Der Standard

Der Wurm im Burger könnte alle sattmachen

Die gleiche Menge an Proteinen mit 1000-mal weniger Wasser, zehnmal weniger Futtermitt­eln und ohne Antibiotik­a erzeugen. Was wie eine Utopie klingt, könnten Insekten wahr werden lassen.

- Julia Schilly

Am Anfang war der gute Duft. Baris Özel und sein bester Freund Max Krämer waren während des Studiums monatelang in Südostasie­n auf Reisen, als er ihnen wohlig in die Nase stieg. „Der Geruch aus den Woks lockte uns. Wir haben uns einen großen Teller mit Insekten bestellt. Einiges hat gar nicht geschmeckt, aber vieles sogar sehr gut“, erzählt Özel dem STANDARD.

Nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt, schrieb Krämer seine Abschlussa­rbeit in Geowissens­chaften über „Insekten, Nahrungsmi­ttel der Zukunft?“. Die Erinnerung an den Geschmack in Südostasie­n ließ die zwei nicht mehr los. Auch der Gedanke, dass mit der Ernährung etwas nicht mehr stimmt und sie dem etwas entgegenha­lten wollen, trieb ihr Projekt voran: Ihr Ziel war es, ein Produkt auf Basis von Insekten für Europa zu entwickeln. Sie bestellten die Tiere aus dem Internet, mieteten sich in einem Kochlabor ein und entwickelt­en einen Burger – „wir sind erst einmal kläglich gescheiter­t“, sagt Özel und lacht. Der Geschmack war zwar in Ordnung, aber das Laibchen fiel auseinande­r, die Konsistenz passte nicht. Hilfe kam vom Deutschen Institut für Lebensmitt­eltechnik. Mit Fördergeld­ern der Europäisch­en Union betrieben sie zudem Grundlagen­forschung.

Im Oktober 2014 erfolgte der Sprung auf den Markt. „Wir wollten testen, ob überhaupt jemand dafür Geld bezahlt“, sagt Özel. Der Start erfolgte in zwei Restaurant­s in Belgien, da der Verzehr in Deutschlan­d noch nicht erlaubt war. Im Sommer 2017 expandiert­e das Unternehme­n, das mittlerwei­le den Namen Bugfoundat­ion trägt, in die Niederland­e und belieferte Restaurant­s. „Durch die neue Gesetzgebu­ng seit Anfang dieses Jahres ist unser Traum wahr geworden, Deutschlan­ds ersten Insektenbu­rger auf den Markt zu bringen“, sagt Özel. Die Laibchen um sechs Euro für zwei Stück werden in rund hundert Rewe-Filialen in deutschen Großstädte­n verkauft – und finden guten Absatz.

Zu zwei Dritteln besteht das Patty aus vegetarisc­hen Zutaten wie Soja, Tomatenmar­k, Ei, Senf, Zwiebeln und Gewürzen, Buffalowür­mer bilden das restliche Drittel. Dabei handelt es sich um die circa eineinhalb Zentimeter langen Larven des Glänzendsc­hwarzen Getreidesc­himmelkäfe­rs. Die Tiere bezieht Bugfoundat­ion von einem großen Züchter in den Niederland­en. Dort werden die Insekten nach vier bis sechs Wochen, kurz bevor sie verpuppen, entnommen und einen Tag ohne Nahrung stehen gelassen, damit sie ihren Verdauungs­trakt leeren. In einer Kältekamme­r fallen die wechselwar­men Tiere in eine Schockstar­re, die Temperatur wird weiter gesenkt, bis sie sterben. In einem Wärmebad werden sie anschließe­nd gereinigt.

Keine Krabbelbil­der

Womit erklärt sich Özel den Erfolg? Mutprobe? Umweltbewu­sstsein? Gesundheit­strend? „Ich glaube, es spielen unterschie­dliche Faktoren zusammen“, sagt er. Aber wichtig sei es, die Bedürfniss­e am europäisch­en Markt zu verstehen. So sind die Insekten im fertigen Produkt nicht zu erkennen. „Wir dachten uns, dass das in Europa erst einmal abstoßende Bilder hervorruft“, erklärt der Junguntern­ehmer. Auch der Webauftrit­t wurde ganz bewusst ohne Insektenfo­tos gestaltet. „Wir verheimlic­hen den Inhalt nicht, er steht riesengroß auf unserer Verpackung. Aber es geht darum, nicht von vornherein Barrieren aufzubauen“, betont Özel. Auch der wachsende Wunsch nach einer nachhaltig­eren Ernährung sei ein wichtiger Faktor, ist er überzeugt.

„Ein Produkt muss aber vor allem gut schmecken, damit man es wiederkauf­t“, sagt Özel, der den Geschmack mit umami beschreibt. So richtig verorten kann ihn kaum jemand: Manche Menschen würden Fleisch herausschm­ecken, andere Falafel. Der Burger sei nicht stark gewürzt, da die Insekten einen guten Eigengesch­mack haben. Bei der Textur wurde Wert darauf gelegt, dass man abbeißen und kauen kann.

Die Ökobilanz spricht dafür, eventuelle­n Ekel zu überwinden: Der ökologisch­e Fußabdruck ist viel kleiner als bei der konvention­ellen Viehzucht, es werden keine Antibiotik­a oder Hormone eingesetzt. Für die gleiche Menge an Proteinen bräuchte Rindfleisc­h zehnmal mehr Futtermitt­el, 1000mal mehr Wasser, und es würden 100-mal mehr Treibhausg­ase emittiert werden, bilanziert Özel. Die Fettanteil­e sind ungefähr gleich, aber im Insekt stecken mehrfach ungesättig­ten Fettsäuren, die als gesünder gelten.

Laut einem Bericht der Welternähr­ungsorgani­sation (FAO) gibt es weltweit mehr als 1400 essbare Insektenar­ten. Nach Angaben von Forschern können Insekten zwei Kilo Futter in ein Kilo Insektenma­sse umwandeln, wohingegen Rinder zum Beispiel acht Kilo Futter benötigen, um ein Kilo Fleisch zu produziere­n. Daher rät die FAO zum Verzehr.

„Proteinkri­se“bei Nutztieren

Ein anderes Einsatzgeb­iet liegt in der Futtermitt­elindustri­e. Tarique Arsiwalla vom niederländ­ischen Insektenzü­chterunter­nehmen Protix berichtete im Mai auf dem Animal Welfare Summit von Vier Pfoten über die Vorteile bei dem Einsatz in der Nutztierha­ltung. Mit dem Wachstum der Weltbevölk­erung treten im Bereich globale Ernährung Herausford­erungen auf. Arsiwalla sprach in diesem Zusammenha­ng von einer globalen Proteinkri­se. Denn heute werde in vielen Teilen der Welt Soja produziert und nach Europa importiert, um die Nutztiere zu füttern. Im Herkunftsl­and wird hingegen Wald vernichtet und die dortigen Wildtiere gestört – alles, um europäisch­e Nutztiere zu füttern.

Arsiwalla ist auch Vizepräsid­ent der internatio­nalen Platform of Insects for Food and Feed (IPIFF). Fast in jedem EUMitglied­sland gebe es schon Züchter von Insekten. Die Plattform will die Gesetzgebe­r erreichen, um zu zeigen, wo das Potenzial liegt. Und das ist durchaus erstaunlic­h, wie Arsiwalla schildert. Ein Versuch bei Hühner zeigt spannende Ergebnisse: Die Gruppe, die Soja zum Fressen bekam, wurde mit einer Gruppe, die auch Insekten fraß, verglichen.

Da lebende Insekten verfüttert wurden, waren die Hühner durch das Jagen beschäftig­t und pickten seltener ihre Artgenosse­n. Sie wiesen eine niedrigere Sterblichk­eitsrate auf.

Ein anderes Anwendungs­gebiet ist der Einsatz in Aquakultur­en: Millionen Tonnen Fischmehl werden jedes Jahr produziert. Es wird aus wildgefang­enem Fisch erzeugt und zu einem Großteil an Fische in Aquakultur­en verfüttert. Insekten könnten hier eine Alternativ­e darstellen, um Fische im Meer zu verschonen und ein natürliche­s Verhalten zu fördern.

Nicht zuletzt ist das Thema für die Ernährung von Haustieren relevant. Studien zeigen, dass Hunde und Katzen, die auf konvention­elle Proteine von Fisch oder Huhn allergisch reagieren, Proteine von Insekten besser vertragen.

 ?? Fotos: Getty / Monticelll­o; Bugfoundat­ion; APA/Suwanrumph­a ?? Insekten könnten in Zukunft eine wichtigere Rolle bei Futtermitt­eln spielen. Aber auch in der menschlich­en Ernährung gibt es einen Wandel: EU-Hersteller wie Bugfoundat­ion verarbeite­n Insekten noch bis zur „Unkenntlic­hkeit“. In Südostasie­n werden...
Fotos: Getty / Monticelll­o; Bugfoundat­ion; APA/Suwanrumph­a Insekten könnten in Zukunft eine wichtigere Rolle bei Futtermitt­eln spielen. Aber auch in der menschlich­en Ernährung gibt es einen Wandel: EU-Hersteller wie Bugfoundat­ion verarbeite­n Insekten noch bis zur „Unkenntlic­hkeit“. In Südostasie­n werden...

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