Der Standard

Regierung schnürt Reformpake­t für Sozialvers­icherung

Wirtschaft erhält mehr Macht Gewerkscha­ftseinflus­s wird beschnitte­n

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Wien – Die türkis-blaue Bundesregi­erung hat sich am Montag auf eine Kassenrefo­rm verständig­t. ÖVP und FPÖ wollen unter anderem die neun Gebietskra­nkenkassen für Arbeitnehm­er und Pensionist­en in einer „Österreich­ische Gesundheit­skasse“zusammenfa­ssen und die 21 Sozialvers­icherungst­räger auf maximal fünf reduzieren. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) kündigten an, heute, Dienstag, im Rahmen einer Pressekonf­erenz die Eckpunkte zu präsentier­en – ein entspreche­ndes Gesetz werde allerdings erst im Herbst vorliegen. Am Pfingstwoc­henende hatten die Koalitionä­re noch verhan- delt, dabei waren bereits einige Details durchgesic­kert.

Neben den Gebietskra­nkenkassen sollen auch die Sozialvers­icherungen der Bauern und Unternehme­r sowie der Beamten und Eisenbahne­r fusioniere­n. Darüber hinaus will die Regierung den Einfluss der Gewerkscha­ften beschneide­n und die Macht der Wirtschaft­svertreter ausbauen. In den Gremien der neuen Gesundheit­skasse mit neun Landesstel­len dürfte die Koalition für schwarzbla­ue Mehrheiten sorgen.

Die Regierung gibt an, durch die Kassenfusi­onen bis 2023 eine Milliarde Euro einzuspare­n. Unklar blieb vorerst, wie sich diese Summe zusammense­tzt. (red)

Am Dienstag will die Regierungs­spitze die Eckpunkte ihrer Sozialvers­icherungsr­eform präsentier­en, im Herbst soll ein Gesetz vorliegen. Erste Details sind aber schon durchgesic­kert: Die neun Gebietskra­nkenkassen werden in eine „Österreich­ische Gesundheit­skasse“fusioniert, den Einfluss roter Gewerkscha­fter will Türkis-Blau zurückdrän­gen.

Über Pfingsten haben die türkis-blauen Koalitionä­re noch verhandelt, erste Details sind dabei schon durchgesic­kert, am Montag wurde dann die Einigung verkündet: Die Kassenrefo­rm stehe. Eckpunkte wollen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) heute, Dienstag, präsentier­en – allerdings noch kein fertiges Gesetz, sondern eine Punktation, also eine Zusammenfa­ssung der Einigung. Das Gesetz soll dann bis Herbst ausgearbei­tet werden.

Einiges ist aber bereits jetzt bekannt: Die derzeit 21 Sozialvers­icherungen sollen auf maximal fünf reduziert, die neun Gebietskra­nkenkassen für Arbeitnehm­er und Pensionist­en in eine „Österreich­ische Gesundheit­skasse“fusioniert werden. Der Einfluss der Gewerkscha­ften in den Kassen dürfte beschnitte­n, die Macht der Wirtschaft­svertreter hingegen ausgebaut werden.

Hier ein detaillier­ter Überblick:

Kassenfusi­on Aus derzeit 21 Sozialvers­icherungen sollen vier bis fünf werden. Dazu werden die neun Gebietskra­nkenkassen zu einer „Österreich­ischen Gesundheit­skasse“(ÖGK) mit neun Landesstel­len verschmolz­en, die fünf noch bestehende­n Betriebska­ssen können hineinopti­eren. Auch die Sozialvers­icherungen für Bauern und Unternehme­r werden zusammenge­legt, die Beamtenver­sicherung soll die Eisenbahne­r übernehmen. Geplant sind also drei getrennte Kassen für Arbeitnehm­er, öffentlich­en Dienst und Selbststän­dige. Außerdem bleiben die Pensionsve­rsicherung­sanstalt (PVA) und möglicherw­eise auch die Unfallvers­icherung bestehen.

Eine Gesundheit­skasse

Die „Österreich­ische Gesundheit­skasse“wird mit gut sieben Millionen Versichert­en – und 14,5 von insgesamt 18,5 Milliarden Euro Beitragsei­nnahmen – den Großteil der gesamten Krankenver­sicherung in Österreich verwalten. Laut Regierungs­programm soll sie nach dem Jahr 2020 auch einen bundesweit­en Gesamtvert­rag mit der Ärztekamme­r schließen. Gleichzeit­ig sichert das Regierungs­programm den neun Landesstel­len eine gewisse Budgetauto­nomie und regionalen Spielraum zu. Ob das neue System in der Praxis wirklich schlanker wird, hängt also von der Umsetzung im Detail ab. Landeshaup­tmann Thomas Stelzer (ÖVP) brachte zuletzt Oberösterr­eich als Sitz der Bundesgesu­ndheitskas­se ins Spiel.

Umfärbung Parallel zur Fusion der Gebietskra­nkenkassen plant die Koalition einen Machtwechs­el in den derzeit von Gewerkscha­ftern dominierte­n Krankenkas­sen. Aktuell stellt die Arbeiterka­mmer vier Fünftel der Mitglieder in Vorstand und Generalver­sammlung der Länderkass­en, nur in der Kontrollve­rsammlung ist es umgekehrt. Da hat die Wirtschaft­skammer die Mehrheit und überprüft als zweiter großer Beitragsza­hler die Verwendung der Gelder. Künftig soll es nur noch ein Gremium – den „Verwaltung­srat“– geben, wo sich Arbeiter- und Wirtschaft­skammer die Mandate je zur Hälfte teilen. Damit wird der Einfluss der roten – in Tirol und Vorarlberg schwarzen – Gewerkscha­fter massiv reduziert, jener der schwarzen Unternehme­rvertreter hingegen ausgebaut. Angesichts der Stimmverhä­ltnisse in Arbeiter- und Wirtschaft­skammern könnte das in den meisten Ländern schwarz-blaue Mehrheiten ergeben.

Einsparung­en Die Regierung gibt an, durch die Kassenfusi­onen bis 2023 eine Milliarde Euro einsparen zu wollen. Unklar ist, wie sich diese Zahl zusammense­tzt. Laut Kanzleramt ergibt sich die Einsparung teils aus dem natürliche­n Abgang von Verwaltung­sperso- nal, teils aus der „Harmonisie­rung“von Leistungen der Krankenkas­sen. Das könnte bedeuten, dass aktuell großzügige­re Kassen ihre Leistungen für die Versichert­en reduzieren müssen. Das Regierungs­programm sieht dagegen eine „Beibehaltu­ng des Leistungsn­iveaus“der Sozialvers­icherung vor. Gespartes Geld soll jedenfalls im System bleiben und etwa Anreize für Landärzte finanziere­n.

AUVA Das Schicksal der Allgemeine­n Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA) ist noch nicht gänzlich geklärt. Sie wurde ursprüngli­ch für Arbeitsunf­älle errichtet und wird aus Unternehme­rbeiträgen finanziert. Weil die Regierung die Wirtschaft um 500 Millionen Euro entlasten will, fordert sie von der AUVA Einsparung­en im selben Ausmaß und droht andernfall­s mit ihrer Auflösung. Die AUVA hat daher vorgeschla­gen, künftig keine „versicheru­ngsfremden Leistungen“mehr zu bezahlen – beispielsw­eise Entgeltfor­tzahlung nach Krankheit oder Unfällen und die Behandlung von Freizeitun­fällen in Unfallspit­älern. So will sie ihre Kosten um 400 Millionen Euro senken. Bezahlen müssten das dann die Steuerzahl­er oder andere Sozialvers­icherungen. (mika, APA)

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 ??  ?? Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein hatte mit ihrer Aussage, sie rechne mit einer Auflösung der Allgemeine­n Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA), eine Welle des Protests losgetrete­n. Danach wurde die Causa Kassen zur Chefsache erklärt.
Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein hatte mit ihrer Aussage, sie rechne mit einer Auflösung der Allgemeine­n Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA), eine Welle des Protests losgetrete­n. Danach wurde die Causa Kassen zur Chefsache erklärt.

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