Ärzte und Apotheker für Cannabis-Medikamente
Cannabismedikamente sind in Österreich sehr teuer und werden oft nicht bewilligt. Ärzte und Apotheker können sich eine Liberalisierung wie in Deutschland gut vorstellen. Die Liste Pilz sammelt dafür Unterschriften.
Es tut sich wieder etwas in der Debatte über Cannabis in der Medizin. Nachdem in der ORF-Sendung Bürgeranwalt eine junge Frau porträtiert wurde, die trotz sehr guter Wirkung das THC-haltige Medikament Dronabinol selbst bezahlen muss, schaltete sich die Liste Pilz ein: Seit Dienstag kann eine Online-Petition zur Liberalisierung von Cannabis in der Medizin unterzeichnet werden.
Die Partei fordert eine rasche Liberalisierung von Cannabismedizin nach deutschem Vorbild: Seit März 2017 bekommen dort Patienten, denen mit anderen Medikamenten nicht mehr geholfen werden kann, Cannabisarzneimittel auf Kassenkosten. Außerdem können Patienten mit Bewilligung in der Apotheke Cannabisblüten kaufen.
Wenn es um den Verkauf von Blüten in der Apotheke geht, ist Volksanwalt Günther Kräuter noch skeptisch. Er wünscht sich aber ein Ende der „restriktiven und uneinheitlichen Kostenübernahme“bei Cannabismedikamenten durch die Krankenkassen. Das fordern auch die Gesundheitssprecher aller im Nationalrat vertretenen Parteien.
Bewegung gibt es auch an anderer Stelle. Vor wenigen Tagen fand in Wien eine Fortbildung für Ärzte und Pharmazeuten zum Thema Cannabismedizin statt. Die Premiere dabei: Die Teilnahme wurde von der Wiener Ärztekammer mit Fortbildungspunkten belohnt. „Es tut sich was“, freute sich Kurt Blaas, Allgemeinmediziner und Gründer der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, bei der gut besuchten Fortbildung. Das liege aber vor allem am gestiegenen Interesse der Patienten. „Von ihnen geht eine geballte Kraft aus.“
Was wichtig sei: gut geschulte Ärzte und Apotheker. Wie bei anderen Medikamenten auch müsse immer im Einzelfall entschieden werden, ob ein Cannabismedikament beim jeweiligen Krankheitsverlauf sinnvoll ist und welche Therapien oder Medikamente zuvor schon ausprobiert oder eingenommen wurden.
9000 Cannabispatienten
Blaas schätzt, dass es in Österreich etwa 9000 Patienten gibt, die Cannabismedikamente einnehmen – ob von der Kasse bezahlt oder nicht. „Weitere 2500 stehen in den Startlöchern“, sagt der Arzt, der sich seit den 1990er-Jahren mit Cannabismedizin beschäftigt. Allein zu seinen Informationsveranstaltungen würden monatlich bis zu 70 Menschen aus ganz Österreich kommen.
Auch er kennt einige Geschichten von Patienten, die Cannabismedikamente nicht bewilligt bekamen. Was auffalle, sei ein OstWest-Gefälle: In Wien habe man viel höhere Chancen auf eine Kostenübernahme als im Westen. „Das darf natürlich nicht so sein.“Der Arzt geht davon aus, dass etwa 35 bis 40 Prozent der Rezepte auf Anhieb von Krankenkassen übernommen werden. „Es ist bei uns viel besser geregelt als in anderen Ländern, das muss man sagen. Aber natürlich gibt es Luft nach oben“, sagt Blaas.
Cannabispräparate gebe es am Markt nur sehr wenige, daher sei ihr Preis so hoch, dass sich die meisten Menschen eine Behandlung mit den Medikamenten nicht leisten könnten, sagt Blaas. Das in Österreich gängigste dieser Medikamente ist das aus der Pflanze gewonnene Präparat Dronabinol der deutschen Firma Bionorica. Das Cannabis, das zur Produktion dieser Kapseln bzw. Tropfen verwendet wird, wird in Österreich von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) angebaut und nach Deutschland exportiert. Noch teurer sei der Spray Sativex, „den habe ich bis jetzt vielleicht zehnmal verschrieben“.
Vorrangig würden Tumorpatienten Kosten bewilligt bekommen, aber auch bei Multipler Skle- rose und dem Tourettesyndrom gebe es meist eine sofortige Bewilligung. Blaas hat Tipps für Patienten, die die Kosten von der Kasse erstattet bekommen wollen: „Es ist wichtig, beim ersten Mal selbst zum Chefarzt zu gehen, seine Geschichte zu schildern und alle Befunde dabeizuhaben.“
Der Hauptverband hat keine konkreten Daten dazu, in wie vielen Fällen es nicht zu einer Kostenübernahme für Cannabispräparate gekommen ist. Allein im zweiten Halbjahr 2017 hätten sich die Kosten für die angeführten Cannabinoid-Produkte auf über vier Millionen Euro belaufen, heißt es auf STANDARD- Anfrage. Und weiter: „Oft kann bei den genannten Diagnosen mit bewährten, wirksamen und günstigeren herkömmlichen Medikamenten das Auslangen gefunden werden.“
Geschmackssache
Zum Verkauf von Cannabisblüten in der Apotheke wie in Deutschland hat Blaas eine nüchterne Meinung: Auch hier gelte es im Einzelfall ärztlich zu prüfen, ob Blüten wirken können. Letztlich sei es Geschmackssache. Einige Patienten hätten auch schon selber Cannabis angebaut und das Extrakt verwendet. „Die Leute rauchen sich nicht ein, wenn sie die Blüten holen. Das sind oftmals Krebspatienten im Endstadium, die sich einen Tee kochen oder das Extrakt in anderer Form einnehmen“, so Blaas. Es sei unverantwortlich, Patienten in die Illegalität abdriften zu lassen.
Ein Effekt des Verkaufs von Blüten bzw. Cannabisextrakt in der Apotheke wäre, dass die Preise der Medikamente fallen würden. Dass vor allem Bionorica momentan gegen die Freigabe der Blüten mobilisiert, darf daher nicht verwundern. Michael Popp, BionoricaChef, bezeichnete Blüten etwa als „Steinzeittherapie“, der Pharmakonzern gibt selbst Fortbildungen zur Cannabismedizin.
Auch zwei Apothekerinnen aus Wien, die zur Fortbildung gekommen sind, können sich Deutschland als Vorbild vorstellen. „Aber solange das bei uns noch nicht legal ist, haben wir keine Möglichkeit.“Die Politik sei am Zug. Bis sich da etwas tut, appellieren die beiden Apothekerinnen vor allem an die Patienten: „Niemand sollte sich Medikamente online bestellen. Hier kann viel zu viel schieflaufen, das beobachten wir leider immer wieder.“
Was die beiden damit meinen, sind CBD-Produkte – nach THC das zweithäufigste Cannabinoid aus der Cannabispflanze, das aber keine psychoaktive Wirkung hat. Blüten, Kapseln, Öle und andere Produkte können legal erworben werden. „Das ist Geschäftemacherei, mehr nicht“, sagt Sinisa Katanic, der die Weltapotheke in Wien betreibt.
Auch Blaas sagt: „Man will die Leute hinters Licht führen.“Es gebe eine unüberschaubare Palette an Produkten und Produzenten – und keine Kontrolle, weil CBDProdukte nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen.