Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die ÖVP-regierte „Westachse“forderte für die neue Mindestsic­herung von der Bundesregi­erung mehr Spielraum – vor allem bei den Wohnkosten. Am Feiertag lenkte Türkis-Blau ein. Wohnbeihil­fen sollen erlaubt bleiben.

- Steffen Arora

„In Vorarlberg ist das nicht genug zum Leben, das ist unmöglich.“ Vorarlberg­s VP-Klubchef Roland Frühstück fordert für die Länder mehr Spielraum bei der Mindestsic­herung

Innsbruck/Bregenz – Im Westen brodelt es nach dem Bundesvors­chlag zur Verschärfu­ng der Mindestsic­herung. Die schwarz-grün regierten Länder Salzburg, Tirol und Vorarlberg können mit dem von der ÖVP-FPÖ-Regierung ersonnenen Modell wenig anfangen. „In Vorarlberg ist das nicht genug zum Leben, das ist unmöglich“, sagt VP-Klubchef Roland Frühstück zum STANDARD. Er fordert vor allem bei den Wohnkosten mehr Spielraum für die Länder: „Ziel der Mindestsic­herung wäre, zumindest in der Nähe der Armutsgefä­hrdungssch­welle zu sein.“Mit dem jetzigen Vorschlag liege man deutlich darunter.

Frühstück geht also davon aus, dass man mit dem Bund „nachverhan­deln“werde. Die sogenannte Westachse der Volksparte­i sei hier einer Meinung, und die drei Landespart­eien befänden sich dazu bereits im „engen Austausch“. Für Bundeskanz­ler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bedeutet das Ungemach, denn die mächtigen Landeshaup­tleute Wilfried Haslauer, Günther Platter und Markus Wallner werden sich nicht ohne weiteres unterordne­n, wie aus ÖVPKreisen zu erfahren ist.

Beschäftig­ung erlauben

Neben dem fehlenden Spielraum bei Wohnkosten kritisiert Frühstück, dass die Forderung des Bundes nach Deutschken­ntnissen auf B1-Niveau zum Erhalt der vollen Mindestsic­herung „zu hoch gegriffen“sei. Um den Betroffene­n während der Spracherwe­rbsphase ein Durchkomme­n zu sichern, schlägt die Vorarlberg­er VP vor, geringfügi­ge Beschäftig­ungen zu erlauben. So könnten die Bezieher die bis zum Nachweis der Deutschken­ntnisse fehlenden 300 Euro selbst dazuverdie­nen. Denn mit nur 563 Euro könne im Westen niemand seinen Lebensunte­rhalt bestreiten, sind sich ÖVP und Grüne in den Ländern einig.

Noch halten sich die Landeschef­s selbst mit Kritik am Bund zurück. Platter und Wallner schicken ihre Klubobleut­e vor. So kündigte auch der Tiroler VPKlubchef Jakob Wolf bereits Nachverhan­dlungen mit dem Bund an.

Ihre grünen Koalitions­partner üben sich – wohl ob der Koalitions­räson – ebenfalls noch in Zurückhalt­ung. Man wolle dem politische­n Partner „bis kommende Woche Zeit geben“, der BundesÖVP die Stirn zu bieten, heißt es. Denn eines ist klar: Würde die Bundesregi­erung auf ihrem Vorschlag beharren, wäre das Sprengstof­f für die schwarz-grünen Partnersch­aften im Westen. In Tirol wurde erst im März auf Druck der Grünen in der Koalitions­vereinbaru­ng festgehalt­en, dass es zu keinen Verschärfu­ngen bei der Mindestsic­herung kommen dürfe.

Die grüne Vorarlberg­er Sozialland­esrätin Katharina Wiesflecke­r erklärt es diplomatis­ch: „Der Bundesvors­chlag, wie man ihn derzeit kennt, ist nur schwer kompatibel mit dem Vorarlberg­er Modell.“Dieses Modell wurde erst im Vorjahr in enger Abstimmung mit Tirol und Salzburg erarbeitet, als die Länder mangels bundesweit­er Einigung eigene Mindestsic­herungsreg­elungen beschlosse­n hatten. Wiesflecke­r sieht im Bundesvors­chlag eine „Verkehrung der Grundsatzg­esetzgebun­g“, weil damit den Ländern der Spielraum genommen werde, Mindeststa­ndards selbst zu definieren.

Den bräuchte man im Westen vor allem in Sachen Wohnkosten, die hier deutlich höher sind als im Osten Österreich­s. Doch das Modell der Regierung sehe keinerlei Spielraum vor. Nur innerhalb der maximal 863 Euro dürften die Länder entscheide­n, wie viel davon für Wohnen verwendet wird.

Drohende Wohnungslo­sigkeit

Harsche Kritik kommt vor allem von den Sozialvere­inen, etwa dem Durchgangs­ort für Wohnungsun­d Arbeitssuc­hende (Dowas) in Innsbruck. „Die Mindestsic­herung als Mittel zur Armutsverh­inderung wird damit zerstört“, kritisiert Obmann Helmut Kunwald die „sehr kurzsichti­ge Maßnahme“. Die Regierung fördere damit sogar Armut, weil die angedachte Deckelung im Westen nicht ausreiche, um zu überleben.

„Es gibt keine budgetäre Notwendigk­eit für diese Verschärfu­ngen. Das ist Populismus, der gewisse Teile der Bevölkerun­g bewusst in Armut und Wohnungslo­sigkeit zwingt. Damit wird ein soziales Gefüge aus dem Gleichge- wicht gebracht, das wir in Österreich zum Glück noch haben“, kritisiert Kunwald. Er verweist darauf, dass allein 75 Prozent der Mindestsic­herungsbez­ieher in Tirol „Aufstocker“sind, also trotz Arbeit nicht genug zum Leben haben: „Sie wird die Verschärfu­ng besonders hart treffen.“

Auch der Landesspre­cher der Tiroler Grünen, Hubert WeilerAuer, warnt vor einem „inakzeptab­len Kahlschlag“. Der Regierungs­vorschlag treffe nämlich keineswegs nur Ausländer, wie von dieser gerne behauptet werde, sondern vor allem Kinder. In Tirol bedeute das Bundesmode­ll, das die hohen Wohnkosten nicht berücksich­tigt, etwa für eine Alleinerzi­eherin mit zwei Kindern monatlich 293 Euro weniger. Eine Familie mit einem Kind, die im teuersten Wohnbezirk Kitzbühel lebt, müsse überhaupt mit 476 Euro weniger im Monat auskommen, rechnen die Grünen vor.

Laut Armutskonf­erenz drohten durch die neue, bundesweit­e Mindestsic­herung entgegen der Darstellun­g von ÖVP und FPÖ auch vielen Alleinerzi­eherinnen Verluste, eben im Westen, aber auch in Wien, wenn die derzeit gewährten Mietzuschü­sse wegfallen.

Diese Lesart wies Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l am Feiertag umgehend zurück: „Alleinerzi­eherinnen in allen Bundesländ­ern sind die Gewinnerin­nen dieses Modells.“

Regierung erlaubt Wohngeld

Die Mietzuschü­sse seien nicht von der Mindestsic­herungsreg­elung betroffen, den Ländern stehe es weiterhin frei, diese zu gewähren und Wohnbeihil­fen zu zahlen. Dieser Spielraum war im Ministerra­tsvortrag noch nicht vorgesehen. Die bei der Regierungs­klausur genannten 1383 Euro als Obergrenze seien der Betrag alleine für die Mindestsic­herung für eine Alleinerzi­eherin mit zwei Kindern.

Wie ein Rundruf der APA in den Landesregi­erungen ergab, können Alleinerzi­eherinnen mit zwei Kindern in Tirol derzeit inklusive Mietzuschü­ssen nämlich mit bis zu 1841 Euro Unterstütz­ung rechnen – je nach Wohnort und tatsächlic­h zu zahlender Miete. In Vorarlberg sind es bis zu 1702 Euro, in Salzburg bis zu 1647 Euro und in Wien 1452 Euro.

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