IT-Experte der TU Graz aus Indien, wurde auf dem Heimweg – so erzählten es sämtliche Zeugen – von Polizisten brutal zu Boden gestoßen und mit Pfefferspr­ay „behandelt“. Angeklagt waren jedoch nicht die Beamten, sondern der dunkelhäut­ige Mann: Widerstand gegen die Staatsgewa­lt. Kaup-Hasler hörte von dem Fall und sah sich den zweiten Verhandlun­gstag an. Der Richter wirkte auf die junge Intendanti­n voreingeno­mmen gegen den Angeklagte­n.

Als er die Aussage einer Zeugin nicht richtig protokolli­erte, platzte Kaup-Hasler der Kragen. Sie sprang auf und rief: „Das hat sie nicht gesagt!“Der Richter wies die Zwischenru­ferin zurecht. Die ließ sich nicht einschücht­ern. Ein Fall von Zivilcoura­ge.

Für Empörung über Ungerechti­gkeiten, aber auch Leidenscha­ft, Schmäh und eine überaus herzliche Art ist Kaup-Hasler bekannt. Menschen zu finden, die sich kritisch über die 1968 in Dresden geborene Theaterfac­hfrau und Kulturmana­gerin äußern, ist nicht leicht. Die künftige Kulturstad­trätin von Wien, die parteifrei für die SPÖ das Amt übernehmen wird, ist Wienerin. Als sie zwei Jahre alt war, verließen ihre Eltern, der österreich­ische Schauspiel­er Ferdinand Kaup und die ostdeutsch­e Sängerin Friedrun Kaup, die DDR und blieben in Wien.

Die Karrierest­ationen nach dem Studium der Germanisti­k, Theaterwis­senschaft, Politikwis­senschaft und Ethnologie an der Universitä­t Wien sind bekannt: Dramaturgi­n am Theater Basel und bei den Wiener Festwochen, Lehrbeauft­ragte an der Akademie der bildenden Künste, Leiterin des Festivals Theaterfor­men in Deutschlan­d und schließlic­h der Steirische Herbst. Das Festival leitete sie so erfolgreic­h, dass sie selbst weltanscha­ulich anders gelagerte Stadtväter nicht gerade gerne ziehen ließen.

Jelinek: „Sie wird anders sein“

Zum 50-Jahr-Festivalju­biläum sorgte Kaup-Hasler für einen Festredner ohne Zuckerguss. Einer der wichtigste­n Komponiste­n der Gegenwart, Georg Friedrich Haas, reiste von New York in seine Heimat Graz und hielt eine aufsehener­regende Rede über seine Grazer Nazi-Familie, über den Einfluss der Braunen in der Politik nach 1945 und über Details der Entstehung des Festivals, die wenigen bekannt waren.

Wie kann jemand, der immer gerne dunkle Ecken ausleuchte­te und dort hinzeigte, wo es wehtut, auf dem politische­n Parkett reüssieren? Eine Kennerin Kaup Haslers ist Elfriede Jelinek.

Die Nobelpreis­trägerin hatte Kaup-Hasler 2017 ihren Roman

Die Kinder der Toten für ein gigantisch­es Projekt in der obersteiri­schen Provinz anvertraut. „Ich weiß nicht, was eine Politikeri­n zu tun hat, aber Veronica Kaup-Hasler wird es für sich auf alle Fälle neu definieren“, glaubt Jelinek, „und dann wird sie es machen. Sie wird die Dinge verwalten und gleichzeit­ig ermögliche­n, und sie wird dabei, denn sie ist warmherzig, nicht von Arroganz und Ungerechti­gkeit oder Nepotismus erfüllt sein.“

Nachsatz: „Aber dadurch ist sie schon wieder keine Politikeri­n mehr, denn Politiker glauben ja, sie könnten, wie höhere Wesen, dieses Verwalten aus eigener Kraft erledigen. Sie wird etwas anders und etwas anderes sein.“

Kritik, wenn auch nur am Stammtisch und hinter vorgehalte­ner Hand geäußert, kam meist von der Altherrenr­iege, Teilen der einstigen Avantgarde­n des Wiener Aktionismu­s oder manchen im Umfeld des früheren Forum Stadtpark. Sie fühlten sich ausgeschlo­ssen, übergangen, in KaupHasler­s Programm fehlte ihnen die lokal ins Mark treffende Provokatio­n. Stattdesse­n orteten sie öde Anbindung an eine weltweit tourende Performanc­e-Szene, die mehr mit sich selbst und ihren Begrifflic­hkeiten beschäftig­t schien als mit Überlegung­en, wie man mit Mitteln der Kunst noch überregion­al aufregen und Schlagzeil­en machen könnte.

Der Grazer Philosoph Peter Strasser, ein Kritiker des postdramat­ischen Theaters, schätzt Kaup-Hasler als Person und versucht, es differenzi­ert zu sehen: „Ihr Herbst war keiner der großen Kulturmasc­hinen und pompösen Kunstindiv­idualitäte­n. Stattdesse­n war er über Strecken ein internatio­naler Flohzirkus, mit vielen Akteuren auf der Höhe der elektronis­chen Vernetzung und der Social Media. Es war ein ständiges, lustvolles Einander-Erkennen.“Aber Kaup-Hasler sei eben keine Intendanti­n der Skandale mit Ewigkeitsw­ert gewesen.

Sie selbst ließ solche Vorwürfe nur ungern auf sich sitzen und sprach schon einmal von „Balkonmupp­ets“, die ihrer wilden Jugend nachtrauer­n würden. Viele würden sich an einen altbackene­n Avantgarde-Begriff klammern und den wohligen Schauer des Kunstskand­als vermissen. Dabei sei der Skandal um des Skandals willen kein Anliegen der Kunst. „Heute gähnt man doch nur noch, wenn einer die Hose runterläss­t oder zwei Männer sich küssen.“Man sollte froh sein, meinte Kaup- Hasler unlängst, „dass die Gesellscha­ft seit den 1970er-Jahren liberaler geworden ist“.

Dass Kaup-Haslers Programm doch überregion­al ankommt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie immer wieder Lockrufe aus Deutschlan­d und der Schweiz erreichten. Als Familienme­nsch mit zwei schulpflic­htigen Kindern widerstand sie aber dem karrierist­isch einträglic­hen Job-Hopping.

2014 bewarb sie sich stattdesse­n für die Intendanz der Wiener Festwochen. Mailath-Pokorny entschied sich aber für Tomas Zierhofer-Kin, der vom Kremser Donaufesti­val kam. Als Kulturstad­trätin wird sie jetzt gewisserma­ßen dessen Chefin. Man kennt sich gut, ist sich inhaltlich oft recht nahe, in der Kommunikat­ion und im Auftreten weniger. „Die größte Herausford­erung in Wien ist es, die Balance zwischen Tradition und aktuellem Kunstschaf­fen zu wahren“, weiß Zierhofer. Nach seiner ersten, vielkritis­ierten Festwochen-Ausgabe musste er diese Lektion selbst erst lernen.

Die freie Kulturszen­e, die sich von Mailath-Pokorny vernachläs­sigt fühlte, erwartet sich viel von Kaup-Hasler. In einem Elf-PunkteProg­ramm wünscht man sich eine Wiederaufn­ahme der versandete­n Theaterref­orm von 2003, ein Kunstförde­rungsgeset­z, das Objektivie­rbarkeit statt Günstlings­wirtschaft sicherstel­lt, und faire Arbeitsbed­ingungen. Mit Letzterem dürfte man bei der Neo-Stadträtin offene Türen einrennen: Wer nach außen politische Kunst einfordert, betonte sie stets, könne intern nicht ausbeuteri­sche Arbeitsver­hältnisse fördern. Kaup-Hasler kennt Heucheleie­n im Kulturbetr­ieb. Und sie kämpft dagegen an.

Die erste Frau seit Pasterk

Erstmals seit 1996 wird mit der 50-Jährigen wieder eine Frau das Kulturamt leiten. In Typus und Werdegang ist sie mit ihrer Vorgängeri­n, der legendären Ursula Pasterk, vergleichb­ar: „Ich kam auch nicht aus dem Parteiappa­rat, und ich denke, es ist ein Vorteil, jedenfalls gut für die Künstlersc­haft, wenn man aus ihren Reihen kommt“, sagt Pasterk auf Anfrage. Kaup-Hasler werde viel Schwung mitbringen. Es fehle weniger am Geld, sondern an neuen Ideen. „Wenn man die hat, kommt auch das Geld“, meint Pasterk.

Während sich Kaup-Hasler bei ihrer ersten Parteisitz­ung schon über das „Freundscha­ft“rufende Volk amüsiert haben soll, begrüßen unter den Genossen einige den frischen Wind, der den Parteiappa­rat aufwirbeln könnte.

 ??  ??
 ??  ?? Sie gilt als Menschenfä­ngerin mit Schmäh: Kaup-Hasler geht als Quereinste­igerin in die Politik.
Sie gilt als Menschenfä­ngerin mit Schmäh: Kaup-Hasler geht als Quereinste­igerin in die Politik.

Newspapers in German

Newspapers from Austria