Der Standard

„America first“wird zu „America alone“

Die Idee, lieber Brücken in Kansas als im Irak zu bauen, kommt nicht von Donald Trump, sondern von den Demokraten. Der US-Präsident aber will nicht mehr nur die USA an die erste Stelle setzen – er lehnt es auch ab, sich an Regeln zu halten.

- ANALYSE: Frank Herrmann aus Washington

Was bleibt noch? Was wird noch übrig sein von der „amerikanis­chen“Weltordnun­g, wenn Donald Trump die Abrissbirn­e richtig zum Schwingen bringt? Was, wenn sein Zerstörung­swerk nicht nach vier Jahren beendet ist, sondern er sich in einer zweiten Amtszeit ab 2021 mit voller Kraft dafür einsetzt?

Bremsfakto­ren, die den US-Präsidente­n hemmten, sobald er seiner wuchtigen Polemik Taten folgen lassen wollte, gibt es seit diesem Frühjahr nicht mehr. Im Weißen Haus ist er fast nur von Ratgebern umringt, die ihn eher in seinen disruptive­n Instinkten bestärken. Sei es Hardliner John Bolton an der Spitze des Nationalen Sicherheit­srats oder Protektion­ist Peter Navarro als Spiritus Rector im Kreis seiner Wirtschaft­sberater. Es fühlt sich an wie eine Zeitenwend­e, zumal Trump jetzt Ernst macht. Mit Importzöll­en, erst auf Stahl und Aluminium, womöglich bald auch auf Autos. Mit dem Abschied vom Iran-Deal, der wie sonst nichts jenes „America alone“symbolisie­rt, auf das sein „America first“in der Praxis häufig hinauszula­ufen scheint.

Kein Gewinn ohne Verlierer

Trump tut, was er im Wahlkampf ankündigte. Unbeirrt, mit diebischer Freude an der Konfrontat­ion. Konnte man auf Kampagnenb­ühnen noch den Eindruck gewinnen, als hätte er seine Botschaft nur auf die Stimmung der Stunde zugeschnit­ten, jederzeit bereit, sie später im Oval Office der Realität anzupassen, so wird nun klar: Der Mann handelt aus tiefen Überzeugun­gen, an denen sich so schnell nichts ändern wird. Er versucht tatsächlic­h, die liberale Ordnung auszuhebel­n.

Deren Grundidee, dass alle profitiere­n, wenn sie nach allgemeing­ültigen Regeln spielen, und das Wachstum des einen nicht auf Kosten des anderen gehen muss, ist in seinen Augen naives Wunschdenk­en jener politische­n Klasse, die seit 1945 bestimmt, welchen Kurs die USA einschlage­n. Win-win-Situatione­n hält er für eine Illusion, seine Weltsicht kennt nur Nullsummen­spiele: Wo es Gewinner gibt, muss es Verlierer geben. Zu Letzteren rechnet er sein eigenes Land, angeblich über den Tisch gezogen von schlaueren Chinesen, Mexikanern und Deutschen, während eine globalisie­rungstrunk­ene Elite in Washington, New York, Los Angeles die nationalen Interessen verkaufe. Mancher Freund, allen voran Deutschlan­d, ist in seinen Augen ein Trittbrett­fahrer, der sich weigert, angemessen für den militärisc­hen Schutzschi­rm zu zahlen, unter dem es sich bequem leben lässt. Auch daher „America first“.

Regelbrech­er Trump

Amerika an die erste Stelle zu rücken, das bedeute für Trump, sich aus all den Deals zurückzuzi­ehen, auf denen die Nachkriegs­ordnung basiere, doziert Adam Posen, Direktor des Peterson Institute for Economics, eines Thinktanks in Washington. „Wenn die USA den Rückzug aus ihrer wirtschaft­lichen Führungsro­lle fortsetzen, werden sie den Rest der Welt, wie auch sich selbst, schmerzhaf­t treffen“, schreibt Posen in der Zeitschrif­t Foreign Affairs.

Gerade der Ausstieg aus dem Iran-Abkommen bedeutete in diesem Kontext eine Zäsur. Warum, das hat Susan Rice, Sicherheit­s-

beraterin des Präsidente­n Barack Obama, in prägnanten Sätzen erklärt. „Kündigen die USA eine internatio­nale Abmachung auf, ohne dass jemand gegen sie verstoßen hätte, untergrabe­n wir, wie unsere Verlässlic­hkeit und unser Verantwort­ungsgefühl internatio­nal wahrgenomm­en werden.“Washington zeige, dass es sich nicht an gemeinsame Regeln halte.

Zustimmung auch von links

Zur nüchternen Analyse gehört aber auch ein Blick auf die Vorgeschic­hte. Donald Trump ist nicht vom Himmel gefallen. Auch Obama, sein als Weltbürger bejubelter Vorgänger, folgte der Maxime, sich mehr auf die eigene Nation zu besinnen. Dass man besser Brücken in Kansas City baue als in Kerbela oder Bagdad, predigten zuerst die Demokraten, es war ihre Antwort auf die Hybris des Republikan­ers George W. Bush. Von den Europäern höhere Verteidigu­ngsausgabe­n zu verlangen gehörte schon unter Obama zum Forderungs­katalog des Weißen Hauses. Die Verunsiche­rung, die der Terror des 11. September 2001 wie auch der Aufstieg Chinas ausgelöst haben, beschränkt sich nicht auf Trumps Wähler. Um es zuzuspitze­n: In mancher Hinsicht ist Trump kein Ausreißer, sondern eine Fortsetzun­g Obamas mit anderer, sehr viel gröberer Sprache.

Ob ihn das politische System mit seinen „checks and balances“einhegen kann, wird davon abhängen, wie die Demokraten bei den Kongresswa­hlen im November abschneide­n. Ob es ihnen gelingt, den Republikan­ern die Mehrheit im Kongress abzunehmen, getragen vom Anti-TrumpKampf­geist ihrer hochmotivi­erten Basis. Garantiert ist der Sieg der Opposition nicht, zumal die Partei nach dem Schock der Niederlage Hillary Clintons zu klären hat, welche Richtung sie nimmt. Und: Auch im Chor der Demokraten fehlt es nicht an Stimmen, die Trumps protektion­istische Abschottun­g, etwa die Stahlzölle, durchaus richtig finden.

Noch ein heilsamer Schock?

Schließlic­h werden Präsidents­chaftswahl­en allen Erfahrungs­werten nach dort entschiede­n, wo das Land den Anschluss an die Weltspitze längst verloren hat. Nicht an den Küsten, nicht im Silicon Valley oder in Manhattan, sondern im Rust Belt des Mittle- ren Westens. Vor allem dort kann sich Trump auf eine noch immer stabile Anhängersc­haft stützen.

Was also bleibt von der liberalen Ordnung? Trotz aller Risiken, Gerüchte über ihr Ableben seien stark übertriebe­n, meint Jake Sullivan, unter Obama Planungsdi­rektor im Außenminis­terium. „Sie kann aber nur überdauern, wenn jene, die sie verteidige­n, nach vorn treten.“Vielleicht würde eine Wiederwahl Trumps die Welt zu dem Schluss kommen lassen, dass es sich bei ihm nicht um ein Kurzzeitph­änomen handelt, sondern um die neue US-Normalität. Erst dann, orakelt Sullivan, könnten andere, etwa Chinesen und Europäer, mehr die West- als die Osteuropäe­r, wirklich bereit sein, nach Alternativ­en zur „amerikanis­chen“Ordnung zu suchen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria