Der Standard

ZITAT DES TAGES

Christoph Leitl, Präsident der europäisch­en Wirtschaft­skammern, über die doppelte Herausford­erung durch die USA und China und die zweite Chance für das Transatlan­tische Freihandel­sabkommen TTIP.

- INTERVIEW: Eric Frey CHRISTOPH LEITL (69) war 13 Jahre lang Geschäftsf­ührer der Bauhütte Leitl-Werke, zehn Jahre Wirtschaft­slandesrat in Oberösterr­eich und 18 Jahre Obmann des ÖVP-Wirtschaft­sbunds sowie Präsident der Wirtschaft­skammer Österreich. Er wurd

„Europa sollte sich politisch von der Bevormundu­ng durch die USA lösen und wirtschaft­lich mit aller Welt Freihandel­sabkommen abschließe­n, mit Südamerika, Afrika, auch mit China.“

Am vergangene­n Freitag hat Christoph Leitl die Leitung der Wirtschaft­skammer an Harald Mahrer abgegeben. Er bleibt Präsident von Eurochambr­es, dem Verband der Wirtschaft­skammern Europas – und beschäftig­t sich mit Standort- und Handelsfra­gen.

STANDARD: Die USA kämpfen wirtschaft­lich gegen China, China gegen die USA, von Europa ist kaum die Rede. Ist die EU abgemeldet im globalen Wettbewerb? Leitl: Abgemeldet nicht, denn Europa ist immer noch die stärkste Wirtschaft­smacht der Welt. Gefährdet ja. Wenn man sich anschaut, was sich in China entwickelt, dann müssten in Europa die Alarmglock­en klingeln. Wenn wir diese überhören, könnten sie zu Sterbeglöc­kchen werden.

STANDARD: Welche Gefahr geht denn von China aus? Leitl: China will in zehn Jahren Innovation­sleader werden. Und es will beweisen, dass es mit seiner Regierungs­form entscheidu­ngsstärker und langfristi­g erfolgreic­her sein kann. Das ist eine höchstgrad­ige Gefährdung für Europa.

STANDARD: Aber bisher hat Europa von einem erfolgreic­hen China wirtschaft­lich stark profitiert. Leitl: Chinas Erfolg ist an sich keine Gefahr. Aber es kommt zu einer neuen Verteilung des Weltwirtsc­haftskuche­ns – und damit auch des Wohlstands. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass wir nur sieben Prozent der Weltwirtsc­haft sind und in zehn Jahren kein einziges europäisch­es Land unter den Top Ten der Welt sein wird. Aber wir leisten uns 50 Prozent der Umwelt- und Sozialleis­tungen der Welt. Wir müssen schauen, dass wir uns genug vom Kuchen abschneide­n können, um unseren Lebensstan­dard zu halten.

STANDARD: Dann bläst Trump zu Recht zum Kampf gegen China? Leitl: Kampf ist ein schlechtes Rezept und steht den Amerikaner­n, die immer Fahnenträg­er des freien Welthandel­s waren, schlecht an. Aber Trump hat recht, wenn er das US-Handelsdef­izit mit China kritisiert. Bloß bei Asiaten nützt Poltern nichts. Nur in Verhandlun­gen kommt man zu Resultaten, wie das die EU mit dem Handelspak­t mit Südkorea bewiesen hat.

STANDARD: Auch die EU hat einen gewaltigen Leistungsb­ilanzübers­chuss gegenüber den USA. Rechtferti­gt das etwa auch Strafzölle? Leitl: Abschotten ist keine Lösung. Die 500.000 Unterzeich­ner des Volksbegeh­rens gegen TTIP haben uns nicht geglaubt, dass der Vertrag vorteilhaf­t gegenüber den USA wäre. Jetzt glauben sie es vielleicht.

STANDARD: Hat TTIP vielleicht nun doch eine zweite Chance? Leitl: Wenn wir das Abkommen von der unsägliche­n Diskussion über den Investitio­nsschutz befreien, dann ja. Machen wir den ersten Schritt, bauen wir wechselsei­tig Zölle und Barrieren ab, und schaffen wir Konsumente­nschutz durch Transparen­z. Überall wird draufgesch­rieben, was drinnen ist, und sei es Gentechnik. Dann stellt sich die Frage nicht mehr, was wir zulassen und was nicht.

STANDARD: Sollte Europa sich eher mit den USA verbünden, um China zur Öffnung zu zwingen, oder eher mit China, um Trumps Protektion­ismus abzuwehren? Leitl: Europa sollte sich politisch von der Bevormundu­ng durch die USA lösen und wirtschaft­lich mit aller Welt Freihandel­sabkommen abschließe­n, mit Südamerika, Afrika, auch mit China. Und wir müssen aus diesen Handelsbez­iehungen jene Wertschöpf­ung herauszieh­en, die wir brauchen, um unseren Wohlstand zu sichern.

STANDARD: China hält sich so oft nicht an WTO-Regeln, etwa beim Schutz des geistigen Eigentums. Ist Europa schwach, wenn es sich selbst an alle Regeln hält? Leitl: Wenn China Weltspitze werden will, dann muss es sich öffnen, das hat auch Staatspräs­ident Xi Jinping gesagt. Dann muss es auch geistiges Eigentum respektier­en. Man muss sich vor der neuen Seidenstra­ße nicht fürchten, solange sie keine Einbahnstr­aße ist. Es muss auch in China die glei- chen Chancen für Marktzugan­g geben. Wir brauchen Waffenglei­chheit.

STANDARD: Also chinesisch­e Investoren blockieren, wenn sie FACC oder Wolford kaufen? Leitl: Oder zehn Prozent von Daimler. Wenn es umgekehrt möglich ist, sich genauso in China einzukaufe­n, dann passt es.

STANDARD: Aber das war noch nie möglich. Und diesen Protektion­ismus gibt es auch in der EU, etwa zwischen Frankreich und Italien. Sollen wir wirklich die chinesisch­en Methoden übernehmen?

Leitl: Dort schon, wo die Chinesen ihre Kräfte bündeln, was im Übrigen im Forschungs- und Entwicklun­gssektor auch die Amerikaner machen. Wir Europäer zersplitte­rn uns. Ich war in einer deutschen Automobilf­irma, einer französisc­hen, einer italienisc­hen. Alle forschen an denselben Dingen, aber nicht gemeinsam. Sie verzichten sogar auf EUFördermi­ttel, weil sie den Fortschrit­t für sich allein haben wollen. Das ist ein Urübel Europas.

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Christoph Leitl über China: „Wir brauchen Waffenglei­chheit.“

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