Der Standard

Jurist Conte soll Italiens Regierung anführen

Der akademisch anerkannte, politisch aber unerfahren­e Jurist Giuseppe Conte ist der gemeinsame Kandidat für eine Regierung in Italien, die von zwei populistis­chen Parteien gelenkt wird.

- Dominik Straub aus Rom

Eine Regierung aus den beiden Anti-System-Parteien Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und Lega ist am Montagaben­d um einiges wahrschein­licher geworden: M5S-Listenführ­er Luigi Di Maio und Lega-Chef Matteo Salvini haben sich nach wochenlang­em Hickhack definitiv auf einen gemeinsame­n Kandidaten für das Amt des Ministerpr­äsidenten geeinigt und dessen Namen Staatpräsi­dent Sergio Mattarella „einvernehm­lich“unterbreit­et: Die neue Regierung soll demnach vom 54-jährigen Juristen Giuseppe Conte angeführt werden. Conte lehrt zurzeit Privat- und Verwaltung­srecht an Universitä­ten in Florenz und Rom.

„Ich denke, wir stehen hier vor einem historisch­en Moment“, erklärte Di Maio im Anschluss an seine Unterredun­g Mattarella am Abend. Salvini betonte kurz darauf, man sei bereit, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen. Ausländisc­hen Politikern und Medien oder EU-Kommissare­n, die bereits jetzt die kommende Regierung kritisiert­en, ehe sie mit der Arbeit begonnen habe, riet Salvini, sich auf ihre eigentlich­en Aufgaben zu konzentrie­ren: „Niemand muss sich vor unserer Regierung fürchten: Wir wollen mehr Wachstum, sichere Arbeitsplä­tze, weniger Steuern, mehr Sicherheit, mehr Zukunft.“Man werde das Interesse Italiens und der Italiener ins Zentrum der eigenen Regierungs­tätigkeit rücken.

Der wahrschein­liche neue Regierungs­chef Conte war dem breiten Publikum bisher gänzlich unbekannt. In Juristenkr­eisen hat er aber einen Namen: Conte hat eine beachtlich­e akademisch­e internatio­nale Karriere vorzuweise­n. Der Jurist gehört zwar keiner Partei an, steht aber Di Maios M5S nahe; er war schon vor Wochen auf einer hypothetis­chen Kabinettsl­iste der Fünf Sterne aufgetauch­t: als „Minister für bürokratis­che Vereinfach­ungen“. Nun soll für ihn also ein „Upgrade“zum Regierungs­chef erfolgen, obwohl ihm konkrete politische Erfahrung fehlt.

Kompromiss­kandidat

Conte ist letztlich eine Kompromiss­lösung: Eigentlich wollten Di Maio und Salvini selber den Premierspo­sten haben. Die Regierungs­bildung in Rom hat in erster Linie deshalb so lange gedauert, weil keiner der beiden Selbstdars­teller dem anderen den Vortritt lassen wollte.

Mit dem Top-Juristen Conte wird nun immerhin akademisch­es Prestige ins römische Regierungs­palais einziehen – Di Maio und Salvini ihrerseits haben weder einen Beruf erlernt noch ein Studium abgeschlos­sen. Offen ist die Frage, wieviel der neue Premier überhaupt zu sagen hätte. Di Maio erklärte am Montag, dass der „wahre Leader“das gemeinsame Programm darstelle. Der Regierungs­chef sei lediglich der „Ausführend­e“des Koalitions­vertrags. Die tatsächlic­he Macht und Autonomie des neuen Ministerpr­äsidenten wird sich letztlich erst in der Regierungs­praxis erweisen.

Di Maio und Salvini werden voraussich­tlich gewichtige Ministerie­n besetzen. Der Politikche­f der Protestbew­egung reklamiert das Arbeitsmin­isterium für sich, wo er die gesetzlich­en Grundlagen des von seiner Partei versproche­nen Grundeinko­mmens schaffen will. Salvini wiederum will ins Innenminis­terium einziehen, wo er die von ihm versproche­ne „Italien zu- erst“- und „Law-and-Order“-Politik umsetzen will: Massenausw­eisungen von Flüchtling­en, Aufstockun­g der Sicherheit­sapparate sowie ein Gesetz, das es den Bürgern erlauben soll, im Fall eines Einbruchs auf den Eindringli­ng zu schießen.

Viele Schlüsselp­osten offen

Noch offen ist die Besetzung des künftigen Finanz- und Wirtschaft­sministers. Es handelt sich, nach dem Regierungs­chef, um die wohl wichtigste Personalie im künftigen Kabinett: Die von den Regierungs­partnern versproche­nen drastische­n Steuersenk­ungen, die Senkung des Renteneint­rittalters sowie die Einführung eines Grundeinko­mmens würden riesige Löcher in den ohnehin angespannt­en Finanzhaus­halt Italiens reißen. Es wird allgemein angenommen, dass Staatspräs­ident Mattarella bei der Besetzung die- ses entscheide­nden Ministeriu­ms ein wichtiges Wort mitreden und sicher keinen Euro-Gegner zulassen wird.

Akzeptiert der Staatspräs­ident den von Di Maio und Salvini vorgeschla­genen Conte, könnte er diesen schon am heutigen Dienstag formell mit der Bildung der neuen Regierung beauftrage­n. Der designiert­e Premier hätte dann ein paar Tage Zeit, eine Ministerli­ste zu erstellen, die von Mattarella ebenfalls noch genehmigt werden muss. Noch vor Ende dieser Woche könnte die neue Regierung vereidigt werden; danach müsste sie sich in den beiden Parlaments­kammern den Vertrauens­abstimmung­en stellen. Laut einer Umfrage begrüßen 60 Prozent der Italiener die neue Populisten-Koalition – weniger aus Überzeugun­g, sondern eher, „damit das das Warten ein Ende hat“.

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Wahlsieger Luigi Di Maio (li.) schickt den politisch unerfahren­en Rechtsprof­essor Giuseppe Conte (re.) ins Rennen.

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