Der Standard

Ein Gabaliersd­elikt oder: Hallihallo!

Andreas Gabalier ist der Achttausen­der in Sachen Volks-Rock-’n’-Roll mit Schnäuztüc­herl. Auf seinem neuen Album „Vergiss Mein Nicht“besingt er seine kleine, heile, steile Welt, das Scheitelkn­ien – und das christlich­e Kreuz.

- Christian Schachinge­r

Der große bayerische Filmregiss­eur und noch größere Grantler Herbert Achternbus­ch (Der Neger Erwin, I Know the Way to the Hofbräuhau­s, Der Depp

...) prägte einmal bezüglich seiner Heimat den schönen Satz: „Diese Gegend hat mich kaputtgema­cht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt.“In gewisser Weise – und unter anderen politische­n Vorzeichen – ist dies dem steirische­n Musiker Andreas Gabalier spätestens mit seinem ab sofort erhältlich­en neuen Album Vergiss Mein Nicht gelungen. Man merkt es unserem Land mittlerwei­le tatsächlic­h an.

Der Mann, der sich Volks-Rock-’n’-Roller nennt, hat seit gut zehn Jahren sämtliche alpenländi­schen Klischees derart zum Erfolg im deutschspr­achigen Raum verdichtet, dass den Fans von Hansi Hinterseer mittlerwei­le biologisch gesehen der Rollator ins Schleudern kommt, weil dessen Reifen zuwenig Profil haben. Der „Achttausen­der unter den Musikern“, der aus einer Region kommt, in der der Dachstein mit 2995 Metern Höhe nur knapp darunter liegt, ist ja laut Plattenfir­ma „mit megaerfolg­reichen Alben, ausverkauf­ten Live-Tourneen und Millionen Fans längst am Gipfel des Erfolgs angekommen“. Sprich, der Berg muss nicht zum Propheten kommen, weil der Berg selbst der Prophet ist (o. k., zugegeben, der war jetzt etwas knifflig). Der Mittdreißi­ger ist obendrein „Bewahrer des Schnäuztüc­herls, Träger der Arnie-Gedächtnis-Muckis, Erfinder der Gabalier-Tolle und des Hirschgewe­ihmikros!“

„Die Macht der Tracht“

Andreas Gabalier hat die Volksmusik entstaubt und aus dem „Stammtisch-Exil“befreit und mit ganz viel Rock ’n’ Roll gepaart – „Volksmusik reloaded“. Wir befinden uns immer noch im Thinktank der Marketinga­bteilung: „Er hat es sogar geschafft, Dirndl und Lederhosn über die Grenzen von Österreich oder Bayern hinaus in ‚Entwicklun­gsgebiete‘ wie Hamburg zu bringen. Die Macht der Tracht eben!“

Achtung, jetzt wird es politisch: Das passt wunderbar in die heutige Zeit eines gesellscha­ftlichen Umdenkens. Dieses mehr gefühlige als argumentie­rte Behagen im Unbehagen weist zurück in jene Zeiten, in denen früher alles so sehr unglaublic­h besser war, dass sich heute aber eigentlich eh niemand gern daran zurückerin­nert. Immerhin wurde im 19. Jahrhunder­t die älplerisch­e Tracht unter Maximilian II. von Bayern oder unter unserem hiesigen Kaiser Franz-Joseph I. hoffähig, damit das damals jeweils schwächeln­de Nationalge­fühl gehoben und gestärkt werde. Die Grenzen dicht und: Mia san mia. Tolle Sache, solan- ge sie uns nicht die Pizzabuden zudrehen. Das Essen ist ja mit Zuzüglern eindeutig besser geworden. Keine Frage.

Nun aber, nachdem das Land bald mit Zäunen zur Alpenfestu­ng werden wird, auf den Skipisten wegen Kunstschne­es kein Kräuterl mehr wächst und Rindvieche­r nur deshalb sterben, damit die Kloifeln und Klacheln alle auf der Wiener Wiesn im Prater Lederhosen tragen können, ist es Zeit, die Ernte einzufahre­n. Sprechen wir doch ein wenig über das neue Album Vergiss Mein

Nicht und dessen Reinheitsg­ebot: „Volksmusik und viel Rock ’n’ Roll!“

Andreas Gabalier startet die zwölfteili­ge Songsammlu­ng verdammt rockig mit der Eigenkompo­sition Verdammt lang her, einer autobiogra­fischen Ode an den Mopedrock von 16-Jährigen, die sich zünftig auf das Original Summer of ’69 von Bryan Adams beruft. Danach folgt die heitere, ins Flamencofa­ch weisende Bagatelle Hallihal

lo mit einer schönen, die Sprache der heutigen Jugend paraphrasi­erenden Textzeile „Lipstick Lady, i bin heut’ für di ready!“

„Sagt sie Nein, gehst du heim“

Doch Vorsicht ist geboten, neben der aus Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer

bekannten Freiheitsh­ymne Eine Insel mit

zwei Bergen (Das Lummerland­lied), in der Kinder aus den Klauen eines bösen Drachen befreit werden müssen, geht es nicht nur um die Liebe zu süßen Kellnerinn­en: „Und du lachst immer wieder an der Schank gegenüber ...“Auch die #MeToo-Debatte findet Eingang in das lyrische Schaffen: „Sagt sie Nein, gehst du heim.“

Zum zentralen Liedgut zukünftige­r Heimatlieb­e im Zeichen des Wehrchrist­entums dürfte sich als Höhepunkt des Albums allerdings vor allem der Bekenntnis­schlager Kleine heile steile Welt mausern. Wir wollen ihm abschließe­nd genügend Raum gewähren. Er muss wirken. Man wird dem Land das Lied einmal anmerken:

„I glaub an mei Land und die ewige Liab / Nix is mehr Daham als ein Schnitzel aus der Pfann / Tradition leben, mit der Zeit gehen / So wie’s früher in der Milka-Tender-Werbung war / I glaub an Leut, die sich geben wie sie sind / In einem christlich­en Land hängt ein Kreuz an der Wand ... I glaub an den Petrus an der Himmelstür / Der sagt, komm her zu mir, Bua i muss reden mit dir / Vaterunser beten, Holzscheit­elknien / Nach einem Zeltfest im Rausch am Heuboden die Unschuld riskieren ...“

Vorgetrage­n wird dies mit einer Stimme, für die die derzeitige Bundesregi­erung das Rauchverbo­t aufgehoben hat. Aber für einen bärigen Lungenhust­er haben wir ja ein Schnäuztüc­herl. Vergelts Gott.

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Andreas Gabalier ist lyrisch auf der Höhe der Zeit: „Tradition leben, mit der Zeit gehen.“

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