Verschwinden Schauspieler ?
Bei den Wiener Festwochen sieht man es derzeit besonders gut: Die klassische Schauspielkunst steht nicht mehr hoch im Kurs. Ist das im gesamten Theater so? Florian Teichtmeister (Josefstadt) und Aenne Schwarz (Burgtheater) finden: ja und nein.
JA Ich will hier keine Extremposition einnehmen. Das ist gegen das Lustprinzip am Theater, also gegen die Lust am Ausprobieren und Scheiternkönnen. Es soll kein Theater ausgeschlossen bleiben. Aber eine Tendenz, dass Schauspieler am Theater weniger wichtig geworden sind, die beobachte ich schon. Der Mensch auf der Bühne verschwindet wohl im selben Maß, wie er in der echten Welt verschwindet. Diese Entwicklung ist für mich aber nicht bedrohlich. Hingegen ist die Notwendigkeit einer Gegenwelt auf der Bühne, die sich nicht als Handlangerin der Wirklichkeit begreift, eine, für die man heute einstehen muss.
Der Fokus auf die Regie nimmt für mich durchaus ein verwunderliches Ausmaß an. Wie oft lese ich in Kritiken, dass der Regisseur mit dem Schauspieler sehr genau gearbeitet hätte. Ich als Schauspieler weiß aber, dass der Regisseur in den sechs Wochen alles getan hat, nur nicht das. Diese Verkennung bringt den Schauspieler tatsächlich zum Verschwinden. Sie ist auch schmerzhaft. Das Primat des Regisseurs ist Fakt, das Sinnliche am Theater wird verdrängt.
Ich unterrichte auch am Reinhardt-Seminar, und bei einem Treffender Schauspielschulleitungen wurde die Meinung verbreitet, dass die Ausbildung zumIdentifikat ionsschau spieler hin, also zu einem, der seine Rolle studiert und mit seiner Persönlichkeit anreichert, nicht mehr gefragt ist. Ausgebildet werden sollen Performer. Das ist auch ein Indiz dafür, dass man keine großen Persönlichkeiten mehr möchte. Stars ziehen zwar Publikum an, aber sie sind teuer, kompliziert, und sie haben Macht. Das will man nicht. Doch das Theater wird von Schauspielern getragen. Die Dimension liegt auf der Hand, wenn ich sechzig Mal In der
Löwengrube spiele. Menschen sind ein Unsicherheitsfaktor, das ist das Herz eines lebendigen Theaterabends. Die erwartete Perfektion ist ja langweilig. Das Momenthafte am Theater gelingt nur mit fehlerhaften Individuen. Die Regie ist hingegen heute oft an „holzschnittartigen“Interpretationen interessiert. Das höre ich bei jedem zweiten Konzeptgespräch. Dahinter steckt wohl der Gedanke, den Menschen als allgemeingültig und weniger spezifisch festzulegen. Damit unterschätzt man aber das Publikum; dieses kann sehr wohl ins Allgemeingültige hinüberdenken. Begonnen hat die Abwertung damit, dass man auf Spielplänen nur mehr das Leading Team namentlich nennt und in Programmheften die Schauspieler nur mehr als Wust von Namen aufgelistet werden.
Da hätte Oskar Werner nicht mitgemacht. Ihn wollte ein Regisseur einmal in der Aussprache korrigieren. Werner antworte: „Junger Mann, die Leute kommen wegen meiner falschen Betonungen ins Theater, nicht wegen ihrer richtigen.“
NEINEs mag Inszenierungen geben, bei denen der Schauspieler als Interpret nicht mehr wichtig ist und „verschwindet“, aber ich sehe auch ganz viel anderes Theater. Das ist auch eine Frage der Auswahl, des Augenmerks. Ich glaube auch nicht, dass sehr technikgesteuerte Inszenierungen zwangsläufig die Spieler zum Verschwinden bringen. Die damit einhergehende Abstraktion, Formalität oder Figureskenhaftigkeit gibt es ja schon immer, etwa bei Robert Wilson. Ich bin froh, wenn es viele verschiedene Formen und Inhalte gibt. Ich selbst bin ja auch auf der Suche.
Wir Schauspieler müssten uns selber fragen, wo unsere Autonomie liegt. Es gibt diese gewisse Unmündigkeit, ja. Schauspieler sind dann die, die am Telefon sitzen und warten, dass es klingelt. Wir bestimmen viel zu wenig selber Stoffe, wie das in Amerika der Fall ist. Diese Mündigkeit müssen wir uns selber erkämpfen.
Am Burgtheater gibt es diese Machtstrukturen auch: Dispo und Spielplan scheinen oft ausgerichtet auf eine Menge männlicher Gäste. Wirklich schön ist das nicht, und mit Ensemble hat es auch nicht mehr viel zu tun. Deshalb finde ich die losgetretene Debatte sehr wichtig und bin davon überzeugt, dass wir am Stadttheater etwas sprengen müssen. Das Schema F passt eben nicht zum Wesen unserer Arbeit. Das, würde ich sagen, bringt uns zum Verschwinden.
Ich bin in der glücklichen Lage, mich dank der Begegnungen mit gewissen Regisseuren auch als Mitautorin zu fühlen, etwa mit Antú Romero Nunes oder jetzt mit Simon Stone in Hotel
Strindberg; er schreibt Szenen so, dass die mit mir persönlich zu tun haben. Und ich fühle mich auch nicht „verkleinert“, weil ich mit Mikroports sprechen muss. Paradoxerweise habe ich die Erfahrung gemacht, gerade in den Gruppen, die sich als große Alternative zu den verkrusteten Strukturen am Stadttheater anbieten, mich autoritären Strukturen ausgeliefert zu fühlen.