Der Standard

„Die meisten Händler waren bös und grantig“

Jamal Al-Wazzan ist der größte Vermieter von Geschäftsl­okalen der Wiener Innenstadt. Warum er einst aus dem Fußballsta­dion flog und sein Verhältnis zum lieben Gott ein eigenes ist.

- Verena Kainrath

Eine gut 40 Meter lange Glasfassad­e eröffnet den Blick auf den Graben. Jamal Al-Wazzan verfolgt von seinem Büro in der Wiener Innenstadt aus fast jede Bewegung im Handel. Sein erstes Geld verdiente er mit Würsteln. Heute sind 200 Geschäftsl­okale in der Hand des Immobilien­entwickler­s. Für Einzelkämp­fer sieht er in der City wenige Chancen. Dass ihn viele Österreich­er immer noch Ausländer nennen, nimmt er locker.

STANDARD: Waren Sie schon einmal im Kaufrausch? Al-Wazzan: Ich behaupte, ich habe mich immer unter Kontrolle.

STANDARD: Ihre Welt ist der Einzelhand­el. Und es gibt kein Geschäft, in dem Sie schwach werden? Al-Wazzan: Sicher. Aber da ist der Rausch dann so teuer, dass ich es lieber bleiben lasse. Man kann sich nicht hundert Autos kaufen.

STANDARD: Sie handeln mit Mietrechte­n für Geschäftsl­okale. Wiens Innenstadt trägt Ihren Stempel. Was macht eine City charmant? Al-Wazzan: Gut angezogene Menschen, der Tourismus, schöne teure Geschäfte. Der erste Bezirk ist so geordnet. Früher hatte die Innenstadt für mich sogar einen anderen Geruch. Aber wer hier lebt, stumpft ab. Es ist, als würde man in einer Zuckerbäck­erei arbeiten.

STANDARD: Auf dem Weg zu Ihrem Büro bin ich durchs Goldene Quartier und über den Graben flaniert, vorbei an Handelsket­ten, die jede andere Metropole auch bietet. Geht mit uniformen Einkaufsme­ilen das Herz einer Innenstadt verloren? Al-Wazzan: Sind die Geschäfte das Herz der Innenstadt, dann schlägt das gleiche Herz überall. Aber die Gebäude hier gibt es nicht überall.

STANDARD: Was ist für Sie ein typischer Wiener Händler? Al-Wazzan: Gibt es ihn noch? Zehn Prozent der Händler sind Alteingese­ssene, sie sterben aus. Aber ich bin überzeugt, dass das wieder kommt. Es dauert ein Leben, zwei Leben, ein halbes. Als ich ein Kind war, gab es an jeder Ecke Fleischhau­er. Heute sind da Supermärkt­e. Nun fangen ein paar wieder an, das Leben ist ein Auf und Ab.

STANDARD: Im ersten Bezirk zahlen Händler im Monat pro Quadratmet­er hunderte Euro Miete. Wer außer Juwelieren und internatio­nalen Moderiesen kann sich das leisten? Al-Wazzan: Einzelkämp­fer nicht. Wobei es immer welche mit einer guten Idee gibt. Aber wer will es sich schon leisten? Es ist wie ein Sprung ins tiefe Wasser.

STANDARD: Ist Ihnen um die Geschäfte mit Lokalkolor­it nicht leid? Al-Wazzan: Natürlich. Aber die meisten Händler waren doch eh bös und grantig. Ich kannte Leute, die haben hundertmal bitte, danke, auf Wiedersehe­n gesagt. Aber viele waren es nicht. Es liegt nicht nur an den Mieten. Die Leute wollen heute einfach was anderes.

STANDARD: Eingekauft wird zusehends online, wie lassen sich teure Standorte da noch rechtferti­gen? Al-Wazzan: Auf der grünen Wiese und in Randlagen nicht, in der Innenstadt schon: Der Handel wird trotz Internets immer einen Showroom brauchen.

STANDARD: Wie viele Deals sind für Sie noch drinnen? Es gibt kaum noch Filetstück­e, die Sie sich durch hohe Ablösen sichern könnten. Al-Wazzan: Das sage ich mir selber seit drei Jahren. Müsste ich heute anfangen, hätte ich ein Problem. Das wenige, das es noch gibt, ist richtig teuer. Mir reichen aber nun auch fünf neue Läden im Jahr.

STANDARD: Warum sind viele Hausbesitz­er nicht in der Lage, ihre Geschäftsf­lächen selbst zu managen? Al-Wazzan: In Wirklichke­it können viele Menschen nicht mehr miteinande­r reden. Und dann kommt ein Ausländer daher … STANDARD: Sie sind keiner. Al-Wazzan: Es gibt immer noch genug Leute, die mich als solchen sehen. Ich pflege zu sagen: Halt den Mund, ich bin länger hier als du. Letztlich lach ich über so was.

STANDARD: Sie sind in Bagdad geboren, kamen im Alter von vier Jahren nach Wien. Ihre Eltern kehrten in den Irak zurück und ließen Sie und Ihre Geschwiste­r in der Obhut von Klostersch­western. Haben Sie sich alleingela­ssen gefühlt? Al-Wazzan: Ich kann mir nicht vorstellen, meine Kinder zu verlassen. Aber es war eine andere Zeit. Zum einen hat man vor 50 Jahren noch Watschen bekommen. Zum anderen war mein Vater weitsichti­g. Er sagte: Der Irak ist nichts für meine Kinder. Wir wären Kano- nenfutter geworden. Mein Jahrgang ist zu 80 Prozent verkrüppel­t oder lebt nicht mehr. Mein Vater wollte uns Bildung ermögliche­n. Aber meine Mutter fühlte sich hier nicht zu Hause. Ich blieb mit meinem jüngeren Bruder zurück. Heute würde ich so etwas nie tun. Damals warst du stolz, dass du es getan hast. Meine Familie und ich sind ewig dankbar dafür. Wir wären sonst Flüchtling­e geworden.

STANDARD: Sie haben muslimisch­e Wurzeln. Was bewog Ihre Eltern dazu, Sie den Schwestern vom Armen Kinde Jesu anzuvertra­uen? Al-Wazzan: Ich komme aus einer schiitisch­en Familie, HardcoreMo­slems, sehr gläubig. Aber meinem Vater war alles andere wichtiger. Ich wurde von einer griechisch-orthodoxen Frau erzogen, die mit einem tschechisc­hen Juden verheirate­t war: Islam, Christentu­m, Judentum in einem Zimmer. Ich war im Religionsu­nterricht der Beste, jeden Sonntag in der Kirche. Heute habe ich zum lieben Gott ein eigenes Verhältnis. Ich sage: Es gibt ihn, zu allem an- deren lasst mich in Ruh. Religion ist ein gutes Geschäft. Die katholisch­e Kirche: 2000 Jahre, nie pleite, das am besten gehende Unternehme­n, Reichtum in Geld nicht auszudrück­en. So gehört es sich. Das ist bei Moslems und Juden nicht anders. Jeder soll glauben, woran er will. An meinem Tisch sitzen Juden wie Araber: Respektier­t euch! Wollt ihr euch die Köpfe einschlage­n, geht woanders hin.

STANDARD: Apropos Religion. Kostet das Verschleie­rungsverbo­t Kunden aus dem arabischen Raum? Al-Wazzan: Natürlich. Es ist eine Idiotie. Wer trägt Schleier? 30 Österreich­erinnen? Da wäre es einfacher, ihnen Polizisten zur Seite zu stellen. Touristen müssen bei der Einreise den Schleier ohnehin öffnen. Es zielt aufs eigene Knie, es ist Hetze, ein reines Politikum.

STANDARD: Sie verdienten den Lebensunte­rhalt für sich und Ihren Bruder einst mit Würsteln. Wie das? Al-Wazzan: Ich schau gern Fußball. In der Südstadt sprang ich als 16Jähriger über die Mauer, weil ich kein Geld fürs Ticket hatte. Ordner schnappten mich, schön peinlich. Am Weg hinaus fragte mich der Herr von der Kantine, ob ich mir was verdienen will. Er gab mir Tragerln mit Würsteln, Semmeln, Bier. Das hat uns jeden zweiten Sonntag 4000 Schilling gebracht. Davon lebten wir, neben Jobs im Kino und Altpapiers­ammeln.

STANDARD: Ihr Vater war doch erfolgreic­her Lebensmitt­elhändler? Al-Wazzan: Er war sehr wohlhabend, Distributo­r der Marke Kraft im Irak. Aber er hat mich abgerechne­t bis auf 50 Groschen. Er schickte mich Semmeln kaufen, stimmte das Restgeld nicht, nannte er mich einen Dieb. Geld aus dem Irak wurde damals über Amerika nach Europa überwiesen, das dauerte bis zu sechs Monate. Wir hatten zeitweise nichts zu essen.

STANDARD: Sie sind heute an mehr als 200 Geschäftsl­okalen beteiligt. Warum wurden Sie Unternehme­r wie Ihr Vater und nicht Hippie? Al-Wazzan: Ich wollte nie mehr keinen Cent in der Tasche haben, mir nie mehr Geld für Essen borgen müssen. Der Typ für einen Hippie war ich nicht: Trampen kostete Geld, Rauschgift auch, außerdem hätte ich mich das nie getraut. Ich war ordentlich, hab aufgepasst auf meine Sachen und versucht, sie teuer zu verkaufen.

STANDARD: Wie groß war im Wettlauf um Immobilien in der City die Rivalität zu Ihrem Bruder? Al-Wazzan: Es gab schwere Rivalitäte­n. Das löste sich, weil er nach Salzburg ging. Heute arbeiten wir zusammen. Das hätten wir vor 20 Jahren nie getan. Einer trieb den anderen vor sich her. Aber es ist der Grund, warum ich hier sitze: Ohne ihn wäre der Trieb nach noch mehr nicht so stark gewesen.

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Das Verschleie­rungsverbo­t schadet dem Handel, sagt Jamal Al-Wazzan. „Es ist Hetze, ein reines Politikum.“

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