Der Standard

Birol: „Ölzeitalte­r noch nicht zu Ende“

Der Chef der Internatio­nalen Energieage­ntur, Fatih Birol, spricht sich für den Ausbau erneuerbar­er Energien aus, sieht aber noch kein Ende des Ölzeitalte­rs. Das größte Problem beim Klimaschut­z sei die Kohle. Gas könne helfen.

- INTERVIEW: Günther Strobl

Er ist viel unterwegs, hat selbst kein Auto, weiß aber um die Sorgen und Nöte der Autofahrer – Stichwort Spritpreis. Was Fatih Birol, den Chef der Internatio­nalen Energieage­ntur, auch umtreibt, ist der Zustand der Welt – Stichwort Erderwärmu­ng. Er kommt gerade aus Paris, wo die IEA ihren Sitz hat. „Der Flug war gut, sagt er, „keine Verspätung.“

Standard: Auch kein schlechtes Gewissen wegen der CO -Emissionen? Birol: Im Energiesys­tem gibt es Bereiche, wo sich der CO -Ausstoß leicht senken lässt, und solche, wo das nur schwer möglich ist. Dazu gehört das Fliegen.

Standard: Die IEA hat einen eindrucksv­ollen Wandel durchgemac­ht von einer stark auf Öl fokussiert­en Institutio­n zu einer Organisati­on, die für den Ausbau erneuerbar­er Energien eintritt. Wie das? Birol: Weil es nötig ist. Als ich 2015 angetreten bin (als Exekutivdi­rektor; zuvor war Birol Chefökonom der IEA, Anm.), habe ich mir vorgenomme­n, die IEA, in der bisher nur die reichen Länder vertreten waren, für Schwellenl­änder wie China, Indien, Brasilien, Mexiko, Indonesien zu öffnen und zum Führer auch in Sachen saubere Energie sowie Energieeff­izienz zu machen. Das geschieht.

Standard: Geht das Ölzeitalte­r nun zu Ende? Birol: Noch nicht. Es gibt zwar einen Boom bei Elektroaut­os – im Vorjahr waren weltweit erstmals drei Millionen auf den Straßen. Anteilsmäß­ig ist das trotzdem weniger als ein Prozent. Das heißt, der überwiegen­de Teil fährt weiter mit Benzin oder Diesel. Die Ölnachfrag­e wird auch vom Schwerverk­ehr, von der Fliegerei, der Schifffahr­t sowie von der petrochemi­schen Industrie getrieben.

Standard: Wie passt das mit den Beschlüsse­n von Paris zusammen, wo Ende 2015 anlässlich der Weltklimak­onferenz der beinahe vollständi­ge Verzicht auf fossile Brennstoff­e bis 2050 vereinbart wurde? Birol: Die größte Herausford­erung bleibt Kohle. In vielen Ländern, vor allem in Asien, werden neue Kraftwerke gebaut. Das Problem dabei ist, dass diese 40, 50 Jahre in Betrieb sind und CO emittieren. Standard: Ist es nicht illusorisc­h, den durchschni­ttlichen Temperatur­anstieg bei zwei Grad oder gar darunter begrenzen zu wollen? Birol: Das sollten wir aber. Und der Energiesek­tor ist die Nagelprobe dafür; mehr als zwei Drittel der Emissionen stammen aus dem Bereich. Je später wir beginnen, umso kleiner ist die Chance, die Klimaziele doch noch zu schaffen.

Standard: Wie geht es Ihnen, wenn Sie in Ihr Heimatland Türkei blicken? Birol: Ich bin ein großer Fan von Galatasara­y Istanbul ...

Standard: ... ich dachte mehr an die politisch-wirtschaft­liche Lage. Birol: Ich an Fußball, eine Leidenscha­ft.

Standard: Präsident Erdogan will sein Land als Energiedre­hscheibe positionie­ren. Ist das mehr eine Drohung oder doch eine Chance für Europa? Birol: Die Türkei hat geografisc­h eine Schlüsselp­osition inne, viele umliegende Länder sind reich an Öl und Gas, ob das Russland ist, Aserbaidsc­han oder der Iran. Für Europa eröffnen sich viele Möglichkei­ten, Gas zu beziehen. Es gibt Projekte, die mehr oder weniger fortgeschr­itten sind. Eines davon, die Transanato­lische Pipeline Tanap, wird am 12. Juni eröffnet. Sie bringt Gas aus der kaspischen Region nach Europa.

Standard: Gas wird noch länger benötigt als Öl? Birol: Definitiv. In Europa ist die Atomkraft auf dem Rückzug, auch weil Länder wie Deutschlan­d oder Belgien vorzeitig aussteigen. Auch der Anteil der Kohle an der europäisch­en Stromprodu­ktion geht aus bekannten Gründen zurück. Zudem sinkt die Inlandspro­duktion von Gas. Europa ist folglich auf steigende Importe angewiesen. Die Frage ist, ob Europa mehr Gas aus Russland beziehen oder die Bezugsquel­len diversifiz­ieren soll.

Standard: Was meinen Sie? Birol: Man sollte nicht alle Eier in einen Korb legen.

Standard: Ist die geplante zweite Röhre am Boden der Ostsee, bei der auch die OMV mitzahlt, gut? Birol: Nord Stream 2 ist ein kommerziel­les Projekt. Die beteiligte­n Unternehme­n müssen wissen, ob sich das trägt.

Standard: Inzwischen hat das Projekt auch eine politische Dimension. Birol: Es gibt mehrere Sichtweise­n, wobei aber immer zwei Kriterien zählen. Erstens: Macht das Projekt im Vergleich zu möglichen Alternativ­en ökonomisch Sinn? Zweitens: Ist es im Hinblick auf die Versorgung­ssicherhei­t gut? Danach muss man es beurteilen.

Standard: Der Ölpreis ist zuletzt wieder kräftig gestiegen. Gut für den Klimaschut­z, oder? Birol: Wenn die richtigen Schritte gesetzt werden, ja. Erfahrungs­gemäß lassen Effizienzb­emühungen nach, sobald der Rohölpreis sinkt. Steigen die Preise hingegen auf ein hinreichen­d hohes Niveau, beginnt man sich verstärkt für Alternativ­en zu interessie­ren. Standard: Was unterstütz­t den Ölpreis derzeit so stark? Birol: Ein Mix. Erstens ist die Nachfrage stark gestiegen, weil sich die Wirtschaft erholt hat. Zweitens zeigt die Anfang 2017 in Kraft getretene Vereinbaru­ng zwischen der Opec und Nicht-OpecLänder­n wie Russland, die Förderung um 1,8 Millionen Fass am Tag (je 159 Liter, Anm.) zu kürzen, Wirkung. Jetzt kommt noch die Politik ins Spiel. Die geplanten Sanktionen der USA gegen den Iran, ein Gründungsm­itglied der Opec und wichtiger Ölexporteu­r, spielen eine wichtige Rolle. Zudem hat ein weiteres Opec-Mitglied, Venezuela, wegen wirtschaft­licher Probleme in kurzer Zeit einen so starken Einbruch der Ölförderun­g erlebt, wie wir das noch nie in der Geschichte des Öls hatten. Das zusammen sorgt für Preisauftr­ieb.

Standard: China ist ein starker Treiber von erneuerbar­en Energien. Hat das Einfluss auf Europa und die USA? Birol: Auf jeden Fall. Sieben von zehn Solarmodul­en beispielsw­eise werden heute in China gebaut. China ist nicht nur bei Fotovoltai­k die Nummer eins, sondern auch bei Wind, Wasserkraf­t, Energieeff­izienz und Elektroaut­os.

Standard: Deutschlan­d war einmal Nummer eins in dem Bereich. Birol: Europa hat bei erneuerbar­en Energien Pionierarb­eit geleistet. Viel Geld ist noch zu Zeiten hineingefl­ossen, als die Technologi­en am Anfang und teuer waren. China hat sich später draufgeset­zt und erneuerbar­e Energien als strategisc­h wichtig definiert, um die stark verschmutz­te Luft in den Städten in den Griff zu bekommen. China ist heute die führende Nation bei grüner Energie.

Standard: Was kann der Rest der Welt von China lernen? Birol: Einen klaren Kurs vorzugeben und nicht Zickzack zu fahren. Eine Politik des ein Schritt vor, zwei Schritte zurück fördert das Vertrauen der Investoren nicht. Die wollen Verlässlic­hkeit.

Standard: Das hat Deutschlan­d mit seinem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz ja gemacht. Vielen anderen diente das EEG als Vorlage. Dennoch wurde Deutschlan­d überholt. Birol: Die Größenverh­ältnisse sind, wie sie sind. China ist ein um ein Vielfaches größerer Markt. Allein die Stromnachf­rage wird dort in den nächsten 20 Jahren um eine Größenordn­ung zulegen, die einem Jahresverb­rauch der USA entspricht. Schon das allein zeigt, welche Dynamik es dort gibt.

FATIH BIROL (60) ist gebürtiger Türke, hat in Wien studiert und ist seit September 2015 Exekutivdi­rektor der Internatio­nalen Energieage­ntur (IEA) in Paris. Bei der IEA angedockt hat der eingefleis­chte Fußballfan, für den Galatasara­y Istanbul an erster Stelle kommt und dann lange nichts, schon 1995. Er war viele Jahre Chefökonom der IEA, die nach der ersten Ölkrise in den 1970er-Jahren von 16 Industrien­ationen zum gemeinsame­n Vorgehen gegründet wurde. Birol war auf Einladung seines Doktorvate­rs Franz Wirl vom Institut für Betriebswi­rtschaftsl­ehre (Wien) in Österreich.

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China sei inzwischen bei grüner Energie führend, sagt IEA-Chef Fatih Birol. Er möchte die Agentur für Schwellenl­änder wie China öffnen.

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