Prinzessinnenkunde
Die königliche Hochzeit am Wochenende in London wirft feministische Fragestellungen auf. Warum? Weil erstens: jede Frau eine Prinzessin war. Und zweitens: jedes kleine Mädchen auf der Welt Prinzessin werden soll. Das postuliert die Schriftstellerin Marlen
Zuerst einmal ist jede Frau eine Tochter. Über alle soziologischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Veränderungen hinweg hat sich die eine Grundstruktur der Kernfamilie erhalten: die elterliche Fürsorge des Elternpaars. Zwei Personen finden sich zusammen und ziehen Kinder auf. Ja. In Österreich. Im Familienrecht wurde durch die Gleichstellung der Eltern in Bezug auf die Kinder in dieser Fürsorge vor zwei Jahren die Kernfamilie noch deutlicher als der Ort definiert, an dem die Kinder versorgt werden sollen. So liebevoll wie möglich und unter Wahrung der Kinderrechte. Die Kernfamilie. Die Gattenfamilie. Durch alle und auch gegen manche Zeiten. Diese Familienform ist bei uns dadurch gekennzeichnet, dass die Beziehung der Eltern monogam sein soll. Das neue Paar bezieht einen eigenen Wohnsitz. Die Eltern sind einander verbunden. Das Familienleben entsteht aus dieser Verbundenheit.
Gesellschaft stellt sich auch mit der Gleichberechtigungskernfamilie durch Inzestverbot her. Die Partner oder Partnerinnen werden außerhalb der Verwandtschaft gesucht. Durch Verschwägerung entsteht das Netzwerk neuer Verbindungen. Das bedeutet. Das kleine Mädchen wird später einmal einen Mann aus einer ganz anderen Familie heiraten. Und. Gehei- ratet wird ja weiterhin. Weiterhin bleibt die Hochzeit Ort und Gelegenheit der Verkündigung der Aus-Heirat der Tochter.
Die Tochter. Das kleine Mädchen. Sie wird von Anfang an als die Braut eines anderen entworfen. Der Vater repräsentiert zwar die Vorstellung von so einem späteren Mann. Das Inzestverbot zwingt den Vater aber, das kleine Mädchen als Nicht-Frau-Frau zu sehen. Während der kleine Bub als Wiedergeburt des Vaters zum Sohn wird. Und daraus zum Mann. Das kleine Mädchen wird wie die Mutter eine Frau werden. Aber gerade in diesem Prozess des Frauwerdens bleibt sie durch das Inzestverbot unerreichbar. Die kleine Tochter bleibt darin eine Fremde. Gleichzeitig ist es der Körper dieser Tochter, der die gesellschaftlichen Beziehungen durch die AusHeirat herstellen wird. Darin wiederum ist dieser Körper Repräsentation des Vaters. Und seiner Macht. Und wird darin wiederum in den feudalen Heiratspolitiken sichtbar. Immer noch und weiterhin.
Diese Vaterposition ist kulturell vermittelt. Sie wird immer noch und weiterhin in jedem einzelnen Vater und den Müttern je andere kulturelle Erbschaften und Errungenschaften aufweisen. In solch vererbten Ahnungen. „Sie wird ja einmal weggehen“, ist da zu hören. „Sie wird mich verlassen. Später einmal.“
Die Töchter der Oligarchen
Das kleine Mädchen wird vom Vater zur Prinzessin darin gemacht, dass sie jetzt einmal etwas Besonderes ist. Solange sie in der Familie lebt. So lange ist sie eine Wegzugehende. Sie ist die gesellschaftliche Migrantin, die nur jetzt gerade verwöhnt werden kann. Erzogen werden kann. Beherrscht. Verhätschelt. Geschätzt. Überschätzt. Unterschätzt. Die Tochter ist die Prinzessin in der Ahnung des Vaters ihres Triebschicksals als Frau. In der feudalen Wirklichkeit. Einmal. Damals. Und in der oligarchischen Realität heute. Oder der Familie Trump. Die Töchter. Sie werden wie immer schon zu Tauschobjekten der Befriedung und des Machtgewinns. Wie die Prinzessinnen der Feudalzeiten den Feinden gegeben wurden. Erinnern wir uns an Napoleons Hochzeiten. Heute werden die Töchter der Oligarchen mit anderen Vermögen verheiratet. Oder ein Immobilienvermögen wird mit einem anderen Immobilienvermögen verheiratet. Immer werden aus den Schwagerbeziehungen neue Herrschaftsmöglichkeiten produziert und durch die von den ehemaligen Prinzessinnen zu gebärenden Erben für die Zukunft gesichert.
In der Gleichberechtigungskernfamilie ist das nicht so gewalttätig. Aber. Bei den Hochzeiten. Immer noch weinen die Väter die Tränen über den Verlust der Tochter. Ihre Prinzessin ist nicht mehr ihre Prinzessin. Sie wird nun selbst die Königin eines anderen. Und bei allen guten Wünschen des Vaters. Das ist ein Abschied. Auch für die Tochter. Die alten Gesetze der Aus-Heirat bringen in Erinnerung, dass es um Gesellschaft ging. Beim Heiraten.
Heute. Es ist der Staat und nicht die feudalen Väter, die die Rahmenbedingungen bestimmen, in denen die Kernfamilien leben müssen. Heiraten. Hochzeiten. Die hohe Aufmerksamkeit auf dieses Ereignis. Im Grunde ist es eine Demonstration der Unabhängigkeit in der Entscheidung. Die Neigungsehe hat gesiegt. Über Jahrhunderte war der Kampf geführt worden, den Partner oder die Partnerin frei wählen zu dürfen.
Nicht mehr gesetzlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Zwängen unterworfen in die Ehe wie in ein immerwährendes Gefängnis geführt zu werden. Gleichzeitig ist die Heirat eine Einordnung in die staatlichen Vorschriften, wie Familie zu leben ist. In dieser Ambivalenz der freien Partnerwahl und der Einordnung in die staatlich bestimmte Institution Familie. In der Logik dieser Ambivalenz ist es richtig, die Braut wie eh und je im weißen Kleid auftreten zu lassen. Im Nachvollzug kultureller Normen von lange her und im Wunsch, sich einzuordnen und diesen Wunsch zu veröffentlichen. Es findet ein Neubeginn statt. Und. Es drückt sich der Nichtvollzug kultureller und gesellschaftlicher Gleichberechtigung der Geschlechter in der Inszenierung der Hochzeiten aus. Der Vater führt die weiß gekleidete – und womöglich verschleierte