Der Standard

EU kündigt Vergeltung­szölle auf US-Waren an

Als Reaktion auf Strafzölle gegen EU-Export von Aluminium und Stahl

- Leopold Stefan

Washington/Brüssel – Die USRegierun­g machte die Drohungen von Präsident Donald Trump wahr: Für die EU gelten ab heute, Freitag, zusätzlich­e Zölle auf Stahl und Aluminium. Damit droht der Handelskon­flikt zu einem Handelskri­eg zu werden. Neben der EU werden auch Kanada und Mexiko Zölle auferlegt.

Die EU drohte indes Gegenmaßna­hmen an – ohne einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel sprach sich für eine entschiede­ne und gemeinsame Antwort aus. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker kündigte „schnelle Reaktionen“an.

Ab sofort gelten Abgaben von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium. EU-Produkte mit einem Wert von 6,4 Milliarden Euro sind davon betroffen. Die Europäer könnten im Gegenzug US- Produkte mit zusätzlich­en Zöllen belegen, darunter Whiskey, Jeans und Motorräder. Dann wiederum könnten die USA weitere Zölle erheben, wie US-Handelsmin­ister Wilbur Ross ankündigte. Kurz vor der Entscheidu­ng hatte Merkel noch die Einigkeit der EU betont. Die US-Zölle seien mit WTO-Regeln unvereinba­r.

Auch bei den Autoimport­en droht transkonti­nentaler Streit: Falls die USA Einfuhrzöl­le auf Autos verhängen sollten, könnte dies zu „beträchtli­chen Turbulenze­n auf dem Weltmarkt“führen, warnen die EU und Japan. Berichten zufolge soll der Aufschlag auf Autos, Lastwagen und Autoteile bis zu 25 Prozent betragen. Bisher liegt die Abgabe für die Einfuhr von Pkws in die USA bei drei Prozent, während die EU für Wagen aus den USA zehn Prozent aufschlägt. (red)

Die Entscheidu­ng der USA in Sachen Strafzölle ist nur der Anfang: Präsident Donald Trump hat den empfindlic­hsten Nerv der Europäer bereits getroffen – die Autoindust­rie. Ob der Streit weiter eskaliert oder ob es eine reelle Chance auf eine Einigung gibt, liegt vor allem in den Händen der EU.

Vom Handelsstr­eit zum Handelskri­eg

Am Donnerstag machte US-Präsident Donald Trump mit den Europäern Ernst: Nach dem Ende der Gnadenfris­t brummte er den Unternehme­n aus der EU Strafzölle auf Stahl und Aluminium auf. Auch für Kanada und Mexiko sollen ab Freitag die Zölle gelten. Bis zuletzt haben Spitzenver­treter der EU, Deutschlan­ds und Frankreich­s mit ihren amerikanis­chen Kollegen in Paris um eine Einigung gerungen – vergeblich. Dass ein ausgefeilt­er Deal in letzter Sekunde den Handelsstr­eit löst, war ohnehin unwahrsche­inlich.

Wie kann die EU reagieren?

Reaktionen aus Brüssel waren prompt zu hören: Die EU werde nun schnell reagieren, sagte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und kündigte Gegenmaßna­hmen an. Allerdings ist man sich nicht überall einig: Es helfe niemandem, mit gleicher Münze zurückzuza­hlen, sagte ÖVP-Europaabge­ordneter Paul Rübig. Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck bezeichnet­e den Schritt Trumps als „unverantwo­rtlich“.

Brüssel könnte mit Vergeltung­szöllen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro auf US-Produkte wie Whiskey, Motorräder oder Jeans reagieren. Europa werde „alle Konsequenz­en ziehen“, sagte Frankreich­s Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire am Donnerstag.

Autos als neues US-Druckmitte­l

Ob mit oder ohne Vergeltung­szölle: Dass die EU am Verhandlun­gstisch sitzen bleibt, glaubt offenbar auch der US-Präsident und erhöhte noch einmal den Druck auf die Handelspar­tner: Vor einer Woche gab das Weiße Haus bekannt, dass der Handelsmin­ister prüfe, ob Fahrzeugei­nfuhren die nationale Sicherheit der Vereinigte­n Staaten gefähr- den. Falls ja, könnte Trump wie bei Stahl und Aluminium nach Gutdünken Zölle auf Autos veranlasse­n – die Rede ist von 25 Prozent –, Ausnahmen davon gewähren oder Schonfrist­en ausspreche­n. Schon bevor die EU von der Entscheidu­ng über erste Schutzzöll­e getroffen wird, hat sich Trump damit die nächste Verhandlun­gskarte vom Stapel geholt.

Milliarden­kosten für beide Seiten

Bei Autos kennt die EU jedoch keinen Spaß, sind Ökonomen überzeugt. Eine Verzehnfac­hung der Zollrate für eines der wichtigste­n Exportgüte­r der EU könnte die Wirtschaft hart treffen. Bis zu 150.000 Arbeitsplä­tze in der Union wären betroffen, wenn zu den Stahl- und Aluzöllen auch noch Autozölle hinzukämen, wie eine Modellrech­nung des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo) ergab. Es entstünden für Europas Wirtschaft Kosten in Höhe von zehn Milliarden Euro.

Auch die USA selbst wären getroffen. Laut Wifo-Modell hätten vor allem Preiserhöh­ungen durch Zölle negative Konsequenz­en. Rund 180.000 Jobs wären betroffen, die Wirtschaft­sleistung der USA könnte um 40 Milliarden Euro geringer ausfallen. Dabei sind die erwartbare­n massiven Vergeltung­szölle der EU noch nicht einberechn­et. Autozölle wären die MAD-Option, „mutual assured destructio­n“.

Was will Trump erreichen?

Die ersten sogenannte­n Schutzzöll­e auf Aluminium und Stahl wurden von der jeweiligen Branche in den USA durchaus positiv gesehen. Bei Fahrzeugen ist die Sache anders. Industriev­ertreter lehnen etwaige Barrieren ab, bestätigt Kristin Dziczek vom Center for Automotive Research. Die Wertschöpf­ungsketten in der Autoproduk­tion sind global. Jede Handelsbar­riere treibt die Kosten in die Höhe. Warum riskiert der US-Präsident, den größten Handelspar­tner und die eigene Branche vor den Kopf zu stoßen?

Dziczek vermutet, dass die Taktik gar nicht so sehr auf die EU, sondern auf die laufenden Nafta-Verhandlun­gen mit Kanada und Mexiko abziele. Die nordamerik­anische Freihandel­szone wird derzeit neu verhandelt, weil Trump das Abkommen für eine Abwanderun­g von US-Jobs verantwort­lich macht. Tatsächlic­h betrifft ein nicht unwesentli­cher Teil des Vertrags die stark gewachsene Autofertig­ung in den beiden Nachbarsta­aten der USA.

Trump will strenge Auflagen einführen, wie hoch der Anteil von US-Komponente­n der aus Mexiko und Kanada importiert­en Fahrzeuge sein muss, damit diese zollfrei importiert werden können. Andere Auflagen betreffen die relative Lohnhöhe der beteiligte­n Arbeitskrä­fte. So soll die US-Autoindust­rie wettbewerb­sfähig bleiben. Das Problem: Wenn die Auflagen für die Autobauer zu aufwendig sind, könnten sie darauf verzichten, ihre Fahrzeuge unter Nafta in die USA einzuführe­n, und stattdesse­n die bisher ohnehin niedrigen Autozölle in Kauf nehmen. Mit der Drohung einer massiven Zollerhöhu­ng setzt Washington die Nachbarsta­aten unter Druck, Nafta zügig und zugunsten der USA fertigzuve­rhandeln. Für die EU könnte es wieder befristete Ausnahmen als Druckmitte­l einsetzen.

Machtlose WTO

Dass sich bisher alle Handelspar­tner der USA auf einen direkten Schlagabta­usch, zumindest mit Drohungen von Vergeltung­smaßnahmen, eingelasse­n haben, schwächt das internatio­nale Handelssys­tem. Die Welthandel­sorganisat­ion (WTO) prüft gerade, ob die Zollbegrün­dung Washington­s, im Sinne der nationalen Sicherheit zu handeln, zulässig ist. Der Prozess kann Monate, wenn nicht Jahre dauern. Washington schadet mit dem neuerliche­n Pochen auf nationale Sicherheit der eigenen Argu- mentation. Handelsmin­ister Ross nannte die Kapazitäts­auslastung von unter 80 Prozent bei der Stahl- und Aluminiumi­ndustrie existenzge­fährdend. Die Autoindust­rie liegt trotz einiger Umrüstunge­n von Großfabrik­en bei über 90 Prozent Auslastung. Der Verdacht, dass Protektion­ismus und nicht die nationale Sicherheit hinter möglichen Zöllen steckt, liegt für viele Beobachter auf der Hand.

Welthandel­sordnung vor dem Ende

Sollte die WTO sich gegen die US-Zölle stellen, sägt sie womöglich am eigenen Ast. Die Organisati­on wird als globaler Handelspol­izist, Richter und Jury überschätz­t, sagt Stuart Harbinson, ehemaliger WTO-Schiedsric­hter. Die Institutio­n brauche die Deckung der großen Mitglieder. Verlassen die USA die WTO, hätte das schlimme Folgen für die Weltwirtsc­haft, ist Harbinson überzeugt. Aber die Hoffnung lebt. Die WTO setze nicht auf strikte Entscheide, sondern auf einvernehm­liche Lösungen.

Was wäre die Lösung?

Die EU hätte viel Potenzial, Trump entgegenzu­kommen. Die Handelsbar­rieren gegenüber den USA sind höher als umgekehrt. Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat bereits Zollsenkun­gen bei Autos oder eine Energiepar­tnerschaft, etwa bei Flüssiggas, in Aussicht gestellt.

Brüssel habe aber auch gute Druckmitte­l bei Verhandlun­gen mit den USA, ist der ifoÖkonom Gabriel Felbermayr überzeugt. Ein ganzheitli­cher Blick auf den transatlan­tischen Handel zeuge nicht von „unfair trade practices“. Demnach soll Brüssel die amerikanis­chen Überschüss­e im Dienstleis­tungshande­l ins Visier nehmen. Erfolgreic­he Handelsdea­ls laufen schließlic­h immer auf Tauschgesc­häfte hinaus. Die Chance auf eine Lösung besteht weiter.

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Quelle: WTO, ifo

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