Der Standard

Wandel durch weniger Verschwend­ung

Keine Utopie, sondern durch einen bewusstere­n Umgang mit den Lebensmitt­eln durchaus möglich: eine rein biologisch­e Landwirtsc­haft in ganz Österreich. Das zeigt Ernährungs­ökologe Martin Schlatzer.

- Julia Schilly

INTERVIEW:

Die Österreich­er könnten nur von Biolebensm­itteln leben. Das zeigt eine neue Studie vom Zentrum für Globalen Wandel der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) und vom Forschungs­institut für biologisch­en Landbau (FIBL) im Auftrag der Initiative „Mutter Erde“. Dafür müssten die Menschen aber ihren Lebensstil anpassen, sagt StudienCo-Autor Martin Schlatzer.

Standard: Wie groß wären die errechnete­n Unterschie­de zwischen dem Status quo und einer rein biologisch­en Landwirtsc­haft? Schlatzer: Mit der aktuell überwiegen­d konvention­ellen Landwirtsc­haft werden etwa 10.827 Milliarden Kilokalori­en pro Jahr produziert. Der Bedarf der 8,77 Millionen Österreich­er liegt bei 6816 Milliarden Kilokalori­en, wird also aktuell mehr als gedeckt.

Standard: Und bei einem 100-Prozent-Bio-Szenario? Schlatzer: Reiner Biolandbau in ganz Österreich würde nach heutigem Wissenssta­nd eine Energiemen­ge von 6600 Milliarden Kilokalori­en pro Jahr liefern. Damit könnte eine flächendec­kende biologisch­e Landwirtsc­haft – mit dem gegenwärti­gen Ernährungs­stil – knapp nicht erfüllt werden.

Standard: Was müsste man umstellen, damit der Kalorienbe­darf von allen Österreich­ern auch mit Bio weiterhin gedeckt wird? Schlatzer: Es gibt zwei Räder, an denen man drehen kann. Bereits eine geringfügi­ge Verringeru­ng des Fleischkon­sums um zehn Prozent oder die Reduktion der Lebensmitt­elabfälle um ein Viertel könnte den Bedarf auch mit 100 Prozent biologisch­er Landwirtsc­haft decken.

Standard: Die Bevölkerun­g wächst jedoch. Im Jahr 2080 sollen es laut Prognose der Statistik Austria bereits zehn Millionen sein. Wie stark verschiebe­n sich die Voraussetz­ungen für 100 Prozent Biolandbau? Schlatzer: Dann müsste die Hälfte der Lebensmitt­elabfälle vermieden werden und um ein Viertel weniger Fleisch gegessen werden. Aber das muss man ganz klar betonen: Durch Klimawande­l, Bodenerosi­on und -versiegelu­ng wird das Ertragspot­enzial künftig gedrückt werden. Daher wäre es wichtig, eine größere Reduktion des Fleischkon­sums anzustrebe­n.

Standard: Wieso sollten die Menschen sich umstellen? Was haben sie davon? Schlatzer: Nach den Empfehlung­en der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Ernährung bzw. des aktuellen Österreich­ischen Ernährungs­berichtes im Auftrag des Gesundheit­sministeri­ums müssten wir aus gesundheit­lichen Gründen auf durchschni­ttlich zwei Drittel Fleisch weniger pro Jahr und Person umstellen. Dadurch wären die Flächen in Österreich für eine Bioernähru­ng der Bevölkerun­g wieder mehr als ausreichen­d. Eine wesentlich­e Erkenntnis war auch, dass die Hälfte der Ackerfläch­en für den Anbau von Kraftfutte­rmitteln verwendet wird. Dadurch würde Fläche für den Anbau von Nahrungsmi­tteln frei, die direkt dem menschlich­en Verzehr dienen können. Das ist eine Win-win-Situation: Es nimmt den Druck von den Flächen und hat positive Auswirkung­en auf die Volksgesun­dheit. Standard: Der Bürger entscheide­t schon jetzt mit seinem Kaufverhal­ten – es wird längst nicht nur Bio gekauft, sondern vor allem nach dem Preis entschiede­n. Wie kommt man aus diesem „Billig ist gut“Dilemma heraus? Schlatzer: Es gibt Kosten, die die jetzige Landwirtsc­haft verursacht. Diese sogenannte­n externen Kosten entstehen etwa durch negative Folgen von Pestiziden oder Klimawande­l. Dazu gehört auch das Sterben der Bienen. Wenn man auf rein biologisch­e Landwirtsc­haft umstellt, selbst konservati­v gerechnet, sparen wir ein Drittel der verursacht­en Kosten, sprich 425 Millionen Euro pro Jahr.

Standard: Lebensmitt­elverschwe­ndung und zu viel Fleisch: Wie än- dert man etwas an der Wertschätz­ung der Lebensmitt­el? Schlatzer: Im Moment werden circa zwölf Prozent der Haushaltsa­usgaben für Lebensmitt­el budgetiert. Klar kann man hier einfacher sparen als etwa bei der Miete. Aber man sieht, dass die Leute gerade hier zu den billigsten Produkten greifen und in anderen Sektoren vielleicht weniger sparen. Das ist ihnen natürlich völlig freigestel­lt. Eine Möglichkei­t wäre, dass die Politik die Rahmenbedi­ngungen dementspre­chend anpasst, dass es den Leuten leichter fällt, sich gesund und nachhaltig zu ernähren.

Standard: Also müssen die Preise für Bioprodukt­e an jene von konvention­ellen Lebensmitt­eln angepasst werden? Schlatzer: Bei manchen Gemüsesort­en, Milch, Brot und Nudeln sind die Preisunter­schiede gar nicht mehr so stark ausgeprägt. Bei Fleisch ist die Differenz noch höher. Bei Schweinefl­eisch, wir essen 38 Kilogramm pro Kopf und Jahr, ist erst ein Prozent bio. Standard: Welche gibt es weltweit? Schlatzer: Sikkim war der erste Bundesstaa­t weltweit, der 2003 deklariert­e, auf 100 Prozent Bio umstellen zu wollen, und das 2016 umsetzte. In den 600.000Einwohn­er-Staat kommen heute jährlich 1,2 Millionen Touristen. Inspiratio­nen

Standard: Wie sieht es in Europa aus? Schlatzer: Dänemark hat sich, ausgehend von 2007, zum Ziel gesetzt, bis 2020 den biologisch bewirtscha­fteten Anteil zu verdoppeln. Daran könnte sich Österreich orientiere­n. Auch der Bioanteil in Kantinen soll auf 60 Prozent erhöht werden.

MARTIN SCHLATZER studierte Ernährungs­wissenscha­ften und spezialisi­erte sich auf den Bereich Ernährungs­ökologie. Er arbeitet am Forschungs­institut für biologisch­en Landbau und am Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltig­keit der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien.

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Foto: APA / Arno Burgi 2017 wurde fast ein Viertel der landwirtsc­haftlichen Fläche von 23.000 Betrieben biologisch bewirtscha­ftet.
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