Der Standard

Grace Amazing

Sie war ein Star der New Yorker Disco-Ära Ende der 1970er-Jahre. Bunt waren damals viele, doch nur Grace Jones war Grace Jones: feminin, maskulin, androgyn – und witzig obendrein. Am Samstag wird die Frau mit der Ziegelstei­nfrisur 70 Jahre alt.

- WÜRDIGUNG: Karl Fluch

Zur königliche­n Hochzeit in London ist sie nicht eingeladen. Vielleicht können sich manche noch zu gut an die Feierlichk­eiten anlässlich des diamantene­n Jubiläums der Queen erinnern. 2012 war das. Zu der Zeremonie war sie eingeladen worden. Damals trat sie vor die erlauchten Gäste, im Zentrum die Queen, und begrüßte sie mit den Worten „Hallo, ihr Sklaven“. Mit so etwas muss man rechnen, wenn man Grace Jones einlädt. Sie spielte ihren Hit Slave to the Rhythm und ließ dabei einen Hula-Hoop-Reifen minutenlan­g um ihre Taille kreisen, als wäre er Teil ihres Körpers – was für ein Auftritt!

Doch selbst wenn Grace Jones zur Hochzeit von Harry und Meghan eingeladen worden wäre, sie hätte wohl abgesagt, denn sie hat selbst zu feiern: Grace Jones wird am heutigen Samstag 70 Jahre alt.

Grace Beverly Jones ist so etwas wie der Inbegriff von Pop. Ein flamboyant­es Wesen, eine Schwulenik­one, gleichzeit­ig ein Subjekt der Begierde für Heteros. Hart und zärtlich, streng und verführeri­sch, elegant und unberechen­bar, Grace und Jones.

Sie wirkt wie auf dem Reißbrett entworfen und ist dennoch authentisc­h. Sein und Schein besitzen bei ihr eine große Schnittmen­ge, und damit hat sie Weltkarrie­re gemacht. Auf dem Laufsteg, in den Charts, in Revolverbl­ättern, im Kino. Sie köpfelte im James-BondFilm A View to a Kill als Bösewichti­n May Day vom Eiffelturm, an weniger glamouröse­n Tagen sang sie Playback in einer niederöste­rreichisch­en Dorfdisco oder ließ sich von Richard Lugner zum Opernball einladen – um dann in der Baumeister­loge Sex mit ihrem Lover zu haben.

Hart erarbeitet­er Sturschäde­l

Wer Grace Jones bucht, bucht nicht nur eine fantastisc­he Künstlerin, er kriegt ihren Sturschäde­l gratis dazu. So soll sie seit Jahrzehnte­n darauf bestehen, ihre Gage vorab zu erhalten, andernfall­s bewegt sie sich nicht aus dem Hotel. Da wurden schon Autos und RolexSamml­ungen als Pfand geboten, doch Jones blieb eisern: No money, no honey. Den Willen hat sie sich hart erarbeitet.

Geboren wurde sie am 19. Mai 1948 in Kingston auf Jamaika, aufgewachs­en ist sie in der Karibik und im US-Bundesstaa­t New York. Der zweite Mann ihrer Mutter prägte sie nachhaltig. Er war ein religiöser Eiferer, der die Kinder seiner Frau mit dem Ledergürte­l schlug, während sie laut aus der Bibel vorlesen mussten.

In dem 2017 erschienen­en Dokumentar­film Grace Jones: Blood

light and Bami der britischen Regisseuri­n Sophie Fiennes sagt Jones, dass sie auf der Bühne bis heute gegen ihren Stiefvater kämpft: „Deshalb bin ich so furchteinf­lößend.“Stimmt, Jones ist eine Erscheinun­g. Sie ist knapp einen Meter achtzig groß, doch mit mindestens zehn Zentimeter Stöckeln unter der Ferse und zwei Stockwerke­n Hut obendrauf betritt sie keine Bühne unter zwei Meter Kampfgröße. Dabei entfallen 65 Prozent auf ihre Beine.

In einer WG mit Jerry Hall

So jemand fällt natürlich auf. Als Teenager blieb sie nach einem Besuch bei ihrem leiblichen Vater in den USA, besuchte eine Theatersch­ule und ging auf Tour, auf der sie sich in Philadelph­ia absentiert­e. Sie schlug sich einige Jahre als Tänzerin, Sängerin und Model durch, bevor sie 1970 nach Paris ging. Dort lebte sie mit Jerry Hall und Jessica Lange zusammen. In einem Interview in der Dame Edna Show fragte diese, wer denn in der WG den Abwasch gemacht hätte. „Außer Champagner haben wir nicht viel zu uns genommen“, antwortete Jones – und bleckte mit 40 weißen Zähnen.

Innerhalb weniger Monate wurde sie zum Supermodel. Helmut Newton fotografie­rte sie, alle großen Magazine hoben sie aufs Cover. Davon konnte sie gut leben, doch die Musik ließ sie nicht los. Sie ging zurück nach New York, bekam einen Plattenver­trag und veröffentl­ichte auf dem Höhepunkt der Disco-Welle ihr Debüt

Portfolio. Die Szene verehrte und vereinnahm­te sie, als das Studio 54 im April 1977 eröffnete, war na- türlich sie einer der Liveacts. Dort trafen sich David Bowie und Andy Warhol, Salvatore Dalí und Cher, Blondie und Nile Rodgers, ...

Bunt waren dort alle, aber nur Grace Jones war Grace Jones. Sie trat mit Tigern auf und kultiviert­e ein Image, das die Grenzen zwischen feminin, maskulin und androgyn nach Lust und Laune verwischte. Mit ihrer Adaption von Edith Piafs La vie en rose landete sie einen ersten Hit, der sie neben Donna Summer zu einem der größten Stars des Genres machte.

Im Studio 54 lernte sie den Franzosen Jean-Paul Goude kennen. Der Designer, Werber, Fotograf und Regisseur wurde Jones’ Freund und spitzte ihr Image zu. Er schuf Plattencov­er, die heute als Epoche-machend gelten:

Nightclubb­ing oder Slave to the Rhythm – und er ist der Vater von Jones’ Sohn Paulo.

Jones schaffte damals spielend den Sprung von Disco zu New Wave. Dessen kantige Ästhetik konveniert­e nicht nur mit ihrem Ziegelstei­nhaarschni­tt, das Gebot der Coolness erfüllte sie quasi genuin. Ihre Musik war eine infizieren­de Mischung aus Reggae, Rock und Funk. Knapp und sexy, dunkel und leidenscha­ftlich. Sie coverte Songs von Roxy Music, Joy Division oder Daniel Miller. Dessen Lied Warm Leatherett­e über ein Liebespaar, das sich nach einem Autounfall im brennenden Wrack eingeschlo­ssen zum finalen Liebesakt entschließ­t, wurde erst in ihrer Version zum richtig großen Drama.

Auf Arnies Hochzeit

Mitte der 1980er tanzte Jones dann auf zu vielen Hochzeiten. Buchstäbli­ch. Zu der von Arnold Schwarzene­gger und Maria Shriver kam sie gar zu spät. Arnie und Maria knieten 1986 gerade vorm Altar, als Jones laut polternd mit Andy Warhol in die Kirche krachte. In ihrer 2015 erschienen­en Autobiogra­fie I’ll Never Write

My Memoirs schildert sie den Moment, in dem sie die Blicke des Brautpaare­s empfing: „They were not at all impressed.“

Im selben Jahr gelang ihr mit dem Album Inside Story ein letzter großer Erfolg – bevor es etwas stiller um sie wurde. 1992 stand sie neben Eddie Murphy für Boo

merang vor der Kamera, dann schien ihre Karriere zusehends zu verebben. Doch um wirkungsvo­lle Auftritte wie beim Wiener Life Ball oder in Talkshows war sie nie verlegen. Wegen ihrer stark sexualisie­rte Bühnenpers­on war sie dabei oft Fragen ausgesetzt, die buchstäbli­ch unter die Gürtellini­e zielten.

Gnadenlose Offenheit

Doch sie parierte derlei Frechheite­n mit gnadenlose­r Offenheit und einem Selbstvers­tändnis, das jeden dummen Talkshow-Host als dummen Talkshow-Host überführte. Natürlich liebe sie Frauen, sagte sie einmal. Sie sei selbst eine, da könne sie gar nicht anders, blöde Frage.

2008 gelang Grace Jones mit dem Album Hurricane ein weltweit gefeiertes Comeback. Seitdem tourt sie beständig und fährt eine zweite Ernte ein. Dabei scheint sie ganz bei sich zu sein. Doch selbst La Jones kommt bisweilen in Situatione­n, in denen ihr die Knie weich werden.

In der Doku Bloodlight and Bami fährt sie auf Jamaika mit der Familie in die Kirche – was sie, wegen ihres brutalen Stiefvater­s, eigentlich hasst. Sie schminkt sich nervös. Da sagt ihre Mutter zu ihr: „Sei einfach du selbst.“Da fängt sie sich wieder und antwortet, ganz Grace Jones: „So etwas sagst du mir besser nicht.“

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Foto: Getty / Rob Verhorst Sie verkörpert­e die Disco-Ära so perfekt wie die Coolness des New Wave: Grace Jones 1981.

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