ZITAT DES TAGES
Christoph Leitl, Präsident der europäischen Wirtschaftskammern, über die doppelte Herausforderung durch die USA und China und die zweite Chance für das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.
„Europa sollte sich politisch von der Bevormundung durch die USA lösen und wirtschaftlich mit aller Welt Freihandelsabkommen abschließen, mit Südamerika, Afrika, auch mit China.“
Am vergangenen Freitag hat Christoph Leitl die Leitung der Wirtschaftskammer an Harald Mahrer abgegeben. Er bleibt Präsident von Eurochambres, dem Verband der Wirtschaftskammern Europas – und beschäftigt sich mit Standort- und Handelsfragen.
STANDARD: Die USA kämpfen wirtschaftlich gegen China, China gegen die USA, von Europa ist kaum die Rede. Ist die EU abgemeldet im globalen Wettbewerb? Leitl: Abgemeldet nicht, denn Europa ist immer noch die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Gefährdet ja. Wenn man sich anschaut, was sich in China entwickelt, dann müssten in Europa die Alarmglocken klingeln. Wenn wir diese überhören, könnten sie zu Sterbeglöckchen werden.
STANDARD: Welche Gefahr geht denn von China aus? Leitl: China will in zehn Jahren Innovationsleader werden. Und es will beweisen, dass es mit seiner Regierungsform entscheidungsstärker und langfristig erfolgreicher sein kann. Das ist eine höchstgradige Gefährdung für Europa.
STANDARD: Aber bisher hat Europa von einem erfolgreichen China wirtschaftlich stark profitiert. Leitl: Chinas Erfolg ist an sich keine Gefahr. Aber es kommt zu einer neuen Verteilung des Weltwirtschaftskuchens – und damit auch des Wohlstands. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass wir nur sieben Prozent der Weltwirtschaft sind und in zehn Jahren kein einziges europäisches Land unter den Top Ten der Welt sein wird. Aber wir leisten uns 50 Prozent der Umwelt- und Sozialleistungen der Welt. Wir müssen schauen, dass wir uns genug vom Kuchen abschneiden können, um unseren Lebensstandard zu halten.
STANDARD: Dann bläst Trump zu Recht zum Kampf gegen China? Leitl: Kampf ist ein schlechtes Rezept und steht den Amerikanern, die immer Fahnenträger des freien Welthandels waren, schlecht an. Aber Trump hat recht, wenn er das US-Handelsdefizit mit China kritisiert. Bloß bei Asiaten nützt Poltern nichts. Nur in Verhandlungen kommt man zu Resultaten, wie das die EU mit dem Handelspakt mit Südkorea bewiesen hat.
STANDARD: Auch die EU hat einen gewaltigen Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den USA. Rechtfertigt das etwa auch Strafzölle? Leitl: Abschotten ist keine Lösung. Die 500.000 Unterzeichner des Volksbegehrens gegen TTIP haben uns nicht geglaubt, dass der Vertrag vorteilhaft gegenüber den USA wäre. Jetzt glauben sie es vielleicht.
STANDARD: Hat TTIP vielleicht nun doch eine zweite Chance? Leitl: Wenn wir das Abkommen von der unsäglichen Diskussion über den Investitionsschutz befreien, dann ja. Machen wir den ersten Schritt, bauen wir wechselseitig Zölle und Barrieren ab, und schaffen wir Konsumentenschutz durch Transparenz. Überall wird draufgeschrieben, was drinnen ist, und sei es Gentechnik. Dann stellt sich die Frage nicht mehr, was wir zulassen und was nicht.
STANDARD: Sollte Europa sich eher mit den USA verbünden, um China zur Öffnung zu zwingen, oder eher mit China, um Trumps Protektionismus abzuwehren? Leitl: Europa sollte sich politisch von der Bevormundung durch die USA lösen und wirtschaftlich mit aller Welt Freihandelsabkommen abschließen, mit Südamerika, Afrika, auch mit China. Und wir müssen aus diesen Handelsbeziehungen jene Wertschöpfung herausziehen, die wir brauchen, um unseren Wohlstand zu sichern.
STANDARD: China hält sich so oft nicht an WTO-Regeln, etwa beim Schutz des geistigen Eigentums. Ist Europa schwach, wenn es sich selbst an alle Regeln hält? Leitl: Wenn China Weltspitze werden will, dann muss es sich öffnen, das hat auch Staatspräsident Xi Jinping gesagt. Dann muss es auch geistiges Eigentum respektieren. Man muss sich vor der neuen Seidenstraße nicht fürchten, solange sie keine Einbahnstraße ist. Es muss auch in China die glei- chen Chancen für Marktzugang geben. Wir brauchen Waffengleichheit.
STANDARD: Also chinesische Investoren blockieren, wenn sie FACC oder Wolford kaufen? Leitl: Oder zehn Prozent von Daimler. Wenn es umgekehrt möglich ist, sich genauso in China einzukaufen, dann passt es.
STANDARD: Aber das war noch nie möglich. Und diesen Protektionismus gibt es auch in der EU, etwa zwischen Frankreich und Italien. Sollen wir wirklich die chinesischen Methoden übernehmen?
Leitl: Dort schon, wo die Chinesen ihre Kräfte bündeln, was im Übrigen im Forschungs- und Entwicklungssektor auch die Amerikaner machen. Wir Europäer zersplittern uns. Ich war in einer deutschen Automobilfirma, einer französischen, einer italienischen. Alle forschen an denselben Dingen, aber nicht gemeinsam. Sie verzichten sogar auf EUFördermittel, weil sie den Fortschritt für sich allein haben wollen. Das ist ein Urübel Europas.