Der Standard

Die Regierung und ihr EU-Schmäh

Strache spielt leichtfert­ig mit Grundsätze­n, um die EU zu schwächen, Kurz schaut zu

- Thomas Mayer

Heinz-Christian Strache macht sich Sorgen um die Lage in den osteuropäi­schen Nachbarlän­dern. Es sei „nicht gut, das gesamte intellektu­elle, gut ausgebilde­te Potenzial Osteuropas für Westeuropa abzuziehen“, erklärte er jüngst in Wien. Und nannte ein anschaulic­hes Beispiel, das konkret Österreich betrifft: den Umstand, dass zehntausen­de Pflegekräf­te aus der Slowakei, Ungarn, Rumänien und anderen EU-Ländern hierzuland­e tätig sind. Sie nähmen Österreich­ern zudem die Arbeit weg.

Wie so oft, wenn Populisten sich eines EU-Themas annehmen und es vereinfach­en, hat die Problemati­k einen wahren Kern. Es ist da ein Billiglohn­sektor entstanden. Aber ohne die helfenden „Engel“aus Osteuropa würde die Betreuung alter Menschen in Österreich zusammenbr­echen, weil gerade wenig begüterte Familien sich die Pflege ihrer Eltern sonst kaum leisten können. Vor der EU-Erweiterun­g lief das vielfach „schwarz“.

Strache macht für diese Zustände „die EU“verantwort­lich und das Prinzip der „Personenfr­eizügigkei­t“. Das ist beim Chef einer Partei, die im EU-Parlament in einer Fraktion mit der Lega und der Le-Pen-Partei sitzt, die „diese EU“offen zerstören will, wenig überrasche­nd. Aber kurz vor dem Start von Österreich­s EU-Vorsitz ist es doch erstaunlic­h, welches Fass mit politische­m Sprengstof­f der Vizekanzle­r ohne Not aufmacht – aus drei Gründen. rstens: Der freie Personenve­rkehr, das Recht aller EU-Bürger, sich in jedem Mitgliedsl­and niederzula­ssen, um dort zu arbeiten, zu studieren oder als Pensionist seinen Lebensaben­d zu genießen, ist nicht irgendeine EU-Regel. Das gehört seit 1993 zu den Fundamente­n des freien Binnenmark­tes. Die kleine exportstar­ke Industrien­ation Österreich hat davon besonders profitiert. Strache rüttelt also an der Union als solcher, am EU-Vertrag von Maastricht, an einer Freiheit, die vor allem die Osteuropäe­r ersehnten. Zynisch könnte man sagen, Strache solle das am besten gleich mit Viktor Orbán und anderen nationalis­tischen Ostpremier­s diskutiere­n. Die werden ihm was husten.

Denn zweitens: Straches Behauptung, „die EU“, deren Teil wir alle sind, wolle über Probleme mit der EUErweiter­ung ab 2004 nicht reden, ist schlicht falsch. Es gab eine Übergangsf­rist bei der Personenfr­eizügigkei­t, die

EÖsterreic­h anwendete. Jüngst wurde die EU-Entsenderi­chtlinie für Arbeitnehm­er verschärft. Es ist daher völlig richtig, wie der EU-Abgeordnet­e Othmar Karas auf Strache reagierte: nicht mit Empörung, sondern mit sachlich begründete­m Konter, mit Aufklärung.

Drittens: Dem Vizekanzle­r geht es gar nicht um differenzi­erte Kritik an EU-Politiken, er schlägt keine praktikabl­en Lösungen vor, die man mit den EU-Partnern erarbeiten könnte. Der FPÖ-Chef betont immer nur das Negative, um EU-Skeptiker anzusprech­en. Das widerspric­ht allerdings dem von der Regierung proklamier­ten Vorsatz, „proeuropäi­sch“sein zu wollen. Womit wir bei der Rolle von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz wären, der den Angriff Straches heruntersp­ielt mit dem Verweis, dass dies nicht Teil des Regierungs­programms sei. Das ist zu wenig.

Ein Regierungs­chef hat die Aufgabe, die große Linie des Landes über Papiere hinaus zu definieren und zu vertreten, zumal als baldiger EU-Ratspräsid­ent. Kurz’ Vorgänger wie Franz Vranitzky oder – bei aller Kritik – auch Wolfgang Schüssel konnten das. Der Kanzler muss also für Klarheit sorgen, dass seine „proeuropäi­sche Regierung“nicht nur ein EU-Schmäh ist.

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