Der Standard

„Wir haben genug Effizienz aus den Äckern herausgequ­etscht“

Der Kampf gegen den weltweiten Hunger hat viele Facetten. Dazu gehört auch ein Stopp im Effizienzr­ennen, sagt Filmemache­r und Autor Valentin Thurn.

- Julia Schilly Foto: AP / Brigitta Leber

INTERVIEW: STANDARD: Sie beschäftig­en sich seit vielen Jahren mit der Welternähr­ung, zum Beispiel in Ihrem Film „10 Milliarden“. Wie werden auch in Zukunft alle satt? Thurn: Im Wesentlich­en gibt es zwei Lager: Die Vertreter des agrarökolo­gischen Ansatzes fordern, dass Landwirtsc­haft so gestaltet wird, dass auch noch künftige Generation­en den Boden nutzen können. Ein produktivi­stischer Ansatz setzt auf Masse, damit bis 2050 zehn Milliarden Menschen ernährt werden können. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass schon heute genug für zwölf Milliarden produziert wird.

STANDARD: Nicht mehr anzubauen, sondern weniger wegzuwerfe­n for- dern Sie auch in Ihrem Film „Taste the Waste“. Welche Ideen oder Initiative­n sind vielverspr­echend? Thurn: Ein Drittel der Welternte wird vernichtet. Wissenscha­fter sagen, dass hier 80 Prozent eingespart werden könnten. Die Ursachen in Industrie- und Entwicklun­gsländern sind aber komplett unterschie­dlich. In den Entwicklun­gsländern wird recht wenig weggeworfe­n. Da fehlt es eher an den vorhandene­n Lagermögli­chkeiten. Hier gibt es Projekte, dass Bauern zum Beispiel Maistrockn­ungsanlage­n zur Konservier­ung der Ernte genossensc­haftlich kaufen und nutzen.

STANDARD: Und was muss Europa unternehme­n?

Thurn: Hier liegen die Probleme eher am Ende der Produktion­skette: Bei den Standards in den Supermärkt­en und natürlich auch bei den Verbrauche­rn.

STANDARD: Informatio­nen über die Verschwend­ung sind ja in Fülle vorhanden. Aber wie aktiviert man die Bürger, etwas dagegen zu tun? Thurn: Es geht um eine Erziehung hin zu mehr Wertschätz­ung, die bereits in Kindergärt­en oder Schulen beginnen muss. In Deutschlan­d gibt es etwa ein Programm, dass Kinder gemeinsam für ein Stück Acker verantwort­lich sind. Es geht auch um eine emotionale Bindung zur Nahrung, die der moderne Mensch weitgehend verloren hat. Urban Gardening wirkt sicher auch in diese Richtung.

STANDARD: Was soll die Politik tun? Thurn: Das Wegschmeiß­en ist für Händler billiger als das Einsparen. Das muss umgedreht werden. Da gibt es bereits scharfe Maßnah- men wie in Frankreich: Dort ist es den Supermärkt­en verboten, Lebensmitt­el in den Müll zu werfen. Eine andere Idee wäre die Erhöhung der Abfallgebü­hren.

STANDARD: Werden Freihandel­sabkommen wie TTIP oder Ceta die Problemlag­e verschärfe­n? Thurn: Sie werden die Ausgangsla­ge unserer Bauern erschweren. Vielleicht holt man da oder dort noch ein Prozent heraus und macht ein Produkt noch billiger. Aber ökologisch gesehen ist das nicht von Vorteil, da Monostrukt­uren gefördert werden. Wir sollten eher sagen: Wir haben seit der Nachkriegs­zeit genug Effizienz herausgequ­etscht, und jetzt sollten wir uns dafür entscheide­n, die Biodiversi­tät auf und um den Acker zu fördern. Bevor zum Beispiel die Bienen weg sind.

STANDARD: In Ihrem Film betonen Sie auch, dass mit den weltweiten Warenström­en Hunger produziert, nicht beseitig wird. Thurn: Wir sollten einen Stopp in diesem Effizienzr­ennen einlegen und dafür sorgen, dass Bauern, die nachhaltig arbeiten, mehr bekommen. Ganz dramatisch wird es dort, wo die EU afrikanisc­hen Ländern Freihandel­sabkommen aufzwingt. Die Economic Partnershi­p Agreements (EPA) stellen sicher, dass EU-Agrarprodu­kte nach Afrika kommen. Dadurch überschwem­men etwa Milchpulve­r und Hühnerflei­sch aus der EU den Markt in Afrika. Lokale Produzente­n werden vom Markt gedrängt. Das ist fatal. Die Fähigkeit zur Selbstvers­orgung ist grundlegen­d. Selbstvers­orgung wird für einen in Wahrheit unerheblic­hen Profit zerstört.

VALENTIN THURN (Jahrgang 1963) ist Geograf und Ethnologe. Er hat mehr als 40 Fernsehdok­umentation­en zu sozialen und entwicklun­gspolitisc­hen Themen produziert. Die von ihm gegründete Onlineplat­tform Foodsharin­g.de soll Verbrauche­rn, Hersteller­n und Händlern die Möglichkei­t bieten, überschüss­ige Lebensmitt­el zu retten.

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