Der Standard

Vier Knackpunkt­e für die neue Regierung in Rom

Italien gilt aktuell als das große Problemkin­d der Eurozone. Die Vorhaben der Populisten in Rom sorgen zusehends für Nervosität. Steht es um Italien wirklich so schlecht?

- András Szigetvari

Nein, die Eurokrise ist nicht zurück. Doch die wahrschein­liche künftige Koalitions­regierung in Italien bestehend aus der Fünf-SterneBewe­gung und der rechtsnati­onalistisc­hen Lega Nord sorgt unter Investoren für Nervosität. Die Risikoaufs­chläge für italienisc­he Staatsanle­ihen haben am Montag zugelegt, Italien muss seinen Gläubigern spürbar höhere Zinsen bieten.

Ökonomen und Bankanalys­ten widmen sich derweil wieder intensiv Italiens Wirtschaft­sproblemen. Der Tenor ist dabei einhellig: Das Koalitions­abkommen wird die Verwerfung­en verschlimm­ern. Vor allem die zusätzlich­en Ausgaben der Regierung, etwa für Pensionen, werden kritisiert. Italien geht „auf Konfrontat­ionskurs“mit der Eurozone, schreiben die Ökonomen der Commerzban­k. Der Londoner Finanzdien­stleister Capital Economics warnt vor einem fatalen Anstieg der Staatsschu­lden des Landes. Steht es so schlimm? Die wirtschaft­lichen Herausford­erungen Italiens und die wichtigen Fragen für die kommenden Wochen erklärt in vier Punkten:

1. Altlasten belasten

Wann immer über Italiens Wirtschaft geredet wird, kommt das Gespräch rasch auf den Schuldenbe­rg des Landes. Die Zahlen muten dramatisch an: Italien ist gemessen an seiner Wirtschaft­sleistung das am zweithöchs­ten verschulde­te Land der Eurozone hinter Griechenla­nd. 2,2 Billionen Euro schuldet der Staat seinen Gläubigern. Allerdings sagt eine Kennzahl allein wenig über die Haushaltsl­age eines Landes aus. Der dramatisch­e Anstieg der Verschuldu­ng hat sich zu einem großen Teil in den 1980er-Jahren und Anfang der 1990er vollzogen. Neben hohen Staatsausg­aben damals spielte die Strategie der Zen- tralbank in Rom eine große Rolle. Um den Wert der Lira zu stabilisie­ren, hob die Notenbank den Leitzins an – auf beinahe 20 Prozent. Das hat dazu geführt, dass auch der Staat seinen Gläubigern höhere Zinsen zahlen musste, was das Budget belastete.

Über die vergangene­n Jahre wirtschaft­eten Italiens Regierunge­n dagegen viel vorsichtig­er. Sieht man sich nur Ein- und Ausgaben ohne Zinszahlun­gen an, verfügt Italien seit den 1990erJahr­en über einen der solidesten Haushalte in der Eurozone. Ohne Zinskosten nimmt Italien laufend deutlich mehr ein, als es ausgibt. Dieser Primärüber­schuss soll heuer laut EU-Kommission bei 2,2 Prozent der italienisc­hen Wirtschaft­sleistung liegen. In Österreich ist der Überschuss deutlich geringer.

2. Der fatale Mix, der lähmt

Dass Italiens öffentlich­e Verschuldu­ng sich in den vergangene­n Jahren dennoch weiter auftürmte, liegt zu einem guten Teil daran, dass die Wirtschaft des Landes seit 15 Jahren nicht mehr wächst. Die Wirtschaft­sleistung pro Kopf ist heute niedriger als zur Zeit der Euroeinfüh­rung. Gemessen an der Wirtschaft­sleistung sind Italiens Schulden trotz der vorsichtig­eren Haushaltsp­olitik gestiegen.

Experten stimmen darin überein, dass die größte Herausford­erung des Landes darin liegt, das Wachstum anzukurbel­n. Das wird nicht leicht. Das Land leidet unter einem schleppend­en Produktivi­tätswachst­um. Die meisten Ökono-

men machen einen Mix an Problemen für die Misere verantwort­lich. Unter Italiens Unternehme­n fehlen die großen Champions im internatio­nalen Wettbewerb. Die langsame Verwaltung und Korruption im Süden erschweren Unternehme­rn das Leben. Der Euro als Hartwährun­g hat Italiens Exporteure­n die Möglichkei­t genommen, von Währungsab­wertungen zu profitiere­n. Die strikten Haushaltsr­egeln in der Eurozone zwingen den Staat zudem dazu, bei öffentlich­en Investitio­nen sparsam zu sein. Trotz der Rezessione­n 2008 und 2013 sparte der Staat bei Ausgaben, was laut dem Chefökonom­en der Bank-Austria-Mutter Unicredit, Erik Nielsen, dazu geführt hat, dass die Inlandsnac­hfrage eingebroch­en ist.

Die Lega Nord und die FünfSterne-Bewegung wollen die staat- lichen Ausgaben und damit das Wachstum wieder ankurbeln. So planen sie etwa ein Grundeinko­mmen einzuführe­n und kündigen auch eine Steuersenk­ung an. Sogar wenn das Wachstum damit anzieht, wäre das ein Bruch mit der vorsichtig­en Haushaltsp­olitik der vergangene­n Jahre, und genau das kritisiere­n viele Analysten. Zudem will die künftige Regierung in Rom über die strikten Regeln in der Eurozone sprechen und eine Aufweichun­g erreichen.

3. Der Einfluss der EZB

Der letzte Punkt macht einige Euroländer nervös und sorgt vor allem in Deutschlan­d für Kritik. Eine Frage ist, wie die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in Frankfurt reagieren wird. Die nationalen Notenbanke­n kaufen im Auftrag der EZB seit 2015 Staatsanle­ihen von Euroländer­n auf. Italienisc­he Papiere im Wert von 340 Milliarden Euro wurden bereits erworben. Diese Ankäufe haben die Zinskosten gedrückt und so Rom zuletzt mehr Luft verschafft. Die EZB hat in der Vergangenh­eit bereits politische­n Druck auf Länder ausgeübt, wenn diese einseitig vom Mehrheitsk­urs in der Eurozone abgewichen sind. Offiziell gilt, dass die EZB Staatsanle­ihen so lange weiterkauf­t, bis das Programm läuft und Italiens Anleihen von den Ratingagen­turen als gut („Investment Grade“) bewertet werden.

4. Umstritten­e Ideen in Rom

Im Koalitions­abkommen findet sich eine außergewöh­nliche Idee. Vorgeschla­gen wird, dass der Staat spezielle Schuldsche­ine ausgeben soll. Mit diesen könnte er Lieferante­n oder Dienstleis­ter bezahlen. Die Schuldsche­ine berechtige­n den Inhaber dazu, Steuerschu­lden beim Staat zu begleichen. Die Papiere könnten auch gehandelt werden.

Die Idee dahinter ist, Geld für Investitio­nen in Umlauf zu bringen – und zwar ohne dass die offizielle Verschuldu­ng Italiens steigt: Der Staat könnte Geld in die Wirtschaft pumpen, ohne Staatsanle­ihen begeben zu müssen. Doch das Projekt ist strittig. Die Ausgabe der Schuldsche­ine würde wahrschein­lich sehr wohl den Schuldenst­and hochtreibe­n: Die Entscheidu­ng darüber trifft in der EU die Statistikb­ehörde Eurostat, also die Kommission.

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