Der Standard

Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen

Vierte Ausgabe der Musiktheat­ertage Wien: Das internatio­nale Pfadfinder­lager der freien Opernszene

- Stefan Ender

Wien – Mitte der 1980er-Jahre kam der Vorarlberg er Konservato­riums orgel schüler nach Wien und studierte Dirigieren und Kompositio­n. Im Jeunesse-Chor sang Thomas Desi zusammen mit einer Studentin, die noch nichts davon ahnte, dass sie heutzutage Wiener Kulturstad­trätin sein würde.

Früh schon zog es den Kreativen in die freie Szene. Was waren die Gründe dafür? „Blindheit und Wahnsinn.“Die Möglichkei­t der Kulturförd­erung sei teuflisch, resümiert er und erzählt selig schnurrend über die Pasterk-Zeit der unkomplizi­erten Subvention­en. Tempi passati!

In 20 Jahren schuf und zeigte Des imits einem Zoon Musik theater über 40 Eigenprodu­ktionen, dann gründet eder menschenfr­eundliche Er möglicher zusammen mit Georg Steker die Musiktheat­er tage Wien, eine Art Pfadfinder lager der Opern szene. Welche neuen Wege werden im Musik theater beschritte­n? Gruppen aus halb Europa und aus Kuba wurden in der vierten Ausgabe eingeladen, dies aufzuzeige­n. Unter dem Motto „Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen“widmet man sich im Werk X dem Unsägliche­n.

Zur Eröffnung werden Unschickli­chkeiten auf den Laufsteg geschickt. Die ungarische Gruppe Soharóza macht sich mit ihrer aufwendige­n Produktion Tabu Kollekció über die Tabufixier­theit der Theaterbra­nche lustig: Models singen über Flugzeugab­stürze, Hautkrankh­eiten und Menstruati­on (3. 6.). Eine Tabubreche­rin war auch Isabelle Eberhardt: Zwanzigjäh­rig ist die Schweizeri­n als Mann verkleidet nach Algerien gereist und dort zum Islam konvertier­t – und zwar vor gut 100 Jahren! Die italo-amerikanis­che Komponisti­n Missy Mazzoli hat aus Tagebuchei­nträgen Eberhardts eine Oper in minimalist­ischer Tonsprache komponiert: Songs from the Uproar (13. und 15. 6.).

Ein absolutes Tabu für Theaterauf­führungen mit oder ohne Musik sind Fehler. In der internatio­nalen Koprodukti­on Trascrizio­ne di un errore wird mit absichtlic­hen Fehlern gespielt, die Nähe von Alltag und Absurdität, von Erheiterun­g und Verunsiche­rung aufgezeigt (21.–23. 6.). Dass der künstleris­che Alltag in Kuba kein leichter ist, davon kann das Teatro del Viento von Freddy Nuñez mehrere Lieder singen. In Los Caballeros de la Mesa Redonda wird Christoph Heins Politparab­el zu einer wilden Travesties­how (7. 6.). Für die Kleinen: In der belgischen Produktion Grasland wird über Leben und Schaffen von György Ligeti erzählt (10. 6.).

Wie sieht Desi die Zukunft seiner Zunft? „Es wäre wünschensw­ert, wenn sich die großen Wiener Häuser öffnen würden“, sagt er. Generell diagnostiz­iert der Musiktheat­ermacher bei den Verantwort­lichen einen „Tunnelblic­k auf die Möglichkei­ten des Theaters“. Möge sich dieser weiten.

3. bis 24. 6. u. a. im Werk X Meidling , Karten auf: pmusikthea­tertagewie­n. at

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Die ungarische Gruppe Soharóza macht sich über die Tabufixier­theit der Theaterbra­nche lustig. Dabei wird auch kräftig menstruier­t.

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