ZITAT DES TAGES
Dass die Bundesregierung in Sachen Mindestsicherung ohne die Bundesländer vorgehe, kritisiert der neue Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Das sei „kein freundschaftlicher Akt“. Wien will er als Stadt sicherer machen.
„WCs im öffentlichen Raum sollten primär jenen dienen, die dort aufs Klo gehen.“
Wiens neuer Bürgermeister Michael Ludwig will Drogenabhängige aus öffentlichen Bedürfnisanstalten verdrängen
STANDARD: Herr Bürgermeister, haben Sie sich schon an den neuen Titel gewöhnt?
Ludwig: Es ist ein völlig neues Erlebnis. Die letzten Stunden waren sehr dicht. Ich habe mich über die breite Zustimmung über die Koalitionsgrenzen hinweg sehr gefreut.
STANDARD: Michael Häupl gab seine Interviews traditionell im Rathaus – warum wählen Sie einen Gastgarten an der Alten Donau?
Ludwig: Ich will in der Stadt präsent sein, nicht nur im Rathaus.
STANDARD: Bekamen die äußeren Bezirke zu wenig Aufmerksamkeit? Ludwig: Dort, wo es starkes Bevölkerungswachstum gegeben hat, in den großen Bezirken, sind Nachschärfungen nötig. Ich will hier Akzente setzen.
STANDARD: Ihre neue Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler war eine Überraschung. Wie soll das Kulturangebot dezentralisiert werden?
Ludwig: Kultur wird in Wien auf einem sehr hohen Niveau angeboten. Ich will dieses Angebot in möglichst alle Teile der Bevölkerung tragen. Auf der Donaubühne, die ich mir auch im 22. Bezirk vorstellen kann, sollen etwa auch die Wiener Symphoniker eine Heimat finden. Auch die Mehrzweckhalle soll für kulturelle Events zur Verfügung stehen. Für sie werden mehrere Standorte evaluiert – alle drei nicht im ersten Bezirk.
STANDARD: Wie sieht Ihre Bilanz zum Alkoholverbot am Praterstern nach einem Monat aus? Ludwig: Das Verbot war keine singuläre Entscheidung. Wir haben ein dichtes Netz an Einrichtungen für Obdachlose, Drogenabhängige und Alkoholiker. Der Praterstern ist auch eine Umsteigedestination für 150.000 Menschen pro Tag. Man muss sich entscheiden, für wen man sich einsetzt: für aggressive Alkoholiker oder Menschen, die sich dort nicht wohlgefühlt haben. Für mich ist klar, für welche Zielgruppe ich mich entscheide.
STANDARD: Dafür wurden Sie auch innerparteilich kritisiert. Ludwig: Es kann nicht sein, dass der öffentliche Raum von Personen ohne Rücksicht auf andere beansprucht wird, da muss man eingreifen. Ich habe viel Zustimmung aus der Bevölkerung erhalten, da nehme ich Kritik in Kauf.
STANDARD: Auch von Sozialarbeitern hat es Widerstand gegeben. Ludwig: Natürlich kann man der Meinung sein, dass WC-Anlagen auch dazu dienen sollen, dass dort Drogensüchtige ihren Stoff nehmen. WCs im öffentlichen Raum sollten aber primär jenen dienen, die dort aufs Klo gehen. Sie sollen nicht die Sorge haben müssen, dass sie über einen Drogenabhängigen steigen müssen.
STANDARD: Ist als Nächstes das Alkoholverbot in Floridsdorf geplant? Ludwig: Wir werden die Entwicklung am Praterstern ein halbes Jahr beobachten und Verdrängungseffekte prüfen. Georg Papai, Floridsdorfer Bezirksvorsteher, will ein Verbot am Franz-JonasPlatz. Er hat meine Unterstützung.
STANDARD: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Sie biederten sich an die FPÖ-Wähler an? Ludwig: Ich biedere mich weder an Medien noch an Parteien an. Ich will einen eigenständigen Weg.
STANDARD: Sie wollen die Koalition mit den Grünen fortsetzen. Der Bau des Lobautunnels ist eine Bewährungsprobe. Welche Begleitmaßnahmen sind geplant? Ludwig: Ich war nicht nur für den Lobautunnel, auch für die dritte Piste am Flughafen. Wir werden Umweltschutzauflagen genau erfüllen und auch den öffentlichen Verkehr ausbauen.
STANDARD: Sind Sie ein Bürgermeister, der Autofahrer präferiert? Ludwig: Bis 2030 sollen 80 Prozent der Verkehrswege im ökologischnachhaltigen Bereich liegen. Aber ich möchte keine Gruppe an Verkehrsteilnehmern schikanieren. Es wird auch weiter möglich sein, in Wien mit dem Auto zu fahren.
STANDARD: Sie wollen den Wien-Bonus ausweiten. Wo sollen Langzeitwiener Vorrang haben? Ludwig: Bei Kindern und Gesundheit soll es keine Einschränkungen geben. Bei Wirtschaft, Arbeitsmarkt oder Verwaltung schon.
STANDARD: Sie schließen einen Wien-Bonus für die Mindestsicherung nicht aus? Ludwig: Ich warte auf den Vorschlag des Bundes, der die Bundesländer nicht einzubeziehen. Das ist kein besonders freundschaftlicher Akt, denn wir haben das Ohr an der Bevölkerung.
STANDARD: Häupl lehnte Mindestsicherungskürzungen ab. Sie auch? Ludwig: Es kommt auf die Einbettung ins gesamte Sozialsystem an. Es muss den Menschen möglich sein, zu leben, ohne zu frieren, ohne zu hungern und ohne obdachlos zu sein.
STANDARD: Justizminister Josef Moser will die Föderalismusgesetze entwirren. Ist Ihnen das wichtig? Ludwig: Wir werden diese Vorschläge im Rahmen der Landeshauptleutekonferenz sehr kritisch prüfen. Das Mitbestimmungsrecht der Länder muss auf jeden Fall gegeben sein. Der Föderalismus ist ein Grundpfeiler der Zweiten Republik, so wie die Sozialpartnerschaft, die auf Bundesebene zurückgedrängt wird.
STANDARD: Anzeigen wegen Gewalt an Schulen sind stark gestiegen. Ludwig: Wir brauchen an den Schulen ein bildungsfreundliches Klima. Die Lehrer sollen das Gefühl haben, dass wir alles daran setzen, um sie zu unterstützen.
STANDARD: Seit 2015 gab laut „Dossier“die Magistratsabteilung 50 Ihres Wohnbauressorts mehr für Öffentlichkeitsarbeit als für Bauaufsicht aus. Was sagen Sie dazu? Ludwig: Man soll Äpfel mit Birnen nicht vergleichen. Ich habe als Wohnbaustadtrat überhaupt keine Inserate vergeben, sie werden vom Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien vergeben. Hier werden zwei Budgetposten verglichen, die zufällig in einer Magistratsabteilung sind und miteinander nichts zu tun haben.
STANDARD: In Ihrer Amtszeit sind Ausgaben für Inserate aber gestiegen: von drei auf 5,14 Millionen. Ludwig: Das sind nicht Inseratenposten, sondern Maßnahmen für Öffentlichkeitsarbeit. Die Ausgaben für Ausstellungen stiegen, weil wir Bauträgerwettbewerbe präsentieren wollen, damit die Bevölkerung weiß, was gebaut wird.
STANDARD: Wird sich der Umgang mit Inseraten ändern? Ludwig: Die Zahl der Inserate ist stark zurückgegangen in den letzten Jahren – um mehr als ein Drittel. Warum vergibt eine Stadt Inserate? Man möchte die Bevölkerung informieren. Wir können auch jeder Wienerin und jedem Wiener einen Brief schreiben. Nur würde eine solche Aussendung bereits Millionen kosten. Das wäre ein etwas antiquierter Zugang.
MICHAEL LUDWIG kam 1961 in Wien zur Welt, war unter anderem elf Jahre Wiener Wohnbaustadtrat der SPÖ und ist seit 24. Mai Bürgermeister der Stadt.