Keine Transparenz
„Gläserner Staat statt gläserne Bürger!“, forderte Sebastian Kurz einst. Doch das Amtsgeheimnis bleibt. Die Regierung bemüht sich nicht einmal auf dem Papier um Transparenz.
Kanzler Sebastian Kurz forderte 2013 den „gläsernen Staat“. Dennoch: Das Amtsgeheimnis bleibt.
In Langenzersdorf wählten 2581 Bürger bei der Gemeinderatswahl 2010 die ÖVP. Wie viele davon dem Bürgermeister des niederösterreichischen Ortes eine Vorzugsstimme gegeben haben, behielt das Amt lieber für sich, als ein interessierter Bürger im Jahr 2011 danach fragte. Die Gemeinde hatte das Recht auf ihrer Seite, in Niederösterreich mussten Vorzugsstimmenergebnisse nicht veröffentlicht werden: Das Amtsgeheimnis hat zugeschlagen. All das hätte sich seitdem ändern sollen.
der STANDARD fragte beim Langenzersdorfer Bürgermeister um die Vorzugsstimmenergebnisse der Gemeinderatswahl von 2015 an – ohne Antwort. Das Amt hat auch im Jahr 2018 noch das Recht zu schweigen. Optimistisch betrachtet hatte
der STANDARD noch Glück, dass Langenzersdorf keine Rechnung schickte: Die NGO Forum Informationsfreiheit und die Plattform Addendum machten die Erfahrung, dass das Amtsgeheimnis auch Zähne zeigen kann. Beide stellten Anfragen an hunderte Gemeinden – statt Antworten erhielten sie von vielen Gebühren für das Einlangen der Schreiben aufgebrummt.
Österreich als Schlusslicht
Amtliche Informationen sind geheim, außer sie sind es nicht. So könnte man die gesetzliche Lage vereinfacht erklären: Das Recht sieht sowohl Amtsverschwiegenheit als auch Auskunftspflicht vor. Was im Einzelfall gilt, ist nicht eindeutig geregelt. Das führt dazu, dass öffentliche Stellen Informationen wie Studienergebnisse, Vertragsinhalte, Fördersummen oder eben Wahlergebnisse für sich behalten können, wenn sie das wollen. Österreich gehört weltweit zu den Schlusslichtern, was Informationsfreiheit betrifft – das Nachbarland Slowenien zu den Musterschülern (siehe Interview unten).
Das fand einer schon 2013 untragbar: Sebastian Kurz, damals Staatssekretär, heute Bundeskanzler (ÖVP). „Gläserner Staat statt gläserner Bürger“, forderte er und trat dafür ein, „dass alles, was aus Steuergeld finanziert wird, offengelegt werden muss“. Kurz verhandelte damals mit der SPÖ – und forderte sie vor fünf Jahren auf, „schnell in die Gänge zu kommen“. Bis zur Nationalratswahl 2017 wollte Kurz damals ein Gesetz zustande bringen.
Das ist nicht passiert – doch was Rot-Schwarz bis 2017 nicht schaffte, versucht Türkis-Blau nun gar nicht mehr.
Kein Wort im Regierungspakt
Unter dem roten Kanzler Werner Faymann verhandelten SPÖ und ÖVP jahrelang untereinander und mit Oppositionsparteien, weil eine Verfassungsmehrheit für eine Reform des Amtsgeheimnisses notwendig ist. Ergebnislos, obwohl die Schaffung von Informationsfreiheit im Regierungsprogramm festgeschrieben war. Im Regierungsprogramm zwischen ÖVP und FPÖ, verhandelt von Kurz selbst, findet sich kein Wort zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses.
Josef Barth wundert das alles nicht mehr. „Man hat uns alles versprochen und alles gebrochen“, sagt der Gründer des Forums Informationsfreiheit, das seit Jahren für das Ende des Amtsgeheimnisses lobbyiert. Noch 2013 prophezeite er im STANDARD, es müsse bei der Informationsfreiheit mittelfristig zum „Dammbruch kommen. Der Druck wird immer größer werden.“Bisher ist das nicht passiert, aber „wenn wir uns weiterhin als liberale Demokratie sehen wollen, dann muss diese Mauer endlich fallen“.
Der Abgeordnete Peter Wittmann verhandelte damals für die SPÖ, will gegen Ende der Legislaturperiode „einen abnehmenden Enthusiasmus der ÖVP“gespürt haben, es sei „dann nur mehr darum gegangen, die Regierung platzen zu lassen“.
Dabei seien die Verhandlungen damals schon „sehr weit gediehen“, sagt NeosVerfassungssprecher Nikolaus Scherak, „man muss nur den Ball wieder aufnehmen. Man könnte da sehr zügig zu einem Ergebnis kommen, wenn man will.“Scherak glaubt nur nicht, dass die Regierung das will.
So wollen die Abgeordneten der Regierungsparteien das nicht stehenlassen. Wolfgang Gerstl (ÖVP) sagt, bei der geplanten „Demokratiereform wird sicher auch das Amtsgeheimnis dabei sein“. Philipp Schrangl (FPÖ) gesteht, die Informationsfreiheit sei „nicht die Toppriorität“, aber er habe das Thema weiterhin auf der Agenda. Dass es noch in dieser Legislaturperiode – also bis 2022 – ein neues Gesetz gibt, darauf will er sich nicht festlegen.
Kurz’ Verschwiegenheit
Und der Kanzler, ist er weiterhin für Informationsfreiheit? Warum steht die Abschaffung des Amtsgeheimnisses nicht im Koalitionspakt? Das bleibt ein Geheimnis im Bundeskanzleramt: Eine Anfrage des STANDARD bleibt unbeantwortet.
ÖVP-Verhandler Gerstl hat jedenfalls eines gelernt aus den gescheiterten Versuchen, den Staat transparenter zu machen: „Man muss das in Ruhe besprechen – mit weniger Öffentlichkeit.“
Nur wenige Stunden im Amt, schon erhitzt Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) die Gemüter. Mahrer hatte heftige Kritik an den Gewerkschaften geübt. Unter anderem weil die Genossen gegen eine Arbeitszeitflexibilisierung kampagnisierten. Mahrer sprach von „Gräuelpropaganda“bei den Arbeitnehmern und bezeichnete die (Reform-)Gegner sogar als „Gegner der Republik“.
Mahrers Vorgänger in der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, war in der Sache oft hart, hat aber immer Wert darauf gelegt, mit Gewerkschaften im Dialog zu bleiben. Leitl war ein Aushängeschild für eine starke Sozialpartnerschaft. Seine Grundsätze: Keine Seite fährt über die andere drüber, und überall, wo es möglich ist, geben die Sozialpartner der Regierung die Linie vor. Die Arbeitnehmer als „Gegner der Republik“zu bezeichnen ist eine klare Abweichung von diesem Ton, wird der Gegner damit doch nicht in der Sache attackiert, sondern diskreditiert.
Mahrer, der Vertraute des Kanzlers, hat zugleich klargemacht, dass er weiter für die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern plädiert. Damit ist er auf Distanz zur Regierung, insbesondere zur FPÖ, gegangen, die versucht, die Sozialpartner zu schwächen und ihren Einfluss zurückzudrängen. Das alles wirkt, als müsste Mahrer sich erst entscheiden: Setzt er die Regierungslinie um, oder will er ein emanzipierter Anführer des Unternehmensverbands sein?