Stefanie Sargnagels Autostopptour der literarischen Art
Eine Woche waren die beiden auf Tour durch Österreich und haben St. Pölten, Lunz und Salzburg gesehen. Aber haben unsere Autorin Stefanie Sargnagel und unser Autor Aron Rosenfeld etwas gelernt? Über Österreich oder sich selbst? „Beim Autostoppen sprudelt
Aron Rosenfeld:
Die Vorgeschichte unserer Reise führt in die absonderlichen Gehirnwindungen eines mit paranormalen Fähigkeiten bestückten STANDARD- Redakteurs, der den Tod von Philip Roth vorausgeahnt zu haben scheint und sich auf die beschwerliche Suche nach einem würdigen Nachfolger begab. Als nobelpreisverdächtiges Genie beauftragte er mich mit einer von Soros himself besoldeten Spritztour durch Österreich, die neuartige Einblicke in den unergründlichen Seelenhaushalt der Alpenländler zutage fördern sollte. Ich engagiere die talentierte, aber bislang unentdeckt gebliebene Kleinkriminelle Stefanie Sargnagel als meinen Juniorpartner, von deren familiärer Herkunft aus den niederösterreichischen Sumpfgebieten ich mir vertrauliche Insiderinformationen erhoffe.
Das Kulturministerium möchte uns einen Eurofighter als Privatjet zur Verfügung stellen, doch wir winken ab und wählen das Autostoppen als Fortbewegungsart, um noch direkter mit der Bevölkerung in Kontakt treten zu können.
Unsere Wallfahrt zu den Kraftorten der österreichischen Seele beginnt außerhalb der heutigen Staatsgrenzen in Tschechien, von wo wir uns schrittweise in unser eigentliches Zielgebiet vorarbeiten wollen. Damals, als noch der Doppeladler seine Kreise über Mitteleuropa zog, fiel der Schatten seiner Flügel auf ein Städtchen im südlichen Mähren an der Grenze zur Slowakei. Hier in Strážnice arbeitete mein Urgroßvater, einst über Ungarn aus der Ukraine zugewandert, als Vorbeter und Religionslehrer an der lokalen Synagoge. Ich möchte schon seit langem wieder einmal den Ort besuchen und überrede Steffi zu einem kleinen Umweg auf unserer Reise durch das heimatliche Hinterland.
Wir besichtigen die aufgelassene, schönbrunnergelbe Synagoge im alten jüdischen Viertel, zwischen dessen ebenerdigen Häuschen verschlungene Trampelpfade zur Hauptstraße führen. Nach einer zweifelsohne fachkundigen Führung durch unseren tschechischen Guide, von der wir mangels Sprachkenntnissen nur leider kein Wort verstehen, beziehen wir im nächstgrößeren Ort ein Zimmer in Bahnhofsnähe, feilen an unseren Zwischenberichten und bereiten uns seelisch auf die Wiederbegegnung mit unserer Heimat vor. Morgens verlassen wir Mähren und wiederholen damit im Kleinen, was Österreich als Nation beim Untergang der Monarchie durchmachte, mit dem gefühlsmäßigen Unterschied, dass wir heutzutage im Großen und Ganzen nicht mehr leiden an jenem schicksalhaften Verlust der Kronländer, den viele Untertanen des Kaiserreichs wie eine bei vollem Bewusstsein durchgeführte Amputation von Gliedern ihres eigenen Körpers erlebten. Seit 1945 gilt „small is beautiful“, und jede Reise in den ehemals schwarz-gelben Kulturkreis fühlt sich an wie das Treffen mit einer langjährigen Exfreundin, zu der man inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis pflegt.
Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Wien stellen wir uns an einer OMV-Tankstelle nahe Purkersdorf mit hoffnungsfroh ausgestreckten Daumen neben die Leitplanke. Der Pressesprecher einer großen Versicherungsgesellschaft hält an, philosophiert während der Fahrt über die Gemeinsamkeiten von Dramaturgie und Unternehmenskommunikation und entlässt uns schließlich in St. Pölten, dessen weltberühmtes Volksfest unser nächstes Ziel sein wird.
Nachmittags schlendern wir durch die schmucke Innenstadt. Ein persischer Teppichhändler, unter dessen Dach wir Zuflucht finden vor dem prasselnden Regen, erzählt aus seinem Leben: Nach einer Gehirnblutung, die er einleuchtend auf das chinesische Essen vom Vortag zurückzuführen weiß, musste ein Chirurg sein Kleinhirn durch die Schädeldecke absaugen. Seit Beginn der Aufzeichnungen im deutschen Sprachraum ist er der einzige Überlebende dieser seltenen Operation. Von seinem herzallerliebsten Vater bekommen wir Schwarztee, getrocknete Datteln und wertvolle Ratschläge zum Autostoppen im Iran, wo der ausgestreckte Daumen dieselbe Bedeutung habe wie hierzulande der gespreizte Mittelfinger. Wir behalten das für alle Fälle im Hinterkopf.
Abends geraten wir immer mehr in Volksfeststimmung und machen uns auf den Weg zum örtlichen Veranstaltungsgelände. Im Bus passieren wir ein kleines Elektronikgeschäft, über dessen offenbar ausländischen Besitzer zwei junge Frauen hinter uns in einer eigensinnigen Mischung aus Abfälligkeit und Zuneigung als vom „Handytschuschen“sprechen. Endlich angekommen schnorren uns zwei Halbwüchsige vor dem Bierzelt um ein paar Euro an und wollen im Gegenzug einen Joint mit uns rauchen. Wir lehnen ab und Steffi hält ihnen einen ermüdenden Vortrag über Verantwortung und Selbstdiszi-