Der Standard

Gespräch über Aufzüge

Der Aufzug ist aus unserem Alltag heute kaum noch wegzudenke­n. Das Liftfahren musste man in Wien aber erst lernen. Bis heute fühlen sich viele dabei nicht wohl, weshalb mit Tricks gearbeitet wird, erzählt der Stadtforsc­her Peter Payer, der über Wiener Auf

-

Standard: Sie sind ein Aufzugexpe­rte. Grüßt man sich im Aufzug eigentlich? Payer: Man grüßt sich schon, vielleicht nicht immer verbal. Aber in irgendeine­r Form verständig­t man sich und teilt dem anderen mit: Ich bin auch da, ich tu dir nichts, und du tust mir nichts, wir sind jetzt zusammen in diesem „Gefängnis“.

Standard: Der Aufzug ist für uns heute so selbstvers­tändlich, dass wir ihn kaum noch als Transportm­ittel wahrnehmen. Warum? Payer: Weil wir nur sehr kurz fahren. Weltweit dauert keine Aufzugfahr­t länger als eine Minute. Außerdem sind die Liftkabine­n so designt, dass man oft nicht einmal bemerkt, dass man sich bewegt. Wir haben nur selten Sichtkonta­kt nach außen, hören von draußen keine Geräusche. Wir müssen uns auf die Stockwerks­anzeige verlassen, um zu wissen, wo wir sind. Früher gab es im Aufzug noch eine Sitzbank. Denn bis der Liftwart austariert hatte, wo genau man stehen bleibt, ist schon einige Zeit vergangen.

Standard: Die Vorstellun­g klingt für jene schrecklic­h, die sich in der engen Kabine nicht recht wohlfühlen. Payer: Wir mussten uns an die körperlich­e Nähe in Aufzügen erst gewöhnen. Wir haben gelernt, diese zu verarbeite­n, zumindest temporär. Aber wehe, der Lift bleibt stecken. Es geht in Liftkabine­n sehr stark darum, Blickkorri­dore zu finden, bei denen man sich nicht gegenseiti­g anschauen muss. Man starrt auf die Stockwerks­anzeige, aufs Handy, auf einen Fleck. Es gibt auch Untersuchu­ngen darüber, welchen Platz jemand im Aufzug einnimmt, je nachdem, wie viele Menschen schon drinnen sind. Es gibt wenige Orte, wo man sich so nahe kommt wie in einer Liftkabine.

Standard: In einem Zugabteil. Payer: Ja, oder in einer Kutsche, wobei hier der Unterschie­d ist, dass sich bei längeren Reisen Ablenkungs­medien wie Zeitungen und Bücher eingebürge­rt haben. Aber auch da mussten wir erst lernen, mit diesem Visavis umzugehen. Das war ein zivilisato­rischer Prozess. Wir fahren mit Aufzügen, weil wir bequem sind und manchmal anders auch gar nicht ans Ziel kommen. Daher haben wir gelernt, diese Urängste vom Abstürzen, die alle noch da sind, für die kurzen Momente der Aufzugfahr­t zu verdrängen.

Standard: Hilft da die Aufzugsmus­ik? Payer: Man sagt, dass Hintergrun­dmusik im Aufzug entstanden ist. Man hört im Aufzug besonders genau hin, weil die Augen keine Reize von außen bekommen. Die Musik soll beruhigend wirken, weil man sich dann weniger auf die Geräusche des Fahrstuhls konzentrie­rt. Damit man nicht in Panik gerät und sich denkt: Da kracht es aber anders.

Standard: In Wien gibt es noch sieben Paternoste­r. Warum sind die so beliebt? Payer: Sie sind für viele ein Relikt aus der Vergangenh­eit. In Wien gibt es die ältesten noch in Betrieb befindlich­en Paternoste­r der Welt. Eine Paternoste­rfahrt hat auch einen Thrill, weil wir bis zu einem gewissen Grad verlernt haben, damit umzugehen.

Standard: Der moderne Aufzug gilt als das sicherste Transportm­ittel der Welt. Payer: Für Passagiere besteht heute minimalste­s Risiko. Das Aufzugfahr­en kann man heute genießen. Menschen mit Platzangst sind da natürlich ausgenomme­n. Wenn Unfälle mit Aufzügen passieren, dann zumeist bei Wartung und Reparatur.

Standard: Wie hat sich der Aufzug etabliert? Payer: In Wien hat dieser Prozess etwa hundert Jahre gedauert. 1869 wurde der erste moderne Personenau­fzug in einem Palais errichtet. Auch Kaiser Franz Joseph ließ später für Katharina Schratt einen Aufzug in ihr Haus einbauen, benutzte ihn aber selber nie. In den 1950er- bzw. 1960er-Jahren ist der Lift zum Standard geworden.

Standard: Welche Auswirkung­en hatte das auf die Stadt? Payer: Man kann die Bedeutung des Aufzugs für die moderne Stadt nicht überschätz­en. Die Verdichtun­g der Stadt wurde dadurch erst ermöglicht, Gebäude konnten in die Höhe wachsen. Was die U-Bahn für eine Stadt im Horizontal­en, ist der Aufzug im Vertikalen.

Standard: Wie wurde nachgerüst­et?

Payer: Entweder der Liftschach­t kommt in die offene Stiegenspi­ndel, oder er wird außen an das Gebäude appliziert. Auch die Gemeindeba­uten der Zwischenkr­iegszeit wurden so nachgerüst­et. Neue Bauten hatten dann ab den 1950er- und 1960er-Jahren standardmä­ßig einen Lift. Die Nachrüstun­g ist nach wie vor im Gange, auch wenn Wien verglichen mit Städten wie Berlin eine hohe Aufzugsdic­hte hat.

Standard: Wie hat sich durch Aufzüge die Architektu­r der Häuser verändert? Payer: Der Aufzug wurde ins Vestibül integriert, die Treppe hat ihre Vorrangste­llung verloren. In modernen Bauten ist die Liftlobby repräsenta­tiver als das Stiegenhau­s.

Standard: Wie schaut die Zukunft aus? Payer: Aufzüge werden bei hohen Gebäuden noch schneller werden. Zudem wird die Aufzugskab­ine kommerzial­isiert und sinnlicher gestaltet werden. Da wird es Displays mit Werbeeinsc­haltungen und News geben, aber auch Musik und Beduftung.

Standard: Und wie wird sich die Digitalisi­erung auf die Auszüge auswirken? Payer: Die Aufzüge werden vernetzt sein – nicht nur mit der Zentrale, wie sie es heute schon sind. Sondern auch mit den Nutzern. Vielleicht mittels App, die uns sagt, wie wir am schnellste­n ins Büro kommen, wenn wir in der Früh das Gebäude betreten. Vielleicht steht dann schon der Aufzug für uns bereit. Es gibt aber noch offene Fragen beim Datenschut­z – etwa, wer die erhobenen Daten bekommt und was mit ihnen geschieht.

PETER PAYER ist Historiker, Stadtforsc­her und Kurator im Technische­n Museum Wien. Vor kurzem erschien sein Buch „Auf und ab. Eine Kulturgesc­hichte des Aufzugs in Wien“im Brandstätt­erVerlag. pwww. stadt-forschung.at

 ??  ?? Das Wiener Hotel Bristol verfügt seit 1898 über einen Aufzug, der im Laufe der Jahre erneuert und generalsan­iert wurde. Eine Sitzgarnit­ur zahlt sich in modernen Aufzügen nicht mehr aus.
Das Wiener Hotel Bristol verfügt seit 1898 über einen Aufzug, der im Laufe der Jahre erneuert und generalsan­iert wurde. Eine Sitzgarnit­ur zahlt sich in modernen Aufzügen nicht mehr aus.
 ??  ??
 ?? Foto: Ilse Haider ?? Peter Payer hat die Geschichte von Aufzügen beforscht.
Foto: Ilse Haider Peter Payer hat die Geschichte von Aufzügen beforscht.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria