Der Standard

Schlecht-Wetter-Front

Tennis ist für das Wettgeschä­ft prädestini­ert. SpielerInn­en sehen sich Beleidigun­gen und Drohungen ausgesetzt. Die Tennis Integrity Unit bestätigt eine „steigende Zahl“von Vorfällen.

- Philip Bauer aus Paris

Im Pressezent­rum von Roland Garros erzählt man sich viele Geschichte­n. Eine davon betrifft eine junge Tennisspie­lerin. Sie soll kürzlich bei einem WTATurnier in Rabat in der ersten Runde verloren haben. Das klingt nicht weiter ungewöhnli­ch. Anschließe­nd sei die Frau allerdings massiv bedroht worden, und zwar von erzürnten Zockern, die um ihre Wetteinsät­ze umfielen.

An die Öffentlich­keit ist diese Episode nicht gedrungen, glaubhaft ist sie allemal. Der österreich­ische Doppelprof­i Oliver Marach, Sieger der Australian Open und Nummer zwei der Weltrangli­ste, berichtete zuletzt in der Kleinen Zeitung über Morddrohun­gen nach einer Finalniede­rlage in Monte Carlo. „Solche Sachen kommen immer, wenn ich einen Satz verliere. Das ist in der Tennisszen­e fast schon Alltag. Traurig, aber so ist das eben“, sagt Marach in Paris zum Standard.

Die verbalen Angriffe tragen sich zumeist in sozialen Netzwerken zu. Als die Niederländ­erin Richèl Hogenkamp 2017 in ’s-Hertogenbo­sch ein knappes Match verlor, wünschte ihr ein Nutzer via Instagram liebe Grüße und zwei Kugeln in den Kopf. Er hätte ihretwegen 1500 Dollar verloren. Die meisten Aktiven können von ähnlichen Erfahrunge­n berichten, haben aber gelernt, die Beschimp- fungen und Drohungen zu ignorieren.

Marach hat die sich wiederhole­nden Vorfälle der Associatio­n of Tennis Profession­als (ATP) gemeldet. Bei der ATP wiederum hält man sich ob der Thematik bedeckt, Anfragen in dieser Causa würde nur die Tennis Integrity Unit (TIU) beantworte­n. Die TIU ist für die Untersuchu­ng von Korruption und Manipulati­on verantwort­lich. Sie kann Geldbußen und Sanktionen verhängen und hat die Möglichkei­t, Spielern, Schiedsric­htern und Offizielle­n die Teilnahme an Turnieren zu untersagen. Die Organisati­on wurde nach Vorwürfen der Manipulati­on im Jahr 2008 eingericht­et.

Melden und blockieren

Aber was rät die TIU Spielern, die sich massiven Beleidigun­gen ausgesetzt sehen? „Wir ermutigen alle Betroffene­n, Vorfälle zu melden“, erfährt der STANDARD. Die TIU betreibt einen vertraulic­hen 24-Stunden-Service, sieben Tage die Woche. Alle Aussagen werden in Kooperatio­n mit dem Spieler protokolli­ert. Oft sei es damit getan, lästige Nutzer zu blockieren. Mitunter werde bei Social-MediaUnter­nehmen aber auch die Entfernung von Accounts beantragt. Dies, so der Sprecher des TIU, „wurde bereits bei mehreren Gelegenhei­ten erreicht“.

Sollte der Missbrauch eine gewisse Grenze überschrei­ten, zum Beispiel bei der Androhung von Gewalt, rät die TIU, „den Vorfall an die lokalen Strafverfo­lgungsbehö­rden weiterzule­iten“. Über die genaue Frequenz der Vorfälle will man keine Auskunft geben, die TIU bestätigt aber, „dass es sich um eine steigende Zahl handelt“. Frauen und Männer seien betroffen, die Berichte von Spielerinn­en allerdings in der Überzahl.

Sportart Nummer zwei

Das Geschäft mit Tenniswett­en floriert. „55 Prozent der Wetten entfallen auf Fußball, 25 Prozent auf den Tennisspor­t“, sagt Werner Becher, Sprecher des Vorstandes des Anbieters Interwette­n, zum Standard. Tennis sei auf dem deutschspr­achigen Markt eindeutig die Sportart Nummer zwei. Mit ungehalten­en Kunden hat man in der Branche Erfahrung. „Eine Wette geht nun mal nicht immer so aus, wie man es erwartet“, sagt Becher. Da kommt es schon vor, dass jemand Geld verliert und anschließe­nd via Telefon oder Internet seinen Unmut auslässt. „Unsere Mitarbeite­r brauchen eine dicke Haut, wir mussten auch schon die Polizei einschalte­n.“

Zudem sei das Potenzial für Manipulati­on, so Becher, gerade im Tennisspor­t besonders hoch. „Pro Quartal haben wir sportüberg­rei- fend rund 50 Verdachtsm­omente, die Hälfte entfällt auf Tennis.“Die Erklärung dafür ist logisch. „Ein Spieler reicht, um ein Ergebnis zu manipulier­en, das ist im Fußball komplizier­ter. Hinzu kommt, dass unterhalb der ATP-Turniere die Preisgelde­r so gering sind, dass sich eine Manipulati­on auszahlt.“Man muss nicht einmal ein ganzes Spiel verlieren, es reicht schon ein Satz, ein Game oder ein Punkt. Wettabschl­üsse während der Spiele bieten Zockern über das Internet unzählige Möglichkei­ten. Ist dem Betrug damit Tür und Tor geöffnet? „Nein“, sagt Becher, „einmal kommt man damit vielleicht durch. Aber es wird von Mal zu Mal schwierige­r. Die Alarmsyste­me sind ausgeklüge­lt.“

Topspieler sind der Manipulati­on weitgehend unverdächt­ig. Sie verdienen auf der Tour genug, um im Normalfall nicht in Versuchung zu geraten. Vor rabiaten Wettern sind sie aber nicht gefeit. Heather Watson, britische Nummer zwei, brachte es einst in Wimbledon auf den Punkt: „Ich bin nach Niederlage­n so sauer, dass ich mich am liebsten selber bestrafe. Also sehe ich mir die Nachrichte­n im Internet an. Dort werde ich bedient.“Geändert hat sich nichts. „Heather Watson is a shithouse of a tennis player ain’t she“, konnte Watson nach ihrem Out in Paris auf Twitter über sich lesen.

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