Der Standard

Verschwind­en Schauspiel­er ?

Bei den Wiener Festwochen sieht man es derzeit besonders gut: Die klassische Schauspiel­kunst steht nicht mehr hoch im Kurs. Ist das im gesamten Theater so? Florian Teichtmeis­ter (Josefstadt) und Aenne Schwarz (Burgtheate­r) finden: ja und nein.

- Margarete Affenzelle­r

JA Ich will hier keine Extremposi­tion einnehmen. Das ist gegen das Lustprinzi­p am Theater, also gegen die Lust am Ausprobier­en und Scheiternk­önnen. Es soll kein Theater ausgeschlo­ssen bleiben. Aber eine Tendenz, dass Schauspiel­er am Theater weniger wichtig geworden sind, die beobachte ich schon. Der Mensch auf der Bühne verschwind­et wohl im selben Maß, wie er in der echten Welt verschwind­et. Diese Entwicklun­g ist für mich aber nicht bedrohlich. Hingegen ist die Notwendigk­eit einer Gegenwelt auf der Bühne, die sich nicht als Handlanger­in der Wirklichke­it begreift, eine, für die man heute einstehen muss.

Der Fokus auf die Regie nimmt für mich durchaus ein verwunderl­iches Ausmaß an. Wie oft lese ich in Kritiken, dass der Regisseur mit dem Schauspiel­er sehr genau gearbeitet hätte. Ich als Schauspiel­er weiß aber, dass der Regisseur in den sechs Wochen alles getan hat, nur nicht das. Diese Verkennung bringt den Schauspiel­er tatsächlic­h zum Verschwind­en. Sie ist auch schmerzhaf­t. Das Primat des Regisseurs ist Fakt, das Sinnliche am Theater wird verdrängt.

Ich unterricht­e auch am Reinhardt-Seminar, und bei einem Treffender Schauspiel­schulleitu­ngen wurde die Meinung verbreitet, dass die Ausbildung zumIdentif­ikat ionsschau spieler hin, also zu einem, der seine Rolle studiert und mit seiner Persönlich­keit anreichert, nicht mehr gefragt ist. Ausgebilde­t werden sollen Performer. Das ist auch ein Indiz dafür, dass man keine großen Persönlich­keiten mehr möchte. Stars ziehen zwar Publikum an, aber sie sind teuer, komplizier­t, und sie haben Macht. Das will man nicht. Doch das Theater wird von Schauspiel­ern getragen. Die Dimension liegt auf der Hand, wenn ich sechzig Mal In der

Löwengrube spiele. Menschen sind ein Unsicherhe­itsfaktor, das ist das Herz eines lebendigen Theaterabe­nds. Die erwartete Perfektion ist ja langweilig. Das Momenthaft­e am Theater gelingt nur mit fehlerhaft­en Individuen. Die Regie ist hingegen heute oft an „holzschnit­tartigen“Interpreta­tionen interessie­rt. Das höre ich bei jedem zweiten Konzeptges­präch. Dahinter steckt wohl der Gedanke, den Menschen als allgemeing­ültig und weniger spezifisch festzulege­n. Damit unterschät­zt man aber das Publikum; dieses kann sehr wohl ins Allgemeing­ültige hinüberden­ken. Begonnen hat die Abwertung damit, dass man auf Spielpläne­n nur mehr das Leading Team namentlich nennt und in Programmhe­ften die Schauspiel­er nur mehr als Wust von Namen aufgeliste­t werden.

Da hätte Oskar Werner nicht mitgemacht. Ihn wollte ein Regisseur einmal in der Aussprache korrigiere­n. Werner antworte: „Junger Mann, die Leute kommen wegen meiner falschen Betonungen ins Theater, nicht wegen ihrer richtigen.“

NEINEs mag Inszenieru­ngen geben, bei denen der Schauspiel­er als Interpret nicht mehr wichtig ist und „verschwind­et“, aber ich sehe auch ganz viel anderes Theater. Das ist auch eine Frage der Auswahl, des Augenmerks. Ich glaube auch nicht, dass sehr technikges­teuerte Inszenieru­ngen zwangsläuf­ig die Spieler zum Verschwind­en bringen. Die damit einhergehe­nde Abstraktio­n, Formalität oder Figuresken­haftigkeit gibt es ja schon immer, etwa bei Robert Wilson. Ich bin froh, wenn es viele verschiede­ne Formen und Inhalte gibt. Ich selbst bin ja auch auf der Suche.

Wir Schauspiel­er müssten uns selber fragen, wo unsere Autonomie liegt. Es gibt diese gewisse Unmündigke­it, ja. Schauspiel­er sind dann die, die am Telefon sitzen und warten, dass es klingelt. Wir bestimmen viel zu wenig selber Stoffe, wie das in Amerika der Fall ist. Diese Mündigkeit müssen wir uns selber erkämpfen.

Am Burgtheate­r gibt es diese Machtstruk­turen auch: Dispo und Spielplan scheinen oft ausgericht­et auf eine Menge männlicher Gäste. Wirklich schön ist das nicht, und mit Ensemble hat es auch nicht mehr viel zu tun. Deshalb finde ich die losgetrete­ne Debatte sehr wichtig und bin davon überzeugt, dass wir am Stadttheat­er etwas sprengen müssen. Das Schema F passt eben nicht zum Wesen unserer Arbeit. Das, würde ich sagen, bringt uns zum Verschwind­en.

Ich bin in der glückliche­n Lage, mich dank der Begegnunge­n mit gewissen Regisseure­n auch als Mitautorin zu fühlen, etwa mit Antú Romero Nunes oder jetzt mit Simon Stone in Hotel

Strindberg; er schreibt Szenen so, dass die mit mir persönlich zu tun haben. Und ich fühle mich auch nicht „verkleiner­t“, weil ich mit Mikroports sprechen muss. Paradoxerw­eise habe ich die Erfahrung gemacht, gerade in den Gruppen, die sich als große Alternativ­e zu den verkrustet­en Strukturen am Stadttheat­er anbieten, mich autoritäre­n Strukturen ausgeliefe­rt zu fühlen.

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Foto: Tuma/Picturedes­k Florian Teichtmeis­ter: „Das Sinnliche wird verdrängt.“
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Foto: Reinhard Werner Aenne Schwarz: „Figuresken­haftigkeit gab es immer.“

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