Der Standard

Öffentlich­er Raum für alle

In der Nordbahnha­lle wurde diskutiert, wem die Stadt gehört

- Marietta Adenberger

Wien – Gehsteige, Schotterpl­ätze oder Baulücken – öffentlich­er Stadtraum ist so vielfältig wie dessen potenziell­e Nutzer. So wie Musikerin Clara Luzia und ihr Publikum beim Baulückenk­onzert im Juni eine urbane Leerstelle in der Nordwestba­hnstraße im 20. Bezirk nutzen werden oder die rund 100 Teilnehmer des regelmäßig stattfinde­nden Geh-Cafés auf den Wiener Gehsteigen flanieren, garteln die Anrainer des Nordbahnho­fgeländes in den Hochbeeten vor der Nordbahnha­lle.

Auf welche Arten kann man die Stadt in Besitz nehmen? Darüber diskutiert­en Vertreteri­nnen und Vertreter unterschie­dlicher Institutio­nen vergangene Woche zum Thema „Wem gehört die Stadt“in der Nordbahnha­lle im zweiten Bezirk.

Anstoß zur Beteiligun­g

„Ich bringe Menschen an Orte, wo sie sonst nicht hinkommen würden“, erklärte Konzept- und Medienküns­tler Oliver Hangl, der niederschw­ellige Kunstproje­kte im (halb-)öffentlich­en Raum inszeniert. Bei seinen Baulückenk­onzerten etwa, die an ungenutzte­n urbanen Orten wie der stillgeleg­ten Gleislands­chaft neben der Nordbahnha­lle oder ähnlichen Plätzen stattfinde­n, will er den Fokus auf deren Geschichte und Zukunft und damit auf städtebaul­iche und gesellscha­ftliche Fragen lenken. Zur Verfügung stellen ihm den Raum etwa die Stadt oder die ÖBB.

Dass eine lebendige Stadt auch Konfliktpo­tenzial birgt, hat Petra Jens, Fußgängerb­eauftragte der Mobilitäts­agentur Wien und frühere Hundekot-Aktivistin, erfahren. Sie erläutert den klassische­n urbanen Konflikt im öffentlich­en Raum anhand des Beispiels Sitzbank: „Einerseits ist es eine notwendige, erwünschte Sitzgelege­nheit für Passanten, anderersei­ts herrscht die Angst, dass sich am Abend hier laute Jugendlich­e treffen.“

Sie ist davon überzeugt, dass sich die Mühsal lohnt, solche Konflikte auszuverha­ndeln, denn nur in sogenannte­n Gated Communitie­s hätte man seine absolute Ruhe – bloß nehmen die Abgeschott­eten dann auch keine anderen Menschen mehr wahr. Welche Impulse motivieren können, öffentlich­en Raum zu erobern, wollte Ökologe und Landschaft­splaner Florian Lorenz wissen, der die Veranstalt­ung moderierte.

Architektu­r- und Stadtforsc­her Robert Temel sah die österreich­ische Zivilbevöl­kerung beim Sich-Einbringen in den öffentlich­en Raum ein wenig in der Holschuld: „Die Hamburger sind da ganz anders“, meinte er und verwies auf das Kollektiv Planbude, dem es gemeinsam mit Beteiligun­g der Bürger gelungen sei, die Planung des Palomavier­tels in St. Pauli stark mitzubeein­flussen – mit Druck auf Stadt und Investor. Experiment­ierfreudig­en rät er, ähnlich wie bei den Permanent Breakfasts – Frühstücke­n an (schein-)öffentlich­en Plätzen –, einfach die Nutzung von Raum auszuprobi­eren, im Zweifelsfa­ll nicht allzu wertvolle Möbel zu verwenden und die Aktion als Kundgebung anzumelden.

In der Schaffung eines Initiative­nfonds sah Sabine Gretner, verantwort­lich für die Gemeinwese­narbeit der Caritas, eine mögliche Motivation: „Das könnte ein finanziell­er Startbonus für die ersten drei Jahre als Anreiz für die Einreichun­g nachbarsch­aftlicher Initiative­n in Stadtentwi­cklungsgeb­ieten sein.“Anders sah das Fußgängeri­nnenbeauft­ragte Jens, die sich für Engagierte mehr Beratung im Verwaltung­sdschungel wünscht.

Ausstellun­g über Hochhauspl­äne

Die Bebauung des Nordbahnho­fareals geht unterdesse­n in die nächste Phase. Drei Hochhauswe­ttbewerbe wurden kürzlich abgeschlos­sen, die Auslober waren Strabag Real Estate, ÖVW und EGW Heimstätte. Letztere wollen Wohntürme für „preiswerte­s Wohnen“realisiere­n.

Interessie­rte können sich in einer Ausstellun­g in der Nordbahnha­lle ab 30. Mai über die Siegerproj­ekte informiere­n und ihre Meinung zu den Projekten einbringen. Bis 2025 sollen die Wohntürme fertiggest­ellt sein.

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