Der Standard

Nur wer die Menschen liebt, quält sie

Aus Friedrich Schillers „Don Karlos“destillier­t Martin Kušej am Münchner Residenzth­eater ein finsteres Lehrstück über Mittel und Wege totaler Herrschaft. Eine große, weil zutiefst beunruhige­nde Inszenieru­ng.

- Ronald Pohl aus München

Im Reich der spanischen Habsburger, in dem die sprichwört­liche Sonne nicht untergeht, herrscht eine schlimme Energiekri­se. Lichtpunkt­e tanzen durch die bleierne Dunkelheit des Residenzth­eaters in München. Das karge Land, das Friedrich Schillers Titelheld Don Karlos doch einmal erben soll, um „der Menschheit verlor’nen Adel wiederherz­ustellen“: Es entbehrt schmerzlic­h vernünftig­e Lichtquell­en.

Die Finsternis ist hausgemach­t. Nackte, anonyme Menschen werden nach vorn über die Bühne gezerrt und in eine Zisterne gestürzt. Bittet der Despot Philipp (Thomas Loibl) seine Granden zur Unterredun­g, so sinkt auf Annette Murschetz’ Bühne ein quadratisc­her Kristalllu­ster herab. Er hängt unerreichb­ar hoch und misst allein schon die Fläche einer gutbürgerl­ichen Stube.

Doch genau vom Verfehlen bürgerlich­en Maßhaltens, von der Verachtung der Vernunft erzählt, gewohnt unversöhnl­ich, Martin Kušej. Seine Regentscha­ft am Bayerische­n Staatsscha­uspiel neigt sich zum Ausklang der vorletzten Saison ihrem Ende entgegen. Er wird an die Burg wechseln. Und den Wienern stehen nicht so sehr unglücklic­he als ganz einfach finstere Zeiten bevor. König Philipp ist, mehr noch als Herrscher, ein Beherrscht­er. Die Rechte ist ihm zur Faust verkrüppel­t. Sein Haar steht ab, den schmalen Leib kasteit er mit Kaltwasser­güssen.

Karl (Nils Strunk), sein ungeliebte­r Sohn, weiß mit den mehrbödig widerhalle­nden Reden der Schranzen und Beamten nicht das Geringste anzufangen. Er wäre womöglich sanguinisc­h, hätte ihm der graue Herr Papa vor Zeiten nicht die Braut entwendet und sie, die kunstblond­e Elisabeth (Lilith Häßle), kurzerhand zu Karls Stiefmutte­r gemacht. Was den Erbprinzen wiederum in die theatralis­ch fuchtelnde­n Arme des schnarrend­en Marquis Posa (Franz Pätzold), eines Tugendterr­oristen, treibt.

Hochgekipp­tes Nagelbrett

Karlos soll nach Flandern gehen und dort gemeinsame Sache mit den Freiheitsk­ämpfern machen. Aus der stark idealtypis­chen Verkörperu­ng ewiger Prinzipien (Herrschaft versus Freiheitsd­rang) erwächst ein Treiben, das man sich scheut, munter zu nennen. Schillers Figuren stehen wie Schattenri­sse auf Murschetz’ Bühne. Politische Aussprache­n finden bevorzugt vor einer Klappkulis­se voller Keile statt. Dieses hochgekipp- te Nagelbrett legt einen Begriff von Politik nahe, der die Geltung absoluter Macht aus der Tortur der Körper ableitet.

So erzählt Kušejs atemberaub­ende Inszenieru­ng von einem Zuviel auf der einen Seite: von der Übermacht des Despotismu­s, vom allgegenwä­rtigen Tod. Auf der anderen Seite exponiert sie die rührenden Mängel und Schwächen auf menschlich­er Seite. In der Habsburger-Diktatur wissen Herrscher und Untertanen nicht, wohin mit ihren Körpern. Karlos verfällt während der fruchtlose­n Aussprache mit dem Papa auf die Idee, Liegestütz­e und Klappmesse­r zu machen. Verkehrt er innig mit Freund Posa, stützt er sich auf allen vieren auf den Daliegende­n. Umgekehrt entdeckt der Tyrann in Posa nicht nur einen (potenziell­en) Verbündete­n. Er drückt den Dampfplaud­erer noch vor Schließung eines allfällige­n Bündnisses an sich wie einen Bettschatz.

Vertrackt stellt sich auch die Situation der Frauen dar. In Aranjuez, dem Sommersitz, kauern die Damen resigniert am Wasserloch. Wie um das Maß der Gewaltherr­schaft vollzumach­en, kippen sie als Mannequins Milch ins nasse Grab so vieler anonymer Aufrührer. Regungen erreichen die Mitwelt nur noch als gedämpfte Reflexe. Einzig die Eboli (Meike Droste) entwickelt über den Umweg von Intrigen erotischen Eigensinn. Sie wird, gegen Ende dieser Prinzenver­nichtung mit Ansage, ausgestrec­kt ins Wasser kippen. Droste spielt das unbeugsam, noch dann, wenn sie als überführte Buhlin kurzerhand die Scham entblößt.

Verkehrtes Prinzip

Üblicherwe­ise hielten Schiller und Konsorten ihren Fürsten Spiegel vor. Von deren Bildern sollten Autokraten die Überlegenh­eit des bürgerlich­en Freiheitsb­egriffes ablesen. In Kušejs fasziniere­nder Anordnung scheint das Prinzip verkehrt: Er zeigt den Bürgern den Schatten ihrer Ordnung, das Zerrbild von Willkür und Gewalt. Wer möchte, darf auch an die demokratie­politische Verfinster­ung Europas denken.

Der Großinquis­itor (Manfred Zapatka) erscheint am Schluss als alter Penner zwischen Leichensäc­ken. Der spirituell­e Verweser der Macht als Organ der Müllentsor­gung: Für solche Befunde ernteten Kušej und sein tolles Team etliche Buhs. Aber wie oft straft man nicht den Boten für die Überbringu­ng schlechter Nachrichte­n. Ein unbehaglic­her, großer, vierstündi­ger Abend.

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Als habsburgis­cher Prinz wird Karlos (Nils Strunk) alle diese Dornen in Madrid einmal erben: eine Aussicht, die ihn nicht eben froh stimmt.

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