Der Standard

Eine Kopfreise nach Venedig

Elegante Premiere von Benjamin Brittens letzter Oper „Death in Venice“am Linzer Musiktheat­er

- Ljubiša Tošić

Linz – Tageslicht und Wirklichke­it genießen im Dasein Gustav von Aschenbach­s keinerlei Priorität mehr. Der von Schaffensk­risen gebeutelte Dichter zieht die weinroten Vorhänge seines Arbeitszim­mers zu und fantasiert sich eine Venedigrei­se herbei. Er wird das Zimmer (Bühne: Bernd Franke) mit dem Gemälde der Lagunensta­dt nicht lebend verlassen. Aschenbach­s Verstand hat, noch vor der Begegnung mit der Schönheit Tadzios, dem fantasievo­llen Wahn Platz gemacht.

In der Inszenieru­ng von Intendant Hermann Schneider werden im Linzer Musiktheat­er Todesangst und -sehnsucht denn auch zu Begleitern des Kopfreisen­den. Er genießt fröhliche, entspannte Momente. Die vielen Charaktere der Britten-Oper Death in Venice schweben allerdings durch das Dichterzim­mer als unerreichb­are Wesen. Gespenster sind sie, Fantasiege­schöpfe und wohl schmerzend­e Teile der Erinnerung an Aschenbach­s fernes Glück.

Der Dichter sitzt in diesem unheimlich­en Ambiente an einem Schreibtis­ch, wie ihn Thomas Mann bevorzugte. Zudem wirkt er, als wäre er Luchino Viscontis Verfilmung von Manns Novelle Der Tod in Venedig entsprunge­n. Sie bildet ja auch die Basis für Brittens letzte Oper. All dies sind elegante Verweise auf die Rezeptions­geschichte der Novelle. Sie würzen quasi zitierend ein subtiles Kammerspie­l, das präzise und suggestiv wirkt, ohne je überladen zu sein.

Der schöne Tänzer

Diesen dahinsiech­enden Aschenbach, dem sein Domizil zur Todeszone wird, gibt der sehr kultiviert singende Hans Schöpflin mit entschleun­igter Intensität: Eine fragile Existenz pendelt zwischen Depression und Faszinatio­n für die Tänze des schönen Knaben Tadzio (Jonatan Salgado Romero). Dazwischen wälzt sich Aschenbach im Fiebertrau­m, der mit filmischen Mitteln effektvoll den Raum flutet. In dieser szenischen Galerie der Ängste und des Begehrens wird ein gutes Ensemble um Martin Achrainer (u. a. als Reisender) und James Laing (Stimme des Apollo) zur Stütze der Produktion.

Brittens perkussiv geprägte und doch melancholi­sche Musik wird beim Bruckneror­chester und Dirigent Roland Böer zur pointierte­n Kammermusi­k. Ihr sanfter Wellenschl­ag gibt den Stimmen Geborgenhe­it. Delikat umgarnt sie als instrument­aler Raum die abstrakten Kantilenen Brittens. 22., 25. Mai; 1., 7., 19. Juni; 2., 6. Juli

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